Helmstorf. Tierärztin Maren Hänelt ist froh, dass sie nicht täglich Pferdezähne behandelt. Zu Besuch auf einem Hof südlich von Hamburg.
- Auch Pferde sollten zweimal jährlich ihre Zähne bei Zahnarzt untersuchen lassen
- Im Landkreis Harburg ist die mobile Tierärztin Maren Hänelt unterwegs
- Die Behandlung läuft anders als beim Menschen – und ist wesentlich anstrengender
Einem geschenkten Gaul guckt man nichts ins Maul. So heißt es seit jeher im Volksmund. „Dieser Spruch ist sehr veraltet“, sagt Dr. Maren Hänelt und schüttelt ihren Kopf, auf dem eine Stirnlampe leuchtet. Die Tierärztin tut nämlich gerade genau das: Sie schaut einem geschenkten Pferd in die Mundhöhle.
Die Stute heißt „Jenny“, ist 19 Jahre alt und gehört, genauso wie die 22-jährige „Cashy“, seit einem halben Jahr Charlotte Rex. „Eine schwerkranke Bekannte bat mich, mich nach ihrem Tod um die Pferde zu kümmern – und ich habe es versprochen“, erzählt die Helmstorferin, die selbst ein Reitpferd besitzt. Sie hat schon seit Längerem beobachtet, dass sich ihre betagten Pfleglinge mit dem Fressen schwertun. Aber einen Termin bei einem Pferdezahnarzt zu bekommen, ist schwierig. Der Bedarf ist riesig.
Pferde beim Zahnarzt: Tierärztin ist mit mobiler Fahrpraxis in der Region unterwegs
Heute ist es soweit: Dr. Maren Hänelt, die mit ihrer mobilen Fahrpraxis im Speckgürtel Hamburgs und in der Lüneburger Heide zum Wohl der Pferde unterwegs ist, behandelt die Schützlinge von Charlotte Rex in deren Stall in Helmstorf im Landkreis Harburg. Die Medizinerin betreibt auch eine Kleintierpraxis in Hamburg-Horn.
Gerade schiebt sie ihre Hand in die Mundhöhle von „Jenny“. So weit, bis der halbe Unterarm im Schlund des Tieres verwunden ist. „Der hinterste Backenzahn sitzt unterhalb des Auges“, erklärt die 44-Jährige, während ihre mit einem Handschuh versehenen Finger die Molaren abtasten. Damit ihr das überhaupt möglich ist, hat sie das Tier mit einer Beruhigungsspritze sediert.
Vor der Zahnbehandlung steht eine gründliche Allgemeinuntersuchung
Vorangegangen waren ein eingehendes Gespräch mit der Besitzerin und eine gründliche Allgemeinuntersuchung: Herz und Lunge abhören, Lymphknoten abtasten, Fieber messen. Bei einer Zahnbehandlung muss das Pferd gesund sein. Jetzt steht „Jenny“ im Halbschlaf, ihr Kopf ruht schwer auf Charlotte Rex‘ Schulter. Ein Maulgatter spreizt ihre Kiefer, eine Beißschiene schützt den Arm der Ärztin vor den Schneidezähnen.
„Scharfe Kanten im Oberkiefer außen und im Unterkiefer innen“, lautet die Diagnose der Zahnärztin. Überraschend kommt das nicht. Die Kantenbildung ist ein Stück weit der Anatomie des Pferdekopfes geschuldet. „Der Oberkiefer ist breiter als der Unterkiefer“, erklärt die Medizinerin und zeigt auf die schematische Abbildung in der Patientendatei, in der sie ihre Befunde einträgt.
Gepflegte Reitpferde werden viel älter als ihre frei lebenden Artgenossen
Dass die Kantenbildung aber derart ausgeprägt ist, dass Haken und Wellen entstehen, die verhindern, dass Ober- und Unterkiefer aufeinander mahlen können, liegt auch an der Domestizierung der Tiere und nicht zuletzt daran, dass gepflegte Reitpferde heutzutage viel älter werden als ihre einst frei lebenden Artgenossen.
- Zahnärztin für Pferde braucht viel Kraft und schweres Gerät
- Alte Nashorndame übersteht schwierige Zahn-Operation
- Sie setzt auf Pferdepflege aus dem Scheckheft
Wildpferde ernähren sich von hartem Steppengras, knabbern an Zweigen und Baumrinde. Seit Pferde in Ställen gehalten werden, fressen sie überwiegend fertig liegendes Futter: Weiches Heu, Hafer und zunehmend auch Pellet-Mischungen, die oftmals Zucker enthalten. In der Folge nutzen die Zähne sich nicht mehr genügend ab. Es entsteht ein Ungleichgewicht im Pferdemaul, im schlimmsten Fall durch zu viele süße Leckerli auch Karies.
Abschleifen der Zähne mit der elektrischen Zahnraspel bringt Erleichterung
Das Mahlen der Kiefer, das für die Zerkleinerung der Nahrung sorgt, wird dadurch mühsam und schmerzhaft. Von Haken und Kanten verursachte Verletzungen an Wangenschleimhaut, Zahnfleisch und Zunge tragen zusätzlich dazu bei. Die Folge: Die Pferde mögen nicht mehr fressen und leiden unter Verdauungsproblemen durch mangelhaft aufgeschlossenes Futter.
Erleichterung schafft das Abschleifen der Zähne mittels elektrischer Zahnraspel. Das Gerät mit dem münzgroßen Schleifkopf verursacht bei „Jenny“ Unbehagen. Schmerzen leidet sie dank Betäubung wohl nicht, aber das laute Geräusch und die Vibrationen im Schädel stören sie offensichtlich. Maren Hänelt unterbricht die Prozedur mehrfach, macht für „Jenny“ eine Pause, indem sie das Maulgatter schließt. Mit sanft kreisenden Bewegungen massiert sie die strapazierten Kiefermuskeln des Tieres. Endlich, nach dem dritten Durchgang, legt sie die Raspel beiseite.
Weil die Vorderzähne zu lang sind, greift die Tierärztin zur Feile
Nun sind noch die Vorderzähne dran. Sie sind zu lang, obwohl „Jenny“ täglich auf der Weide grast, seit sie bei Charlotte Rex lebt. Dennoch ist die Abnutzung durch das Rupfen des weichen Grases geringer als das natürliche Zahnwachstum. Deshalb greift die Ärztin zur Feile und bearbeitet die Schneidezähne.
Abschließend spült sie das Maul mit einer großen Wasserspritze aus, um abgeschmirgeltes Zahnmaterial zu entfernen. Als die jeweils einstündigen Behandlungen beider Pferde beendet sind, atmen nicht nur die Tiere auf. Auch für Halterin Charlotte Rex war das Stützen und Halten der sedierten und doch widerstrebenden Pferde körperlich anstrengend.
Pferdezahnärztin: Einstündige Behandlung ist für Mensch und Tier gleichermaßen belastend
Und die Ärztin musste über weite Strecken in gebückter Haltung mit beiden Händen, Sensibilität und gleichzeitig Kraftaufwand arbeiten. Sie ist froh, dass sie nicht täglich Pferdezähne behandelt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Kleintierpraxis.
Jetzt trottet „Jenny“, geführt von ihrer Besitzerin, langsam auf wackligen Beinen in die Box, wo „Cashy“ schon döst. In sechs Monaten wird Dr. Maren Hänelt wieder zur Kontrolle nach Helmstorf kommen: Für junge Pferde in der Gebiss-Entwicklung und für alte Rösser ab 20 Jahren gilt der gleiche Leitsatz wie für Menschen: Zweimal jährlich zum Zahnarzt!