Hittfeld/Nenndorf. Katarina Sörensen erhebt schwere Vorwürfe gegen einen inzwischen verstorbenen Pastor – es soll weitere Opfer geben.

In Nenndorf im Landkreis Harburg soll ein evangelischer Pastor, der mittlerweile verstorben ist, über Jahre hinweg mindestens eine frühere Konfirmandin sexuell missbraucht haben. Am Montag, mehr als 30 Jahre später, wandte sich die Betroffene gemeinsam mit Kirchenvertretern an die Öffentlichkeit. Per Videoschaltung nahm sie an einer Pressekonferenz in Hittfeld teil.

Katarina Sörensen – unter diesem Pseudonym erzählt sie ihre Geschichte – ist bereits seit 2015 in Kontakt mit der Landeskirche. Sie hatte sich bei der Ansprechstelle für Opfer sexualisierter Gewalt gemeldet und geschildert, dass sie von 1988 bis 1997 von Jörg Deneke, damals Pastor der Kreuzkirchengemeinde Nenndorf, sexuell missbraucht worden sei. Der Pastor ist 2013 im Alter von 70 Jahren gestorben.

Pastor soll mehrere Mädchen missbraucht haben

Der Schritt an die Öffentlichkeit sei wichtig, sagte Oberlandeskirchenrat Dr. Rainer Mainusch, Leiter der Rechtsabteilung des Landeskirchenamtes Hannover. Andere Menschen sollten ermutigt werden, ihre Erlebnisse oder Beobachtungen ebenfalls mitzuteilen. „Wir wollen nichts unter den Teppich kehren. Das ist in der Vergangenheit nicht immer so gewesen.“

Vor einigen Monaten habe sich eine weitere Frau gemeldet, die von sexuellem Missbrauch durch den Pastor berichtete. Zwei weitere Betroffene wurden offenbar sexuell belästigt. Auch im Kirchenkreis Wolfsburg, wo der Pastor vor seiner Zeit in Nenndorf tätig war, gebe es Hinweise auf sexuelle Belästigung.

Kirchenkreis erfuhr vor drei Jahren von Vorwürfen

Um die Aufarbeitung zu verbessern, hat die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers Anfang Juni überarbeitete Grundsätze für die Prävention, Intervention, Hilfe und Aufarbeitung beschlossen. In der Statistik zu sexualisierter Gewalt in der Landeskirche seit 1945 tauchen bisher nur 123 Fälle auf. Mehr als 80 Prozent beträfen die sogenannten Heimkinder, sagt Mainusch. „Dieser geringe Erfahrungsschatz mag eine Erklärung für das sein, was bei der Aufarbeitung anfangs schiefgelaufen ist. Es ist aber keine Rechtfertigung.“

Auch der Kirchenkreis Hittfeld wolle nichts verschweigen, betont Super­intendent Dirk Jäger. Er habe vor drei Jahren von den Vorwürfen erfahren. „Ich war erschrocken, wie ein bis dato recht angesehener Pastor so einen Schaden anrichten konnte.“ Zwar trügen die heute Verantwortlichen in der Kirche keine Schuld, aber sie müssten Verantwortung übernehmen.

Opfer: Pastor plante Übergriffe "von Anfang an"

Der Missbrauch begann, als Katarina Sörensen 15 Jahre alt war. Der Pastor, der 1986 in die Kirchengemeinde kam, sei bekannt für seine engagierte Jugendarbeit gewesen, sagt sie. „Wie viele andere Jugendliche war ich begeistert von ihm.“ Besonders eine Gruppenfahrt nach Südtirol sei ein tolles Erlebnis gewesen. Doch damit habe eine systematische Manipulation begonnen. „Mittlerweile bin ich sicher, dass er von Anfang an geplant hat, sexuelle Übergriffe zu begehen.“

Schritt für Schritt habe er das Vertrauen der Jugendlichen gewonnen, sagt die Frau, die heute Ende 40 ist und in Norddeutschland lebt. Es gab Massagespiele, Umarmungen, Gute-Nacht-Küsse. Berührungen, die ihr eigentlich unangenehm gewesen seien, wurden mit der Zeit normal. Hinzu kam subtil ausgeübter Druck. „Ich wollte gemocht werden und dazugehören. Hätte ich mich gewehrt, hätte er mich aus der Gruppe ausschließen können.“

Erst nach neun Jahren konnte sie sich von dem deutlich älteren Mann lösen. Es dauerte fast 20 weitere Jahre, bis sie über ihr Trauma sprechen konnte. Es brauche sehr viel Mut dafür, sagt sie. „Aber ich will das Schweigegebot brechen, das er mir auferlegt hat.“

Aufarbeitung des Missbrauchsfall schwierig

Der Weg der Aufarbeitung in der Kirche sei steinig gewesen, lange habe sie nach Ansprechpartnern suchen müssen. Schließlich erhielt sie 35.000 Euro in Anerkennung erlittenen Leids. Auch wenn diese Summe die Kosten durch Therapie und Teilzeitarbeit nicht decke, sei die Entschädigung ein wichtiger Schritt, sagt Katarina Sörensen.

Die weitere Aufarbeitung habe sich allerdings schwierig gestaltet. „Wäre ich nur auf die Kirche angewiesen, hätte ich den Prozess nicht gut durchgestanden.“ Sie wird seit fünf Jahren von Claudia Chodzinski unterstützt. Die heute freiberufliche Fachberaterin war beim Notruf für vergewaltigte Mädchen und Frauen in Hannover tätig, wo 2015 ein erstes Gespräch stattfand.

"Jetzt können die Gespräche beginnen, wer wann was gewusst hat"

Unterstützung erhält Sörensen auch von der Kirchengemeinde Tostedt. Dort war Jörg Deneke von 1997 bis zu seinem Ruhestand 2004 tätig. Anfang dieses Jahres wurde auf ihr Bitten hin auch der Kirchenvorstand in Rosengarten informiert, zu der die Kirchengemeinde Nenndorf nun gehört. „Wir halten es für sehr wichtig, dass das Schweigen gebrochen wird“, sagt Katharina Behnke, seit 2009 Pastorin in Rosengarten. „Das nimmt dem Täter etwas von seiner Macht.“

Immer wieder habe sie Gerüchte gehört, so Behnke, dass es der frühere Pastor mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen habe. Sie sei jedoch davon ausgegangen, dass es um Affären mit erwachsenen Frauen ginge. Nachdem Sörensen ihre Geschichte öffentlich gemacht habe, werde auch die Aufarbeitung in der Kirchengemeinde beginnen. „Jetzt können die Gespräche beginnen, wer wann was gewusst hat.“