Buchholz. Pferdeorthopädin Katharina Emme ist Spezialistin für Fehlstellungen der Beine. Ihre Behandlungsmethode ist ungewöhnlich, aber wirkt.
Fyrsta ist eine zierliche Pferdedame mit großen Augen und langen Wimpern. 18 Jahre ist sie alt, und viele dieser Jahre waren geprägt von Unsicherheiten ihres Gangs. Sie ist gestolpert und gestrauchelt – und hat sich selbst mit ihren Hufeisen verletzt. Ein großes Theater machte sie darum nie. Pferde leiden meist im Stillen.
Die Hufeisen hatte Besitzerin Susan Stehr aus Hamburg der Isländerin Fyrsta anpassen lassen, als sie bemerkte, dass ihr Pferd nicht rund lief. Doch damit ist es nun vorbei: Zur Besserung ihres Gangbilds bekommt Fyrsta regelmäßig Hufpflege, oder besser: eine huforthopädische Behandlung. Anstatt Hufeisen trägt sie Schuhe zum Ausritt.
Schuhe statt Hufeisen: Katharina Emme behandelt Pferde mit Fehlstellungen der Beine
Was wie der letzte Schrei für abgedrehte Pferdefans und ihre verwöhnten Vierbeiner klingt, ist in Wirklichkeit eine naturnahe und wirksame Korrektur von Fehlstellungen. Denn Fyrsta hat – wie viele Damen in ihrem Alter – X-Beine. Pferdeorthopädin Katharina Emme aus Buchholz weiß um diese Schwäche, die in der Reitersprache Kuhessigkeit heißt.
Mit kundiger Hand korrigiert Emme die Hufe jeden Monat, sodass Frya schmerzfrei, ruckelfrei und ohne Stolperei über die weiten Wiesen, Feldwege und auch mal die Pflasterstraßen kommt, die ihre Weide in Holm-Seppensen umgeben. Spezielle Schuhe geben dem Tier zusätzlichen Halt. Bis zu sechsmal in der Woche geht Fyra unter dem Sattel.
Katharina Emme legt eine große und schwere Lederschütze an und holt ihr Werkzeug aus dem Kofferraum eines grauen Kastenwagens. Mit ihrer mobilen Werkstatt ist sie seit vier Jahren im gesamten Landkreis und darüber hinaus zu Pferden und ihren Besitzern unterwegs. Und sie kann zupacken, das wird sofort deutlich.
Hypernervöse Jungrösser oder coole Senioren – Katharina Emme behandelt sie alle
Eine Auflage für den Pferdehuf in der Hand stiefelt die großgewachsene und kräftige Buchholzerin los in Richtung Stall. Sie, die seit früher Jugend reitet, mit einem Pferdezüchter verheiratet ist und so etwas wie einen sechsten Sinn für Pferde hat, weiß bei neuen Kunden nie so ganz genau, welche Pferdepersönlichkeiten sie im Stall vorfinden wird – ob hypernervöse Jungrösser, ob coole Senioren oder ausgesprochen freundliche und kameraaffine Ladys wie Fyrsta.
Um welches Beschwerdebild es geht, das bringt sie vorher durch Gespräche mit den Besitzern und vor allem durch Fotos der Vierbeiner und ihrer Hufe in Erfahrung. Am liebsten schaut sie aber selbst hin, und das ganz genau.
Ohne Korrektur der Hornmasse benutzt Fyrsta nur die Innenkante ihrer Hufe
Fyrsta tritt ihre Hufe ziemlich schnell ab. Was im Prinzip gut ist, denn nur so kann sich die Hornmasse schnell und vital nachbilden. Der Fehler: Ohne Korrektur benutzt die Pferdedame nur die Innenkante ihrer Hufe, die andere wächst ohne Abnutzung vor sich hin, und das schief. Überpronation, so heißt das Phänomen eines nach innen knickenden Fußes bei Joggern. Und bei denen müssen meist Einlagen her. Bei Fyrsta genügt eine fachkundige Beschneidung des Hufes, die Schäden an Knochen und Gelenken und damit einhergehender Lahmheit vorbeugt.
Innerhalb eines Jahres erneuert sich ein Pferdehuf von oben bis unten. Für Experten wie Katharina Emme sind Hufe eine Art Patientenakte. Sie sehen daran, wann das Pferd verletzt war und welche Probleme es mit seiner Statik hat. Durch behutsame Hufkorrektur Schmerzen zu nehmen und zur Verbesserung der Beweglichkeit der Pferde beizutragen, ist eine Kunst, die sich die 36-Jährige Emme in einer zweijährigen Ausbildung angeeignet hat. Zuvor hatte sie als Pferdepflegerin schon reichlich Pferdeverstand gesammelt.
Pferdefüße in Form zu bringen kann gefährlich sein, weiß die dreifache Mutter
Während der Schmied Eisen auf den Huf nagelt, die der Nutzung des Pferdes und dem Gelände, in dem es geht, angepasst sind, betrachtet Emme als Erstes des Pferd und seine Bedürfnisse. Seinen Rücken, seine Beine, seine Bewegungen. Und natürlich die Hufe. Erst dann setzt sie das scharfe Messer und die Feile an, um die individuelle Form zu optimieren. Emme arbeitet hochkonzentriert, während Fyrsta die Behandlung schon fast zu genießen scheint und immer wieder leicht divenhaft herabschaut zu der großgewachsenen Frau, die an ihren Hufen schuftet.
Pferdefüße in Form zu bringen kann gefährlich sein, weiß die dreifache Mutter Katharina Emme. Ein unruhiges Pferd hat ihr vor zwei Jahren mit einem Tritt das Sprunggelenk des rechten Beines zertrümmert. Ein Nagel hielt die Knochen fortan zusammen. Emme konnte zehn Wochen nicht gehen und nicht arbeiten.
„Durch Kraft kann man bei Pferden gar nichts ausrichten. Nur die Ruhe zählt“
Doch kaum bekam sie es hin, auf einem Schemel zu sitzen, da war sie schon wieder unterwegs mit ihrer rollenden Werkstatt. Aufregung und Angst vergisst sie bei der Arbeit. Sie weiß: „Durch Kraft kann man bei Pferden gar nichts ausrichten. Nur die Ruhe zählt, auch wenn es so mal eine Viertelstunde länger dauert.“
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Ihr Terminkalender ist voll. Doch wenn sie Fotos von Pferden sieht, die ihre Hilfe brauchen, dann fährt sie doch wieder los. Die Hamburgerin Susan Stehr gehört zu ihren Stammkunden. Alle vier Wochen müssen Fyrstas Hufe bearbeitet werden. Bei jungen Pferden kann rechtzeitiges Eingreifen noch sehr viel bewirken, die Entwicklung des Bewegungsapparats in die richtige Richtung lenken, weiß Emme. Bei älteren Pferden geht es eher um die Erhaltung des guten, beschwerdefreien Zustandes.
Inzwischen hat Fyrsta die Hufe schön. Und ihre Besitzerin steht bereit mit einem saftigen, rotwangigen Belohnungsapfel für sie. „Auf Eisen zu verzichten ist die natürlichere Art der Pferdehaltung“, sagt die 43-Jährige. „Denn Pferde werden schließlich barhufig, also ohne Hufeisen geboren.“