Harburg. Verkehrsbetriebe versprechen zum Fahrplanwechsel Besserungen. Genug, um Pendler zum Umstieg zu bewegen?
Gut 90.000 Menschen pendeln täglich aus dem niedersächsischen Umland zur Arbeit nach Hamburg. Für Verkehrspolitiker eine riesige Herausforderung. Vor allem, wenn sie die Pendler dazu bringen wollen, vom Auto auf umweltfreundlichere Alternativen umzusteigen. Derzeit reichen die Kapazitäten auf der Schiene nur für etwa die Hälfte des Bedarfs.
Zwischen Cuxhaven und Hamburg könnten 75 Prozent der Pendler Bahn fahren
Am besten sieht es noch entlang der Unterelbe aus. 24.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pendeln aus den Landkreisen Cuxhaven und Stade nach Hamburg und zurück. Die Bahnlinie verläuft entlang der großen Siedlungsachsen, und die Bahnen haben in der zweieinhalbstündigen Rushhour –Ankunft in Hamburg 6.30 bis 9 Uhr – auch für fast alle Platz. Die knapp 2000 Pendler aus dem Kreis Cuxhaven sind dabei auf die Regionalbahn RE 5 angewiesen, ab Stade setzt dazu die S-Bahn mit ein.
Fünf Züge fahren auf der RE 5 in der Rushhour. Sie hätten Platz für 2650 Fahrgäste. Das hieße, dass sie auch einen Großteil derer mitnehmen können, die aus dem Kreis Cuxhaven lediglich bis Stade pendeln. Für Letztere stellt sich dann aber die Frage, wie sie in Stade vom Bahnhof zu den weit außerhalb der Stadt gelegenen Gewerbegebieten kommen.
22.000 Menschen pendeln aus dem Landkreis Stade nach Hamburg. Ab Stade fährt die S-Bahn im 20-Minuten-Takt, ab Buxtehude verdichtet sich dieser Takt auf zehn Minuten. In der Rushhour kommen so 15 Fahrten zusammen. Bei 416 Sitz- und 612 Stehplätzen pro Zug, finden gut 15.000 Fahrgäste Platz.
Ob eine Stehfahrt von Buxtehude nach Hamburg allerdings attraktiver ist als eine Autofahrt, ist eine andere Frage. Dennoch: Kumuliert könnten die Bahnen in diesem Bereich in der Hauptverkehrszeit rund 18.000 der 24.000 Pendler mitnehmen. Dann könnten ab Neu Wulmstorf zwar keine weiteren Fahrgäste einsteigen, aber man hätte eine Quote von 75 Prozent.
Bahnangebot für Landkreis Harburg ist gemessen an Pendlerzahlen dünn
Ganz anders sieht es im Rest des südlichen Umlands aus: 47.000 Menschen pendeln aus dem Landkreis Harburg nach Hamburg. Sie haben keine S-Bahn zur Verfügung, sondern sind auf vier Regionalbahnlinien des Betreibers Metronom angewiesen: die Expresslinien RE 3 Richtung Uelzen und RE 4 Richtung Bremen sowie die langsameren, weil auch an kleineren Bahnhöfen haltenden, Regionalbahnen RB 31 und RB 41 auf denselben Strecken. Erst ab Frühjahr kommt der Heidebummelzug RB 38 wieder dazu, der derzeit noch in Buchholz endet.
Jede dieser Linien fährt grundsätzlich einmal pro Stunde, also gibt es auf jeder Strecke stündlich zwei Fahrten. Dazu kamen stets sogenannte Verstärkerzüge, die leicht zeitversetzt im selben Zeitfenster fuhren und zusätzliche Kapazitäten boten. Weil es der Metronom GmbH aber an Lokführern mangelt, sind die Verstärkerfahrten derzeit stark eingeschränkt.
Andererseits wurden an allen Metronom-Haltepunkten gerade die Bahnsteige verlängert, sodass ein Zug jetzt statt mit sechs mit sieben Waggons fahren kann. Das steigert seine Sitzplatzkapazität von 705 auf 815. Zählbare Stehplätze gibt es in Metronom-Zügen nicht, weil es kaum Haltegriffe und Haltestangen gibt. Immerhin 13 von 20 derzeitigen Zügen in der Rushhour fahren den siebten Wagen.
Zu den 47.000 Hamburg-Pendlern aus dem Kreis Harburg kommen entlang derselben Einfallstrecken noch 11.000 aus dem Landkreis Lüneburg, 4000 aus dem Kreis Rotenburg, sowie jeweils rund 2000 aus dem Heidekreis und dem Landkreis Uelzen, in der Summe 66.000 Pendler für 20 Bahnen mit 15.500 Plätzen während der Hauptverkehrszeit.
Und ausgerechnet in der Gemeinde mit dem höchsten Pendleraufkommen, Seevetal mit 11.000, halten Expresszüge nicht. Hittfeld, Maschen und Meckelfeld, die drei Bahnhöfe in Seevetal, werden lediglich von der RB 41 (Hittfeld) und der RB 31 (Maschen und Meckelfeld) bedient.
Auto keine gute Alternative: Noch viele Jahre Baustellen auf den Einfallstrecken
Wer nun denkt, das von vielen zwangsläufig genommene Auto sei ohnehin eine gute Alternative, irrt: Die Staugefahr bleibt. Sobald die Bauarbeiten auf der Autobahn A7 beendet sind, starten die Arbeiten an der A1 und werden lange dauern. Eigentlich eine Situation, in der die Bahn mit einem guten Angebot punkten könnte, aber das liefert sie nicht, zumal derzeit viele Metronom-Züge in Harburg enden, weil Brückenbauarbeiten auf der Veddel das Gleisangebot einschränken.
Bis Ende Juli müssen die meisten Umlandpendler in Harburg in die S-Bahn umsteigen, die dadurch ebenfalls sehr voll wird. Die jetzigen Brückenarbeiten sind allerdings nur ein Vorgeplänkel, bevor ab 2025 beide Bahn-Elbbrücken in Sanierung und Neubau gehen und wahrscheinlich wieder dafür sorgen, dass Regionalzüge in Harburg enden.
Wie ließen sich die Kapazitäten der Bahn kurzfristig erhöhen? Einer der größten Fürsprecher der Mobilitätswende ist der Verkehrsclub Deutschland VCD. Alexander Montana ist Vorstandsmitglied der VCD-Region Nord. Er hat einen Tipp: „Sehr kurzfristig ließen sich die Metronom-Bahnsteige noch weiter verlängern“, sagt er. „Bis zu zwölf Waggons pro Zug wären dann möglich. Damit könnte man sich zunächst die Verstärkerzüge sparen und wenn man wieder mehr Lokführer hat, das Angebot wieder ausweiten.“
Auch zum Lokführermangel hat Montana eine Meinung: „Einige Regionalbahngesellschaften gehen da neue Wege und bilden Zugbegleiter zu Lokführern fort. Fällt ein Lokführer aus, kann ein Zugbegleiter übernehmen. Ohne Lokführer fährt kein Zug. Ohne Zugbegleiter schon.“
Nicht nur in Hannover dauern Entwicklungen lange
Mittel- und langfristig braucht man aber vor allem mehr Gleise, so Montana. Und das nicht nur entlang der bestehenden Routen. Man müsse auch sehen, wie man mehr Pendler aus der Fläche an die Strecke bringt. Das Stichwort ist die Reaktivierung alter Bahnlinien. „Zeven-Tostedt wäre ein ideales Beispiel, oder Buchholz-Jesteburg“, sagt Montana. „Und im Großen brauchen wir die Schnellfahrstrecke Hamburg-Hannover – egal in welcher Variante –, um daneben mehr Platz für Regionalbahnen zu haben.“
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Diese Strecke wäre allerdings frühestens 2040 fertig, lange nach dem Stichtag zur Erreichung der Klimaziele 2035, wozu die Verkehrswende erheblich beitragen soll. Woran liegt solche Verzögerung? Montana hat eine Theorie: „Die Entscheider in der niedersächsischen Verkehrspolitik sitzen in Hannover und haben von dort nur wenige Berührungspunkte oder konkrete Erfahrungen mit der Situation im Raum Hamburg“, sagt er. „Und das merkt man!“
Doch nicht nur in Hannover dauern Entwicklungen lange, sondern auch in Hamburg, weiß Frank Wiesner, Verkehrsexperte der Harburger SPD-Bezirksfraktion: „Eine westliche Elbquerung der Bahn, parallel zum Autobahn-Tunnel, wird ausgebremst und auch eine U-Bahn-Linie 4 wird erst in mehreren Jahrzehnten bis Harburg verlängert sein“ sagt er. „Beides ist aber notwendig, um Alternativen zur überlasteten und damit störungsanfälligen Bahnstrecke zum Hauptbahnhof zu haben.“
Quellen: Pendleratlas der Bundesanstalt für Arbeit, Pendleratlas Deutschland der Statistikämter der Länder, Metronom, S-Bahn Hamburg