Kreis Pinneberg. Neue Studie zur Kindergesundheit zeigt „Verhaltensauffälligkeiten“. Die Jugend bewege sich zu wenig. Das sind die Krankheitsmerkmale.
Die monatelangen Schulschließungen während des Corona-Lockdowns 2020 und 2021 haben die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen im Kreis Pinneberg maßgeblich beeinträchtigt. Das geht aus aktuellen Daten hervor, die das Gesundheitsamt des Kreises und auch die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung auf der ersten Konferenz für Kinder und Jugendgesundheit vorgelegt haben.
Demnach ist jedes neunte Kind bei der Einschulung übergewichtig und 6,5 Prozent der Jungen verhaltensauffällig. Bei den Mädchen ist dies nur bei 2,2 Prozent der eingeschulten Kinder der Fall. Dafür ist der Anteil der Mädchen, die über Depressionen und Angststörungen klagen, mit zwei Prozent fast doppelt so hoch wie bei den Jungen. Und jedes achte Kind im Alter von 10 bis 17 Jahren weise ein „riskantes Computerspielverhalten“ auf. Bei 6,3 Prozent – 332.400 Kinder deutschlandweit – sei diese Spielsucht bereits pathologisch.
Bei der Einschulung ist jedes neunte Kind im Kreis Pinneberg übergewichtig
Umso dringender sei diese erste Gesundheitskonferenz, zu der der Kreis etwa 50 Lehrkräfte, Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Ärzte, Beratungsstellen und den Kreissportverband erstmals ins Kreishaus eingeladen hatte, sagte Landrätin Elfi Heesch. „Dies ist ein weiterer Meilenstein für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung im Kreis Pinneberg. Für uns geht es darum, wie wir die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen schützen und verbessern können.“
Es gelte, den Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen zu verringern, die psychischen Erkrankungen anzugehen und den Medienkonsum einzuschränken, der im Corona-Lockdown „massiv zugenommen“ habe.
Gesundheitsreport: Alle 3200 eingeschulten Kinder wurden ärztlich untersucht
Nachdem fast drei Jahre lang die Schuleingangsuntersuchungen wegen des gesetzten Schwerpunkts in der Kreisverwaltung, die Corona-Infektionen nachzuverfolgen, nicht vollumfänglich passierten, seien in diesem Jahr wieder alle 3200 Kinder ärztlich untersucht worden, sagt Angelika Roschning, die das Gesundheitsamt leitet. „Da haben wir wieder das normale Niveau erreicht.“
Bei diesen Untersuchungen zeigte sich jetzt aber auch eklatant, dass es „große soziale Unterschiede“ beim Gesundheitszustand der Kinder und Jugendliche gebe, führte Landrätin Heesch aus. Wer in einem ärmeren, bildungsferneren Elternhaus aufwächst, sei erheblich anfälliger für Krankheiten, Suchtverhalten und Verhaltensauffälligkeiten.
Ein Drittel aller Kinder fühlt sich einsam, jedes zweite in sozial schwachen Familien
Das bestätigte Svenja Langemack von der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in Kiel, die das Hauptreferat hielt. So klage ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen darüber, dass sie sich einsam und alleingelassen fühlten. Bei Mädchen ist dieser Anteil mit 41 Prozent doppelt so hoch wie bei den Jungen mit 23 Prozent.
Aber bei Kindern und Jugendlichen mit niedrigem sozialen Status ist dieser Anteil mit 50 Prozent fast doppelt so hoch wie bei denjenigen mit hohem sozialen Status, zitierte sie eine aktuelle Studie.
80 Prozent der Kinder und Jugendlichen essen lieber Chips und Süßes als Obst
Auch die Ernährung von Kindern und Jugendlichen ist weit davon entfernt, gesundheitsfördernd genannt zu werden. Nur ein bis zwei Prozent der Sechs – bis Elfjährigen und sieben (Jungen) bis 16 Prozent (Jungen) der 12- bis 17-Jährigen würden täglich mehrmals Obst und Gemüse essen.
Während vier von fünf Kindern mehr als zehn Prozent ihrer täglichen Energie mit Süßigkeiten, Chips, Keksen oder Limonade abdeckten. Darum forderten drei Viertel aller Eltern, dass an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel verboten werden sollte, zitierte Svenja Langemack eine AOK-Studie.
Wie sich das Bewegungsverhalten von Kindern mit zunehmendem Alter verschlechtert, zeigte eine weitere Studie. Danach würde sich noch knapp die Hälfte aller Vier- bis Fünfjährigen noch ausreichend bewegen. Bei den 11 bis 17-Jährigen sind es nur noch 15 Prozent, wobei sich auch hier die Mädchen weniger bewegten als Jungen.
Bundesweit sei deshalb der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen drei und 17 Jahren mit Übergewicht bereits auf 15,4 Prozent angestiegen. 5,9 Prozent – jedes 17. Kind – ist deutschlandweit bereits adipös, referierte die Expertin aus Kiel.
96 Prozent aller Lehrer sorgen sich um psychische Belastung der Schüler
Die zunehmenden psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen sei eklatant, führte Svenja Langemack an weiteren Studien aus. So lebten 3,8 Millionen Kinder in Elternhäusern, in denen entweder die Mutter oder der Vater psychisch erkrankt oder alkoholsüchtig sei.
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Da die Hälfte aller psychischen Erkrankungen vor dem 19. Lebensjahr und drei Viertel vor dem 25. Lebensjahr entstünden, sei dies eine gefährliche Entwicklung, die sich auch bei einer Umfrage unter Lehrern bestätigte. So machten sich 96 Prozent aller Lehrkräfte Sorgen um die Psychische Belastung ihrer Schülerinne und Schüler.
Alkoholkonsum unter Jugendlichen ist rückläufig und sie rauchen später
Eine positive Entwicklung zeige sich dagegen beim Trink- und Rauchverhalten der Jugendlichen. So sei der Alkoholkonsum in diesem Jahrtausend unter Jugendlichen zurückgegangen, auch wenn 58 Prozent aller 12- bis 17 Jährigen bereits alkoholische Getränke probiert habe und 19 Prozent der 16- bis 17-Jährigen dies regelmäßig tue.
Auch das Einstiegsalter für Tabakkonsum ist nach einer Studie in Schleswig-Holstein von 2003 bis 2017 von 16,2 auf 17,6 Jahre angestiegen. In der Altersgruppe der 15- bis 20-Jährigen sogar von 13,9 auf 16,0 Jahre. Allerdings sei der Anteil der Raucher 2022 im Vergleich zum Vorjahr unter den 14- bis 17-Jährigen deutschlandweit wieder angestiegen und liege jetzt bei 15,9 Prozent, von denen ein Drittel die E-Zigaretten konsumiere, führte die Expertin aus.
Eltern glauben, den Medienkonsum einzuschränken – auf hohem Niveau
Einige Selbstauskünfte von Eltern gingen aber an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. So sind 80 Prozent der Eltern überzeugt, dass sie die Bildschirmzeit ihrer Kinder einschränken würden. Was der Arzt Jürgen Stieh vom Team Jugendgesundheit in der Kreisverwaltung stark bezweifelt. Bei den Schuleingangsuntersuchungen geben die Eltern zumeist an, dass ihre Schützlinge zwei Stunden am Tag Fernsehen würden oder am Computer spielten. „Was soll daran gesund sein bei sechs Jahre alten Kindern?“