Hamburg. Die Welt des Sports steht derzeit still. Die ganze? Nein! Wie eFootball und andere Spielformen die Gunst der Stunde nutzen.

Trainieren im Homeoffice? Für eSportler nicht unbedingt ein Szenario, das ihnen fremd ist. Als Umut Gültekin vom Hamburger SV Ende vergangenen Jahres unglaubliche 180 Spiele hintereinander in der Weekend League gewann, bestritt er jedes Spiel in seinem Zimmer in Rahlstedt – der 17-Jährige ist schließlich noch Schüler. Die eigenen vier Wände sind für eSportler keine ungewohnte Umgebung. Hier haben es die meisten zu dem gebracht, was ihnen am Ende einen Profivertrag bescherte.

„Wir können weiter unserer Arbeit nachgehen, für uns fühlt es sich nicht anders an als sonst, da gibt es keine großen Einschränkungen“, sagt Tom Köst, seit Sommer 2019 Profi im eSports-Team des FC St. Pauli. „Obwohl auch ich den Fußball sehr vermisse, so ist es nicht“, schiebt er hinterher.

Die Stille, die Ungewissheit, der fehlende Rhythmus

Es ist eine treffliche Zusammenfassung für die Situation unzähliger Fußballfans dieser Tage. Die Stille, die Ungewissheit, der fehlende Rhythmus ist allen ein Graus – und doch ist da etwas, was den ganzen Betrieb ein wenig am Laufen hält: eSports. Der Kick an der Konsole, der schon immer nicht nur Gamer und Nerds fasziniert hat, sondern auch die Sportler selbst.

Drei Wochenenden lang konnte man sich zuletzt bei der Bundesliga Home Challenge ein Bild davon machen: wie sich Profis der Lizenz- und eSports-Abteilungen packende Duelle an der Playstation lieferten, quer durch die gesamte Erste und Zweite Liga. Wobei Sonny Kittel (HSV), Marvin Knoll und Luca Zander (beide FC St. Pauli) so souverän an der Playstation agierten, dass sie sogar gegen eSports-Profis gut aussahen. Bis zu 18.000 Fans sahen ihnen dabei zu, Spitzenwerte erreichten die Partien des HSV.

Einzelne Profis verbringen viel Freizeit an der Konsole

In Kickerkreisen gilt es als offenes Geheimnis, dass einzelne Profis weite Teile ihrer Freizeit an der Konsole verbringen. Am Wochenende folgt die vierte, vorerst letzte Runde. Das Hamburger Lokalderby steht am Sonntag (18 Uhr) auf dem Programm. Der HSV tritt mit Tim Leibold an, St. Pauli mit Zander.

Auch die eNationalmannschaft nutzt die Gunst der Stunde. In bunt zusammengesetzten Teams trägt sie derzeit Freundschaftsspiele aus. Das Match gegen Frankreich am Dienstag musste allerdings wegen Serverproblemen verschoben werden. Umut Gültekin, einziger Hamburger im eDFB-Kader, sollte dabei an der Seite von Pauline Nelles (Damen U19), Nico Schlotterbeck (U21) und Timo Werner (RB Leipzig) spielen.

Marvin Willoughby spielt mit NBA-Star Dirk Nowitzki Uno

Das Momentum für den eSport könnte größer nicht sein. Während sich die Welt des Fußballs, Handballs, Basketballs derzeit dem Stillstand fügt, machen die digitalen Kicker dort weiter, wo sie zu Beginn der Coronakrise angefangen hatten – bei ihrer Suche nach immer mehr Akzeptanz und Anerkennung. Innerhalb und außerhalb der Branche. Bestes Beispiel: das erste Hamburger eDerby, das am 20. Februar in der Virtuellen Bundesliga (VBL) ausgetragen wurde und live im Fernsehen lief, St. Pauli siegte 7:1. Eine gelungene Übertragung, voller packender Momente. „Ja klar, da waren eine Menge Emotionen im Spiel, von uns, vom HSV – das ist Sport, spätestens da hat man es gesehen“, sagt Tom Köst.

Die Virtual Bundesliga ist inzwischen unterbrochen wie alle anderen Events der „Fifa 20 Global Series“ – die sogenannten Offline-Turniere, die eSportler nicht aus ihrem Wohnzimmer bestreiten, sondern für die sie rund um die Welt fliegen – die hohen Preisgelder sind jede Reise wert. Zuletzt wurde Gültekin im Januar in Atlanta (USA) Weltmeister an der Playstation.

#loggedinfestival nutzt die Gunst der Stunde

Gültekin sei drauf und dran gewesen, sich für den eWorld Cup 2020 zu qualifizieren – was für ein unglaublicher Erfolg wäre das für den 17-Jährigen gewesen. „So ganz spurlos geht die Coronakrise auch an uns nicht vorbei“, sagt Roberto Cepeda, Projektkoordinator eSports beim HSV. Leon Krasniqi wiederum hatte sich noch im März nach hartem Kampf für das Grand Final der Virtual Bundesliga qualifiziert. Das Turnier in Köln wurde abgesagt. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

Auch das gerade in Hamburg gegründete #loggedinfestival nutzt die Gunst der Stunde. Das Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen in ihrer sozialen Isolation beste Gaming-Unterhaltung zu bieten – oder sie überhaupt erst einmal in die eigenen vier Wände zu holen. So habe es jedenfalls begonnen, erzählt Matthias Linnenbrügger, einer der Initiatoren des Festivals, das natürlich kein Festival im traditionellen Sinne ist, mit Bühnen und Bierständen und fußläufigem Zeltplatz. Twitch.tv nennt sich das Festivalgelände, eine virtuelle Plattform, auf der es unzählig viele Bühnen gibt. Für Videospiel-Livestreams, aber auch für immer mehr digitale Kunstformen.

Marvin Willoughby trifft auf Dirk Nowitzki

Auch das #loggedinfestival hat hier seinen eigenen Kanal, täglich wird gesendet, für jeden ist etwas dabei: eSports-Insider und komplette Neulinge, Neugier ist die einzige Voraussetzung. Den Anfang machten Ende März Marvin Willoughby, Sportchef des Basketball-Bundesligaclubs Hamburg Towers, und Viva-con-Agua-Gründer Micha Fritz – mit einer Onlinepartie des Kartenspiels Uno, vergleichbar mit Mau-Mau. Willoughby gewann.

Am Dienstag um 18 Uhr trifft er auf sportdeutschland.tv seinen alten Kumpel Dirk Nowitzki. Auch die früheren Nationalmannschafts-Weggefährten Demond Greene und Robert Garrett waren bei der Aufzeichnung mit von der Partie. „Für mich war das eine Reise in die Vergangenheit. Robert, Marvin, Demond und ich waren Ende der 90er in Würzburg die jungen Wilden, haben sehr viel Zeit miteinander verbracht“, sagte NBA-Star Nowitzki. „Super, dass wir uns jetzt 20 Jahre später digital wieder treffen konnten, um wie früher miteinander Uno zu spielen. Ich habe mich sehr gefreut, die Jungs wiederzusehen.“

Towers-Gesellschafter gründete das #loggedin-Projekt

Inzwischen haben sich weitere eSportler und Prominente der #loggedin-Bewegung angeschlossen. Rapper Sido tritt hier in Mario Kart gegen seine Fans an, VfL Wolfsburgs Sportdirektor Marcel Schäfer zockt Backgammon gegen Augsburgs Kapitän Daniel Baier. Auch um allen zu zeigen: Es braucht nicht viel – um mit denen in Kontakt zu bleiben, für die man in normalen Zeiten ins Stadion gegangen wäre. An die man dort aber wahrscheinlich auch nicht halb so nah herangekommen wäre.

Mitgegründet (und finanziert) wurde das #loggedin-Projekt von Tomislav Karajica, Projektentwickler, Immobilieninvestor und Hauptgesellschafter der Hamburg Towers. Mit der Unterstützung der Hamburger Finanzbehörde und des Bundesrechnungshofs haben die Initiatoren am vorvergangenen Freitag eine eigene Stiftung gründen können. Alle Spenden, die das Festival in Zukunft generiert, gehen zu 100 Prozent an Organisationen, die in der Coronakrise für alle die da sind, die im Moment jede Unterstützung brauchen: Alleinerziehende und Obdachlose zum Beispiel.