Sittensen. Patienten kommen vor allem aus den USA und Japan. Spezielle OP-Methode wurde für ein ganz bestimmtes Pferde-Leiden entwickelt.

  • Aus den USA, sogar manchmal aus Japan kommen Pferde nach Sittensen, um hier in einer ganz speziellen Tierarztpraxis behandelt zu werden
  • Der Grund dafür ist eine spezielle OP-Technik, die nur hier angewandt wird

Hier wird der Patient mit einem Kran auf den OP-Tisch gehievt. Zwar ist ein Pferd im Vergleich zu einem Elefanten ein Leichtgewicht. Aber auch 650 Kilogramm sind nicht einmal eben dorthin zu bewegen, wo man sie haben will. Wer einen Hengst operieren will, muss sich also etwas einfallen lassen. In Sittensen bei Hamburg haben sich drei Tierärzte zusammengetan, die für ihre Operationen in der Pferde-Szene mittlerweile in der ganzen Welt bekannt sind.

Für einen Besuch in der Klinik kommen regelmäßig Pferde am Hamburger Flughafen an: vor allem aus dem US-amerikanischen Wellington, manchmal auch aus Japan. „Wir haben etliche Patienten aus Übersee“, sagt Stephan Leser. Der promovierte Veterinär ist einer der drei Leiter der Hanseklinik, einem Krankenhaus ausschließlich für Pferde. „Besonders, wenn es um die Augen und den Kehlkopf geht.“

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Vor allem Profis nehmen weite Anreisen in Kauf: Denn eine Operation lindert nicht nur die Leiden des Tieres und lässt es häufig wieder ganz gesund und leistungsfähig werden. Sie kann auch die Rettung für den Einsatz eines Sportpferdes sein – und gleichzeitig die wirtschaftliche Rettung. Denn Sportpferde kosten in der Regel einen sechsstelligen Betrag, manchmal auch mehr. Da ist eine Augen-Operation mit rund 6000 Euro eher günstig.

Astrid Ehrengut und ihre Stute Pippa, deren Augen in der Hanseklinik gerettet wurden.
Astrid Ehrengut und ihre Stute Pippa, deren Augen in der Hanseklinik gerettet wurden. © HA | Carolin George

Vor allem chronische Erkrankungen sind es, vor denen sich Züchter und Halter fürchten, sagt Leser: „Sie schmälern in erster Linie natürlich die Lebensqualität und Lebenserwartung des Tieres. Aber im Profibereich eben auch seinen Wert. Gerade noch auf eine Million Euro geschätzt, ist es nach der Diagnose wertlos. Das ist bitter.“

Die OP-Methode kann die Sehkraft der Pferde erhalten

Sogar der Rücktritt vom Kauf ist möglich, wenn erhebliche Mängel festgestellt werden: zum Beispiel die Periodische Augenentzündung oder das Kehlkopfpfeifen. Doch für beide Erkrankungen gibt es heute eine Operation.

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„Jede Pinzette, jede Lidsperre entwerfen wir selbst“, sagt Leser. Die auf die Größe von Pferdeaugen angepassten Lidsperren braucht der Tierarzt, weil er auf die sogenannte Vitrektomie spezialisiert ist: eine Operation am Auge, die es bis vor 30 Jahren nur bei Menschen gab, die er selbst aber mittlerweile weit mehr als 1000-mal im Jahr an Pferden durchführt. „Wir können die Sehkraft der Pferde erhalten und die migräneartigen Kopfschmerzen der Pferde werden geheilt. Wir haben schon Augen gerettet, die eigentlich als nicht mehr zu retten galten.“

Mit den Hufen nach oben geht es per Kran auf den OP-Tisch

Befestigt mit gepolsterten Manschetten an den Fesseln, schweben die Kolosse an einem Kran mit den Hufen nach oben an einer an der Decke montierten Schiene von der Box in den OP. Dort werden der Glaskörper und die sich darin befindlichen Bakterien sowie Entzündungsprodukte entfernt, gleichzeitig wird eine Glaskörperersatz-Flüssigkeit dem Auge zugeführt.„Die Entzündungsprodukte kann man in der chirurgisch entnommenen Flüssigkeit gut erkennen“, sagt Leser, „es sind schwebende Partikel.“

Dr. Stephan Leser zeigt die Flüssigkeit, in der sich die entzündlichen Partikel befinden.
Dr. Stephan Leser zeigt die Flüssigkeit, in der sich die entzündlichen Partikel befinden. © HA | Carolin George

Für das Pferd bedeuten sie nicht nur eine ständige Beeinträchtigung der Sicht, sondern die Entzündung ruft eben auch migräneartige Schmerzen hervor. Die Entzündungsschübe kann man äußerlich manchmal gar nicht sehen, wenn das Auge noch nicht geschwollen ist.

„Ein Pferd leidet im Stillen. Das sagt keinen Ton.“

Und von seinen Schmerzen wird das Pferd außer Augenkneifen, Abwehrbewegungen und Lichtempfindlichkeit wenig Preis geben, sagt der Arzt. „Ein Pferd leidet im Stillen. Das sagt keinen Ton.“

Eine Halterin, die in Sittensen bereits eine Stute hat operieren lassen, ist Astrid Ehrengut. Mit ihrer Familie und 20 Pferden lebt sie in einem ehemaligen Forsthaus, idyllisch gelegen mitten im Sachsenwald. Als ihre Stute von Fürstenball, Kosename Pippa, das zweite Mal innerhalb weniger Wochen unter einer Augenentzündung litt, wurde sie bereits skeptisch – und besorgt.

Vor vielen Jahren hatte sie einen Hengst einschläfern lassen müssen, weil die Schmerzen und Beeinträchtigungen durch die Periodische Augenentzündung zu stark geworden waren. „Es ist faszinierend, was medizinisch heute möglich ist“, sagt Ehrengut, die seit ihrer Kindheit reitet, erfolgreich als Turnierreiterin unterwegs ist und auch selbst züchtet. „Hätte Pippa die Operation nicht bekommen, würde es ihr heute wesentlich schlechter gehen. Und ihre Lebenserwartung wäre wesentlich kürzer. Es wäre so schade um diese schöne Stute.“