Winsen. Millionen Menschen spielen Fußball an der Konsole – vom Bundesligaprofi bis zum Hobbyzocker. Was macht eigentlich die Faszination aus?
Wenn beim Abendspiel der Fußball-Bundesliga das Flutlicht ausfällt, herrscht Stillstand und Dunkelheit. Ein ähnliches Szenario spielte sich jüngst im Clubheim des TSV Winsen ab, wenn auch auf einer anderen Ebene: Hier starrte man nicht auf ein finsteres Fußballstadion, sondern plötzlich auf einen schwarzen Bildschirm.
Die Empörung war groß. Stromausfall, für einen Moment ging nichts mehr. Das elektronische Fußballturnier – vorerst unterbrochen, man war zurück in der Realität. Viele Teilnehmer mussten um ihren Sieg, ihre Tore bangen, Spielstände verschwanden. Die große Faszination Gaming, ganz ohne Strom: schlechterdings unmöglich.
Faszination EA Sports FC und das Worst Case Scenario: Stromausfall
So geschehen beim Qualifikationsturnier des Landkreises Harburg um die Finalteilnahme bei der Niedersachsenmeisterschaft im eFootball. Zwei Teams trotzten sowohl dem Stromausfall als auch den Gegnern und sicherten sich das Ticket.
Und der Strom? War schnell wieder verfügbar – nachdem die Organisatoren die Verteilersteckdosen für die diversen Terminals der Teilnehmer auf mehrere Stromquellen verteilt hatten. Zuvor hatten sie versucht, den kompletten Saal aus lediglich einer Steckdose zu speisen. Schnell wurde klar: Beim Konsolenfußball hängen Spielerlebnis und Emotionen am seidenen Faden – und am Strom.
Im Vereinsheim am Jahnplatz wurde EA Sports FC 24 gespielt, früher einfach bekannt als FIFA. Der Fußballsimulator dominiert seit Jahren den Gaming-Markt. Unter den Teilnehmern des Kreisentscheids befanden sich jedoch nicht nur Konsolen-Affine, sondern auch Vereinsspieler des analogen Fußballs. Die Emotionen kochten hoch, es wurde gejubelt und geflucht. Was die Stimmungsachterbahn anbelangt, verkleinerte sich die Kluft zwischen Simulator und Realität immer weiter. Während eines Gruppenspiels rief ein junger Mann begeistert: „In FIFA ist alles möglich!“ Ist das so?
Raum für Individualität – beim EA Sports FC 24-Turnier gelten jedoch bestimmte Vorgaben
Ein Blick auf die Turniervorgaben genügt, um die Aussage zumindest nachvollziehen zu können. Verschiedene Schwierigkeitsgrade, Wettkampf-Modi, Tageszeiten, Wetterverhältnisse – all das lässt sich in der Theorie individuell einstellen, wenn auch für das Turnier bestimmte Vorgaben gelten.
Dennoch klingt es so, als könne das Videospiel eine realitätsnahe Fußballerfahrung schaffen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, betonen Johann und Theo. Beide sind bei der SG Elbdeich aktiv und nehmen ebenfalls am Qualifikationsturnier teil.
Ein Spielerlebnis „fast wie auf dem Platz“ – mit einer Ausnahme
Seit mehr als sechs Jahren spielen die beiden den Fußballsimulator an der Konsole. Dennoch war es ihr erstes Turnier, sie wollten ihr Glück versuchen. Die vielen Einstellungsmöglichkeiten schätzen sie sehr. „Dadurch ist man an der Konsole sehr nah dran an der Realität, es ist fast wie auf dem Platz. So schöne Tore wie in FIFA erzielt man in Wirklichkeit aber nur selten“, erklärt Johann und lacht.
Das sei für ihn allerdings nichts Negatives, ganz im Gegenteil: „Es lässt sich bestens in die Welt der Profis eintauchen, Idole und Lieblingsteams können frei gewählt werden.“
eFootball an der Konsole: Spiel mit dem Kopf, nicht mit dem Fuß
Die beiden Jungs kennen sich und sind ein eingespieltes Team, berichtet Theo: „Während eines Spiels geben wir uns kleine Anweisungen, ansonsten sind wir aber in unserem eigenen Fokus.“ Damit allein ist es allerdings nicht getan. Johann ergänzt, für den Erfolg zähle weitaus mehr: „Beim eFootball ist vor allem der Kopf gefordert, weniger die körperliche Stärke. Es geht hauptsächlich um Konzentration, es gibt keine Entlastung. Hier liegt ein Unterschied zum gewöhnlichen Fußball.“
Für Johann und Theo war im Viertelfinale jedoch Schluss. Etwas weiter, bis ins Halbfinale, kamen Brian und Lukas vom TSV Winsen. Insbesondere während der Corona-Pandemie haben beide das Online-Gaming genossen, erläutern sie. Auf der Konsole konnten sie ihre Freundschaft und ihre fußballerische Leidenschaft grenzenlos ausleben.
Zocken statt Fußballtraining: Selbst aktive Spieler warnen vor den Gefahren
Lukas bekräftigt: „In diesen Zeiten hat man gesehen, was mit eFootball möglich ist. Die Interaktion und das Miteinander hat vielen Menschen gefehlt – an der Konsole war und ist das kein Problem.“ Was früher auf dem Bolzplatz geschah, geschieht heute (auch) vor dem eigenen Monitor.
Dieser soziale Reiz dürfe allerdings nicht dazu führen, klassischen Sport im Freien zu vernachlässigen, warnen beide. Als „Ersatz“ zu herkömmlichen Sportarten dürfe Gaming mit Freunden nicht angesehen werden. Lukas verrät: „Ich merke das in meiner Fußballmannschaft. Die Jungs zocken lieber und sagen deswegen teilweise das Training ab.“
Der Jubel war groß, als der Schlusspfiff ertönte. Nach vier Stunden Fußball kannte das Turnier endlich ein Gewinnerteam. Stolz und erleichtert legten Paul und Malek die Controller aus der Hand, sie haben sich im Finale mit 4:2 durchgesetzt.
- eFootball: Pöppe und Cankal stoßen auf berüchtigtes Fifa-Talent
- eSport: St. Paulis eFootballer verpassen Titel an der Konsole
- Sportler in der Coronakrise: Konsole statt Kraftraum
Obwohl kaum eine Schweißperle zu sehen war, wirkten sie ähnlich erschöpft wie nach einer normalen Fußballpartie. Das erfahrene Duo der SG Winsen/Scharmbeck erzählt: „Wir haben gut verteidigt, das ist beim eFootball sehr wichtig. Deswegen haben wir gewonnen.“ Eine effektive Kommunikation und ein gutes Mindset hätten zudem geholfen, ergänzt Malek. Dinge, die auf dem Fußballplatz auch nicht ganz unbedeutend sind.
EA Sports FC 24: Vier eSportler aus dem Landkreis Harburg fahren nach Hannover
Die Leidenschaft des Fußballs müsse nicht immer nur auf dem Platz ausgeübt werden – auch die Konsole könne ein ähnliches „Feeling“ schaffen und mehr als nur eine nette Abwechslung sein. Außerdem betont Paul: „Manchmal lassen es bestimmte Dinge nicht zu, auf einem richtigen Fußballfeld zu spielen, beispielsweise das Wetter. Egal, ob groß oder klein, ob dick oder dünn – beim eFootball kann sich jeder messen und mit anderen interagieren. Das hat eine Menge Potenzial.“ Und einen Hauch von Bolzplatz.
Gegen die Konkurrenz aus ihrem NFV-Kreis hat sich das Duo nun behauptet. Natürlich wollen beide im Finalturnier der VGH Masters in Hannover eine ähnliche Leistung zeigen, wenn auch der Spaß für sie im Vordergrund steht. „Wir wollen in erster Linie hinfahren und mal schauen“, geben sie zu. Begleitet werden sie vom Zweitplatzierten, einem Zweierteam des TuS Fleestedt. Zu viert repräsentieren sie den Fußballverband Harburg und messen sich im Februar mit anderen Kreisauswahlen.
EA Sports FC 24 in Winsen – eine Stärkung für die Fußballvereine
Auch NFV-Präsident Ralph-Uwe Schaffert blickt optimistisch auf das bevorstehende Turnier: „Wir bereichern damit das Leben in unseren Vereinsheimen und fördern das gesellige Miteinander.“ Weiter heißt es vom Verband, man verbinde mit dem VGH Masters zwei Aspekte: „Die niedersächsischen Fußballvereine werden gestärkt und gleichzeitig wird die Chance erhöht, junge Menschen an die Vereine heranzuführen.“