Hittfeld. Im Kreis Harburg sind mehrere Fälle bekannt. Jetzt liegt die Missbrauchsstudie vor – und Superintendent Jäger kritisiert seine Kirche.
Die hiesigen Missbrauchsfälledurch einen Pastor in Nenndorf im Landkreis Harburg waren keine Einzelfälle. Das zeigen die Ergebnisse der jüngst veröffentlichen Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche. Mindestens 1259 beschuldigte Kirchen-Mitarbeiter sowie 2225 betroffene Kinder und Jugendliche wurden demnach für die vergangenen Jahrzehnte identifiziert. Die unabhängige Studie hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegeben.
Heikel: Die Landeskirchen wirkten teilweise nur zurückhaltend an der Aufarbeitung mit – die Zahl der Täter, Fälle und Opfer könnte viel größer sein. Die mangelhafte Aufklärung kritisiert der örtliche Superintendent Dirk Jäger (Kirchenkreis Hittfeld) mit deutlichen Worten. Der Nenndorfer Missbrauchsskandal gehört in seinen Zuständigkeitsbereich.
Missbrauch in Kreis Harburg: Betroffene machte ihren Fall in Nenndorf öffentlich
Vor Ort ist das Thema sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche spätestens seit Sommer 2020 auf dem Tisch. Denn vor dreieinhalb Jahre machte die frühere Nenndorferin Katharina Kracht ihren Fall öffentlich bekannt: Als Jugendliche hatte ihr Pastor Jörg Deneke sie mehrere Jahre lang missbraucht und ihr Bedürfnis nach Zuwendung ausgenutzt. Mit 21 Jahren wurde sie sogar schwanger von dem Pastor und hatte einen Abbruch.
Der 2013 verstorbene Deneke war von 1986 bis 1996 Pastor in der heutigen Kirchengemeinde Rosengarten im Kirchenkreis Hittfeld und danach in Tostedt. Wie sich erst spät herausstellte, hatte Deneke sowohl Nenndorf als auch in seiner vorigen Kirchengemeinde in Wolfsburg weitere Mädchen missbraucht.
Ein Fall, der ins Muster passt. Denn die Missbrauchsstudie fördert zutage, dass ein hoher Anteil der für die Untersuchung Interviewten von wiederholten Übergriffen berichten. Durchschnittlich dauerte die Missbrauchszeit sieben Jahre.
Viele Täter unentdeckt? Nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“
Seit sie ihren Missbrauchsfall offenlegte, kämpft Katharina Kracht für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche. Sie ist Mitglied im Betroffenenbeirat des Forschungsverbundes, der mit der Missbrauchsuntersuchung beauftragt wurde.
Im Zuge der Veröffentlichung der Studie forderte sie vom EKD, externe Fachleute zu beschäftigten und Beschwerdestellen einzurichten. In den Landeskirchen fehlten die Kompetenz und vermutlich auch Interesse, Fälle tatsächlich aufzudecken. „Wenn solche Nachforschungen nicht unternommen werden, bleiben Täter unentdeckt“, betonte Kracht.
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Hintergrund: Der Studienleiter geht davon aus, dass die ermittelten Fälle nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ seien. Im Vergleich zur katholischen Kirche (38.000 Personalakten) hätten die Protestanten mit 5000 bis 6000 Diziplinarakten vergleichsweise wenig Material für die Untersuchung herausgerückt. Zudem sei es zu einer „schleppenden Zuarbeit der Landeskirchen“ gekommen – mit teils „qualitativ unzureichende Daten“.
Kreis Harburg: Superintendent Jäger kritisiert Mängel in der Aufarbeitung
Ein Umstand, den Dirk Jäger kritisiert. Jäger ist Superintendent des Kirchenkreises Hittfeld und damit zuständig für Kirchengemeinde Rosengarten, zu der Nenndorf gehört. „Dass Personalakten von den Landeskirchen nicht in ausreichendem Umfang in die Studie eingeflossen sind, erzeugt den Eindruck von Vertuschung und fehlender Kooperation“, lässt er per Pressemitteilung wissen. Und weiter: „Darüber sind wir vor Ort sehr verärgert.“
Entgegen dieser Praxis habe sein Kirchenkreis dem externen Forschungsverbund Einblick in alle Unterlagen und Dokumente aus damaliger Zeit gegeben und umfassend über alles informiert, was die Kirchenkreisleitung wisse oder vermute. Er habe zudem angeboten, Zeitzeugen und mögliche Auskunftgeber zu vermitteln.
Strukturen für Machtmissbrauch: Kirchenkreis Hittfeld ist nicht das Problem
Das passt zu den Schilderungen von Katharina Kracht. Sie habe insbesondere im Kirchenkreis Hittfeld im Gegensatz zu höheren Kirchenebenen viele positive Reaktionen bei der Aufarbeitung erlebt, berichtete sie dem Abendblatt vor zwei Jahren.
Dirk Jäger bekräftigt, dass kein heute Verantwortlicher vor Ort und in übergeordneten Gremien schuldhaft in den Fall um Pastor Jörg Deneke verwickelt sei. Er sei „erschüttert über das damalige Geschehen“ im Kirchenkreis Hittfeld. Er stehe eindeutig an der Seite der Betroffenen und bedauere außerordentlich das Leid, das ihnen angetan wurde.
Jäger unterstütze die Offenlegung der Strukturen von Machtmissbrauch in kirchlichen Kontexten. Die Ergebnisse der Studie hätten ihn nicht überrascht.
Mit Texten von Lena Thiele und der Deutschen Presseagentur (dpa)