Landkreis Harburg. Pferdehaltung wird teurer. Wie sich Pferdebesitzer, Reiter, Betriebe und Vereine gemeinsam gegen die Krise stemmen

Für Emil Lessin liegt das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde. Genauer: Auf dem Rücken von „County“. Der Schimmel gehört dem Zehnjährigen zwar nicht, aber er hat eine Reitbeteiligung am Hannoveraner und ist so oft wie irgend möglich im Stall, um das Tier zu reiten und zu umsorgen. „Ich freue mich einfach immer, ihn zu sehen. Es fühlt sich gut an. Hier zu sein, macht meinen Kopf frei“, sagt der Junge, bevor er sich weiter dem rhythmischem Auf und Ab im Sattel hingibt. Er genießt die geschmeidigen Bewegungen des Tieres, seinen Geruch, seine Wärme, das vertraute Schnauben.

Die Begeisterung für Pferde wurde Emil in die Wiege gelegt. Als er klein war, hatten beide Eltern eigene Reittiere. Jetzt ist nur noch „Sazou“, die Stute der Mutter, in Familienbesitz. „Ein zweites Pferd könnten wir uns nicht mehr leisten“, sagt Simone Lessin. Die in Teilzeit beschäftigte Industriekauffrau und ihr Mann, Spezialist für Wassertechnik, sind Durchschnittsverdiener. Damit Frau und Sohn weiter reiten können, hat der Handwerker zusätzlich zu seiner Vollzeitstelle einen Nebenjob angenommen. Und auch die 44-Jährige verdient dazu, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Denn neben den Lebenshaltungskosten steigen auch die Ausgaben für ihr Hobby. Reitsport könnte wieder zum Luxus werden.

Ross und Reiter sind von den Folgen des Ukraine-Krieges betroffen

Denn auch Ross und Reiter sind von den Folgen des Ukraine-Krieges betroffen. Mit der Weizen-Knappheit wurde Kraftfutter teurer. Der Stopp der Düngemittellieferungen zog eine Teuerung für Heu und Stroh nach sich. Vor allem die hohen Energiepreise nach Ende der Erdgasimporte aus Russland wirken sich vielfältig aus. Teurer Diesel erhöht die Kosten für Transporte und den Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen. Dazu kommen deutlich höhere Stromkosten für Licht in den Ställen und das Beheizen von Tränken. Die Holzknappheit trifft Reitbetriebe in Form von teureren Zaunpfählen und Einstreu.

In der Helmstorfer Reitanlage Behrens, in der „County“ und „Sazou“ sowie 52 weitere Pferde und Ponys eingestellt sind, liegt die Monatsmiete für eine Pferdebox je nach Größe und Ausstattung bei 450 bis 550 Euro inklusive Versorgung, Futter und Stroh.

Im vergangenen Jahr hat die Pächterin Christina Behrens den Preis um 60 Euro erhöhen müssen. Das bedeutet eine Steigerung von etwa 20 Prozent. Christina Behrens verdient trotzdem weniger als zuvor. Allein die Anhebung der Löhne für die Beschäftigten – eine Vollzeit- und eine Teilzeitkraft, vier Aushilfen – vergrößern die Ausgaben für den Stallbetrieb deutlich. „Alle Kostenerhöhungen kann ich gar nicht an meine Kunden weiter geben. Es geht ja auch erst einmal um den Erhalt des Betriebes. Und die Versorgung der Pferde, mit allem was sie brauchen, steht für mich an erster Stelle. Da ist mir Qualität sehr wichtig“, erklärt die 51-Jährige, die selbst seit ihrer Kindheit reitet und aktuell eine Stute nebst Fohlen besitzt. Verantwortungsgefühl den Tieren und der Stallgemeinschaft gegenüber sowie die Liebe zu Pferden eint die Reiterhof-Chefin und ihre Einsteller.

Ehrensache, gemeinsam an einem Strang zu ziehen

Es ist für alle Ehrensache, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und unnötige Ausgaben zu vermeiden. „Wir achten jetzt noch genauer darauf, dass weder Strom noch Stroh oder Futter verschwendet werden“, berichtet Simone Lessin. Christina Behrens hat darauf verzichtet, den Preis für ihren Reitunterricht anzuheben. „Wir haben viele ambitionierte Kinder und Jugendliche im Stall. Ihre Förderung liegt mir am Herzen.“

Simone und Emil Lessin
Simone und Emil Lessin © HA | martina berliner

Kindern und Jugendlichen, Tiere und Natur näher zu bringen, ist auch Ziel des Ponyclub Ohlendorf. Dennoch musste der gemeinnützige Verein, dem 28 Pferde und Ponys gehören, die Tarife für Reitstunden schon vor einem Jahr erhöhen. „Wir waren nicht gut durch den Coronawinter 21/22 gekommen. Dass es danach überhaupt weiter gehen konnte, ist nur großzügiger Spendenbereitschaft zu verdanken“, erzählt die Erste Vorsitzende Frederike Engels. Der Vereinsbeitrag ist gering. Die Finanzierung läuft vor allem über die zahlreichen Reitkurse, an denen auch Nichtmitglieder teilnehmen dürfen. Je nach Alter und Mitgliedschaft betragen die Gebühren für den Kurs jetzt zwischen 55 und 75 Euro monatlich. Früher konnte Unterricht noch wochenweise gebucht werden. Auch Anmeldungen für geführte Ausritte oder Ponytouren sind nicht mehr kostenfrei zu stornieren.

Einsatzbereitschaft, ehrenamtliche Arbeit und finanzielle Unterstützung

„Wir brauchen einfach Planungssicherheit“, sagt Frederike Engels. Die 25-Jährige verbrachte schon als Kind viel Zeit auf der Jugendfarm, weil sich ihre Mutter bereits seit Mitte der 1970er Jahre für den Ponyclub engagiert. Inzwischen ist Frederike Schiffbauingenieurin mit Fulltime-Job. Trotzdem ist sie nach Feierabend regelmäßig auf der Reitanlage zwischen Ohlendorf und Horst präsent. Ehemann und Eltern unterstützen sie nach Kräften. Auch die große Mehrzahl der 215 Mitglieder fühlt sich dem Verein zutiefst verbunden. Ohne deren Einsatzbereitschaft, ehrenamtliche Arbeit und finanzielle Unterstützung könnte der Ponyclub nicht existieren. So liefert ein benachbarter Bauer Heu zu Vorkriegspreisen. Jedenfalls bis heute. Auch die Tierärztin stellt ihre Rechnungen für die Behandlung der Vereins-Pferde meist nicht nach der seit Oktober geltenden neuen Gebührenordnung, sondern orientiert sich am alten Satz. Noch.

Der Schmied hat seinen Tarif für Hufbeschlag zwar erhöht, allerdings nur moderat. Bisher. „Wir wissen nicht, ob in diesem Jahr weitere Erhöhungen auf uns zu kommen“, sagt Frederike Engels. Sie zieht sich im ungeheizten, feuchten Aufenthaltsraum fröstelnd das Stirnband über die Ohren. Der Gasofen wird aus Kostengründen schon lange nicht mehr genutzt, es regnet durchs undichte Dach. Aber das ist im Ponyclub zweitrangig. Wichtiger ist der Ankauf eines neuen Ponys, denn während der Pandemie hatten viele Kinder Gelegenheit, ihre Liebe zu Pferden zu entdecken. Die Nachfrage nach Reitstunden hat eher zu- als abgenommen.

Nachfrage nach Reitstunden hat eher zu- als abgenommen

Frederike Engels mit ihrem „Baby blue eyes“ im Ponyclub Ohlendorf.
Frederike Engels mit ihrem „Baby blue eyes“ im Ponyclub Ohlendorf. © HA | martina berliner

Auch Christina Behrens sieht die Zukunft optimistisch. „Wir kommen gemeinsam durch die Krise. Bloß nicht gleich die Pferde scheu machen!“ Sie kennt bisher niemanden, der sein Pferd aus Kostengründen abgegeben hätte. All ihre Boxen sind ausgebucht, die Warteliste ist lang. Ihre Erfahrung: Wer ein Pferd besitzt oder das Reiten für sich entdeckt hat, wird alles tun, um sein Tier zu behalten. Auch Emil Lessin hat sich schon Gedanken über die Zukunft gemacht. „Ich würde arbeiten, um das Geld für meine Reitbeteiligung an ‚County‘ selbst zu verdienen.“