Buchholz. Wie junge Unternehmer mit vielseitigen Angeboten und Rundumservice das Einkaufsverhalten in der Nordheidestadt aufmischen.
Wer abends noch einkaufen will in der 40.000-Einwohnerstadt Buchholz in der Nordheide, der hat es schwer. Die Geschäfte in beiden Einkaufszentren schließen mit einer Ausnahme sehr pünktlich um 18 Uhr. Supermärkte halten die Versorgungs-Infrastruktur aufrecht. Doch spätestens um 22 Uhr hatte bisher auch der letzte Laden geschlossen. Eine Belebung des Stadtzentrums verspricht ein neuer Trend: Und der heißt so, wie hippe Läden heute eigentlich gar nicht mehr heißen dürften: Kiosk. Sie bieten Service und Öffnungszeiten, die jedem Berliner Späti Konkurrenz machen könnten.
Kiosk? Genau, das waren doch diese kleinen Büdchen und Trinkhallen, an die sich mancher noch aus seiner Kindheit erinnert. Der Kunde stand draußen, der Inhaber drin. Und wusste meist genau, was man denn haben wollte: welche Lieblingseissorte, welche Zeitung und auch, ob der Haussegen schief hing. Einkaufen ohne Bezahlstress an der Kasse, dafür mit persönlicher Betreuung und hohem emotionalen Wert. Emo-Shopping sozusagen.
Zwischen 2008 und 2018 schlossen laut Handelsverband 2000 Kioske in ganz Deutschland
Dann plötzlich war Schluss mit der Kiosk-Tradition. Zwischen 2008 und 2018 schlossen laut Handelsverband Deutschland, HDE, 2000 Kioske in ganz Deutschland. Einer der Gründe: Tankstellen erweiterten ihr Sortiment und knabberten den langzeitgeöffneten Miniläden den Profit weg.
Nun scheint sich in Buchholz eine Renaissance der Kiosk-Kultur anzukündigen. Vorreiter und Platzhirsch der Kioskisierung von Buchholz: Sehmus Yildirim mit seinen Brüdern Hedef und Ömer. Das kurdischstämmige Trio hat vor über einem Jahr in der Adolfstraße den „Postkiosk am ZOB“ eröffnet, der läuft wie geschnitten Brot. „Als wir gesehen haben, dass da ein Leerstand war, haben wir sofort gemietet“, berichtet der 29-jährige Sehmus.
Süßigkeiten zum Selbstabwiegen, auch Klassiker wie die Fruchtgummikirsche und die Lakritzschnecke
Inzwischen haben er und seine Geschwister viel Zeit und Geld in die Inneneinrichtung des Geschäfts direkt am Busbahnhof investiert. Ein Kiosk der Extraklasse, denn Familie Yildirim lässt ihre Kunden nicht im draußen im Regen stehen. Sondern lockt sie hinein in den Laden, der Herzenswünsche erfüllt. Da gibt es Süßigkeiten zum Selbstabwiegen, sogar Klassiker wie die Fruchtgummikirsche und die Lakritzschnecke sind darunter.
Außerdem: Schokolade, Schokobonbons aus Amerika, Riegel…Da greift auch mancher Erwachsene zu. Sehmus und seine Brüder kennen ihre jungen Kunden ganz genau. „“Wir nehmen viele tictoc-Hypes ins Sortiment, sagt er und zeigt auf die höllisch scharfen Takis-Chips aus Mexiko oder Pickles in der Plastiktüte. Und wenn schon Cola, dann bitte die mit der chinesischen Beschriftung. Das läuft bei den Kids, die morgens aus dem Schulbus in den Laden gepurzelt kommen.
Alkoholische Getränke, Tabak und Shisha-Zubehör: Für jugendliche Kiosk-Kunden natürlich tabu
Die oft vergleichsweise hohen Preise für die It-Pieces schrecken die Youngster nicht, berichtet Sehmus, „die haben oft schon locker zwanzig Euro in der Tasche.“ Klar, dass alkoholische Getränke, Tabak und Shisha-Zubehör, die es ebenfalls im Postkiosk gibt, für sie tabu sind.
Ab 9 Uhr ist der Laden Anlaufpunkt für Seniorinnen und Senioren. Mal eben eine Zeitung kaufen. Mal eben ein Paket verschicken oder abholen, weil man gerade unterwegs war, als der Postbote geklingelt hat. Das kommt an. Der Kiosk beherbergt eine komplette DHL-Filiale mit ebenso netter wie kompetenter Beratung: „Haben Sie denn keinen Retourenschein bekommen?“, fragt Sehmus Yildirim eine Kundin, die daraufhin zu Hause noch einmal nachschauen will, denn: Das spart Porto, in diesem Fall neun Euro.
Im Minutentakt öffnet sich die Tür, die meisten, die jetzt kommen, sind Stammkunden und werden vom Geschäftsinhaber namentlich begrüßt. Er kennt sie, ihre Sorgen, ihre Vorlieben. Von 7 bis 22 Uhr in der Woche, am Sonnabend von 8 bis Mitternacht und am Sonntag von 16 bis 21 Uhr ist Familie Yildirim im Dienst.
„Wir sind jung, wir wollen und können arbeiten“, sagt der Kioskbetreiber
„Wir sind jung, wir wollen und können arbeiten“, so Sehmus, der Lokführer war und dann auf Gastronomie umgesattelt hat, bevor er mit seinen Brüdern den Kiosk in Buchholz eröffnete. Dass diese Entscheidung richtig war, merkt er an Kleinigkeiten wie diesen: Ein Ehepaar kommt vorbei, nicht um einzukaufen, sondern um ihm ein Frühstück zu bringen, selbstgemacht und gutverpackt. Zeit für einen kleinen Schnack findet der smarte 29-Jährige immer, ohne dabei den Blick auf das große Ganze zu verlieren. Nachmittags übernimmt sein Bruder Hedef. Und am Wochenende ist Ömer, der jüngste der Geschwister, dran.
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Kiosk - eine Idee die boomt, weil findige Geschäftsleute damit die Lücken füllen, die der etablierte Einzelhandel lässt. Auch in der Lindenstraße gegenüber dem Kabenhof hat jetzt ein Kiosk eröffnet, der sich mit seinem Angebot noch in der Startphase befindet. Wenige Häuser weiter, an der Kirchenstraße, hat ein Shisha-Shop frisch aufgemacht, der sich ebenfalls als Kiosk bezeichnet und neben Getränken, Knabbereien, Raucherbedarf und Snacks ebenfalls DHL-Service anbietet.
Keine Frage: Die Kioskisierung von Buchholz schreitet voran. Betreiber sieht die Konkurrenz gelassen
Keine Frage: Die Kioskisierung von Buchholz schreitet voran. Sehmus sieht die Konkurrenz gelassen. „Ware ins Regal stellen, das kann jeder. Aber wirklich mit den Leuten zu reden, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, das ist nicht so leicht. Uns ist es offenbar gelungen, denn viele unserer Kunden sind heute auch unsere Freunde.“