Buchholz. Gerald Klamer ging monatelang im Wald spazieren. Was er sah, erschreckte ihn. Er fordert weniger Profitstreben und mehr Geduld.
Er war 25 Jahre Förster in Hessen. Innerhalb von neun Monaten ist er sechstausend Kilometer durch Deutschlands Wälder gelaufen und hat dabei drei Paar Schuhe verschlissen. Und er hat das Buch „Der Waldwanderer“ geschrieben; der gebürtige Niedersachse Gerald Klamer. Seine Bilanz: „Wir gehen mit unserem Naturerbe, dem Wald, nicht anständig um.“ Auf Einladung des Klimaforums Buchholz war Klamer jetzt zu Gast in der Empore.
Seine Wanderaktion betrachtet Klamer als „Waldbegeisterungsprojekt
Die Wanderaktion sei von Anfang an als Medienprojekt angelegt gewesen, ein „Waldbegeisterungsprojekt“, erklärt der 56-Jährige, der in seiner Funktionskleidung und mit frischer Gesichtsfarbe aussieht wie gerade zurückgekommen von der strapaziösen Tour. Er schlief unter freiem Himmel, ernährte sich von einer Mischung aus Babybrei, Haferflocken und Schokolade und trank aus Bächen.
Was er sah, fand er teilweise erschreckend: „Der obere Ostharz ist eine ökologische Katastrophe.“ Teilweise fand er es auch ermutigend, wie zum Beispiel die naturnahe Waldbewirtschaftung im Lübecker Stadtwald. „Wir haben einen Schatz“, erklärt Klamer den rund 200 Zuhörern, und der sei alter Buchenwald, den es zu erhalten gelte. Deutschland sei ein Waldland.
Doch wohin man sieht, stirbt der Wald. Grund: „Eine nie dagewesene Dürre zwischen 2018 und 2020.“ Die Fichte, als schnell wachsender Ertragsbaum meist in Monokulturen angepflanzt, leidet besonders unter den veränderten Klimabedingungen. Wärme und Wassermangel machen sie anfällig.
Borkenkäfer dagegen lieben Wärme und Trockenheit. Ihre Larven fressen sich in die Wachstumsschicht der Bäume. Und die Fichte, die normalerweise Borkenkäfereingänge mit Harz verklebt, um sich zu schützen, kann sich nicht mehr wehren, weil ihr die Kraft fehlt.
Borkenkäfer lieben Wärme und Trockenheit, anders als die Fichte
Wenn die Forstwirtschaft anrückt und mit Vollerntemaschinen (Harvestern) die befallenen Bäume aus dem Wald holt, passiere eine weitere ökologische Katastrophe, so Klamer. Bei diesen Aktionen entstünden sogenannte Rückegassen. Hochverdichtete Erde, die bis zu 80 Prozent ihrer Wasserspeicherungskapazität verliert und dergestalt Hochwasser buchstäblich den Boden bereitet. Pilznetze werden zerrissen, Nitrat freigesetzt.
Sogenannte Rückegassen machen mehr kaputt als dass sie helfen
„Schäden, die sich nicht mehr zurückbilden, bis die nächste Eiszeit kommt“, so der Waldexperte. Klamer fordert, Rückegassen nicht mehr in einem Abstand von 20, sondern von 40 Metern einzurichten, selbst wenn dadurch mit Motorsägen vorgearbeitet werden müsse und die Kosten leicht erhöht seien: „Soviel muss uns unser Wald wert sein.“
Blank gefegte Waldböden sieht Klamer ebenfalls nicht gern. „So etwas kommt in der Natur nicht vor.“ Erst durch Totholz bilde und erhalte sich die Humusschicht, die neu heranwachsende Bäume brauchen. Außerdem speichert Totholz Wasser und funktioniert damit wie eine Art Ökokühlschrank an warmen Tagen. Also: Totholz stehen lassen!
Auch die Hast, mit der Flächen neu bepflanzt und die Setzlinge in vielen Teilen Deutschlands sogar mit Wuchshüllen aus Plastik versehen werden, ist Klamer ein Dorn im Auge. Er rät: Abwarten. In 80 Prozent der Fälle schaffe sich der Wald seinen Nachwuchs selbst, aus Millionen von Samen, die von Mutterbäumen herabfallen. Dies sei eine natürliche Baumauslese, die vielleicht sogar eine bessere Anpassungsfähigkeit an die schwieriger gewordenen Umweltbedingungen mitbringe.
Gebot der Stunde: „Werden uns von der Fichte verabschieden müssen“
Allerdings: Zwei Drittel des deutschen Waldes bestehen nach wie vor aus Nadelholz. Waldumbau sei das Gebot der Stunde. „Wir werden uns von der Fichte verabschieden müssen“, sagte Klamer. In Nadelbaum-Monokulturen sollten gezielt andere Arten eingebracht werden. Der Forstwirt, dessen Herz für Laubbäume schlägt, nennt Eiche, Hainbuche, Spitzahorn, Elsbeere und Speierling als heimische Arten, die einem trockenen und warmen Klima trotzen können.
Auch die Weißtanne habe gute Zukunftschancen. Die Douglasie dagegen, ein Import aus Kanada und den USA, sei eine Fehlentscheidung. Auch sie, so habe sich gezeigt, werde von Pilzen befallen, und das heftig.
Die Espe, ein unscheinbares Gewächs, das viele Waldbesitzer nervt, weil es nach jeder Rodungsaktion zuverlässig zur Stelle ist, stellt laut Klamer einen wertvollen Pionierbaum dar, unter dessen Schutzschirm andere Arten heranwachsen. Der Waldfreund rät: „Stehen lassen, die ist schon in 100 Jahren wieder weg.“ Und erntet erstaunte Lächler aus dem Publikum.
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Wer schönen Wald haben wolle, der brauche eben Geduld, bekräftigt der Forstspezialist. Dass imposante alte Bäume leicht mehrere Jahrhunderte auf der furchigen Rinde haben und dass es fast ein Verbrechen sei, diese Baumriesen umzulegen, um daraus Furnier zu sägen, verstehe sich fast von selbst.
„Der Wald als Einnahmequelle? Völlig ungeeignet!“, meint der Dozent
Klamer erzählt, was viele seiner Berufskollegen wissen dürften. Dass sie trotzdem nicht danach handeln, erklärt er so: „Die sind nicht blöd. Aber sie können sich des ökonomischen Drucks, der auf ihnen lastet, häufig nicht erwehren, weil sie zu hohe Einnahmen für öffentliche Kassen generieren müssen“, sagt er. Es sei an der Zeit, sich von der Idee des Waldes als Einnahmequelle zu verabschieden. Das gelte auch für Privatwaldbesitzer, denen die Hälfte der deutschen Waldflächen gehören.
„Der Wald ist nicht nur ein Klimaopfer. Er kann auch unser Helfer sein“
Was dem ehemaligen Förster Hoffnung macht, sind Wälder, die unter Schutz gestellt worden sind und in denen sich nach und nach wieder so etwas wie Urwald ansiedelt. Kennzeichen: eine hohe Baumdichte und großer Artenreichtum. Und damit einhergehend eine überragende Fähigkeit, CO₂ zu binden. „Der Wald ist nicht nur ein Klimaopfer. Er kann im Klimawandel auch unser Helfer sein“, so Klamer. Das gelte es zu nutzen.