Buchholz. Training für den Körper, Hilfe für die Seele. Was der Umgang mit Pferden bewirken kann. Ein Besuch auf der Moorwegweide in der Nordheide.

Mit wehender Mähne kommt Marni zum Gatter der Moorwegweide gelaufen. Die dunkelbraune Stute ist mit ihren 20 Jahren die Chefin einer siebenköpfigen Pferdeherde. Neugierig schnaubend erkundet sie die Jacken der Besucher, tastet mit ihrem weichen Maul über ausgestreckte Hände und lässt sich gelassen das Fell streicheln. Ländliche Idylle im Buchholzer Ortsteil Steinbeck.

Eine Idylle, die Dr. Sabine Krüger nutzt, um Menschen zu helfen, die körperliche und psychische Beeinträchtigungen haben. Bei der Reittherapie, die die Ärztin in Buchholz anbietet, ist der Umgang mit Pferden Programm. „Pferde kommen ohne Vorbehalte auf uns zu, in ihrer Berührung liegt Wärme und uneingeschränktes Interesse an unserer Person, unabhängig davon, was wir darstellen oder besitzen“, sagt die Medizinerin. Das motiviert.

Diejenigen, die Kontakt zu Mitmenschen meiden, finden zu Pferden schnell einen Draht

Auch diejenigen, die den Kontakt zu ihren Mitmenschen gern meiden, finden zu Pferden schnell einen Draht, so Krügers Beobachtung. Eine Reittherapie fördert nicht nur die Konzentration, die Achtsamkeit und die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und zu respektieren. Es ist nach ihrer Erfahrung zugleich Balsam für die Seele und kann helfen, Traumafolgen, Depressionen, Angststörungen oder Burnout zu überwinden. Außerdem: Bewegung auf dem Pferderücken trainiert die Rumpfmuskulatur und löst Verspannungen.

Sabine Krüger sammelte schon als Kind erste Reiterfahrung. Lange träumte sie von einem eigenen Pferd. Ein Traum, den sie sich als junge Ärztin endlich erfüllen konnte. Sie kaufte sich eine Trakehnerstute. Frisch verheiratet, mit zwei kleinen Töchtern, zog Sabine Krüger nach Buchholz um und brachte die Trakehnerstute mit. Und ein Plan entstand, der das Leben der Familie gewaltig auf den Kopf stellen sollte.

Dr. Sabine Krüger forschte an der Universitätsklinik Lübeck zu Transfusionsmedizin

Angeregt durch einen Film über die heilsame Wirkung von Pferden auf autistische Kinder, beschloss Sabine Krüger, die an der Universitätsklinik Lübeck zu Transfusionsmedizin geforscht hatte, ihren Arztkittel an den Nagel zu hängen. Sie machte eine dreijährige Ausbildung zur Reittherapeutin. Seit 2014 bewirtschaften die Krügers die Moorwegweide. Seit 2016 gibt es die Reittherapie auf dem idyllisch gelegenen Grundstück. Und die Pferdeherde wächst.

Der erste Klient von Sabine Krüger war der Sohn einer Freundin, bei dem eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert worden war und der zu Wutausbrüchen neigte. Die Besuche auf der Moorwegweide wurden für ihn zur heilsamen Erfahrung. Denn: „Pferde spiegeln unser Verhalten und stellen uns vor Aufgaben“, erläutert die Ärztin. „Sie prüfen, ob derjenige, der sie führt, wirklich das ranghöhere Herdentier ist, das Entscheidungen für sie treffen und sie beschützen kann.“

Wer unklare Signale gibt, wird erleben, dass das Pferd die Führung übernimmt

Wer unaufmerksam ist oder unklare Signale gibt, wird erleben, dass das Pferd die Führung übernimmt. Dorthin läuft, wo der Mensch gar nicht hinwollte. Ein unmittelbares Feedback, das Kinder und Erwachsene nachhaltig beeindruckt und sogar für das Management-Training genutzt wird. Auch Sabine Krüger hat ehrenamtlich schon einige Führungsseminare auf ihrer Pferdekoppel abgehalten.

Und dabei beobachtet: „Vielen fällt es schwer, ihre Stimme und ihre Körpersprache mit dem in Einklang zu bringen, was sie wirklich wollen.“ Ein müder Zuruf „Galopp“ oder gar „Hüh“ bringe kein Pferd in Gang. Wie es besser geht, macht sie gleich vor: Mit geradem Rücken, fest in den Boden gestemmten Beinen und energischer Stimme dirigiert sie ihre Pferdeherde von einer Ecke der Weide zur anderen, ohne auch nur ein Tier zu berühren.

„Man muss sich aufrichten, wenn man etwas erreichen will. Das gilt auch in anderen Lebensbereichen“

„Man muss sich aufrichten, wenn man etwas erreichen will. Das gilt auch in anderen Lebensbereichen“, sagt sie. Wer die Wirkung der Reittherapie erfahren will, muss dazu nicht immer in den Sattel steigen. Auch Spaziergänge mit dem Pferd können heilsam sein, erklärt Sabine Krüger. Gern fordert sie Kinder und Erwachsene auf, die Pferdepflege zu übernehmen und das Fell zu striegeln. Eine vertrauensbildende Maßnahme. „Das Pferd weiß gleich, mit wem es zu tun hat.“

Auch Reitunterricht ist möglich. Ein abgezäuntes Rund, in dem Anfänger an der Longe reiten, steht zur Verfügung. Für jeden gibt es das passende Pferd. Dank Offenstallhaltung mit maximaler Bewegungsfreiheit sind die Tiere auf der Moorwegweide sehr ausgeglichen und sanft im Umgang. Mehr als 20 Klienten betreut Sabine Krüger derzeit. Manche von ihnen kommen schon seit Jahren.

Förderverein Reittherapie Nordheide unterstützt Familien mit geringem Einkommen

„Reittherapie ist nicht ganz billig, und der Erfolg der Therapie lässt sich nur schwer messen“, sagt die Ärztin. Doch wenn sie sieht, wie Kinder mit spastischer Lähmung sicher auf dem Pferderücken sitzen, wie autistische Kinder, die in sich verschlossen sind, im Sattel zum ersten Mal lächeln und wie Verschüchterte mit wenig Selbstvertrauen aufblühen, weil ihnen ein so starkes Lebewesen wie das Pferd gehorcht, geht ihr das Herz auf.

Um auch Kindern aus Familien mit geringem Einkommen eine Reittherapie zu ermöglichen, hat sie zusammen mit anderen Bürgerinnen und Bürgern aus Buchholz den gemeinnützigen Förderverein Reittherapie Nordheide gegründet, der Spenden für das Projekt sammelt.

Das Spendenkonto: IBAN DE39 2075 0000 0090 9367 90, BIC NOLADE21HAM, Sparkasse Harburg-Buxtehude. Weitere Informationen im Internet unter www.reittherapie-www.de.