Aumühle/Friedrichsruh. Jedes Jahr muss Pferdezahnärztin Andrea Holst den Tieren vom Gnadenhof die Zähne abschleifen. Warum die Zahnpflege so wichtig ist.

Auch Pferde und Ponys müssen mit ihren mindestens 36 Zähnen regelmäßig zum Zahnarzt. „Die Zahnbehandlung gehört zur Routine der Pferdegesundheit“, erläutert Pferdezahn- und Tierärztin Andrea Holst aus Friedrichsruh. „Deshalb müssen ihre Schneidezähne jährlich gekürzt und die Haken, die sich an den Kanten der Backenzähne bilden, geschliffen werden.“

Die Vorfahren der Pferde konnten dem noch mit hartem Steppengras beikommen, heute aber malmen sie weiches Heu, Pferdemüsli oder Kraftfutter. Ohne Behandlung würden die Kiefer der Pferde nicht richtig schließen, sie könnten nicht richtig kauen oder würden sich selbst die Wangen aufschneiden.

Ärztin behandelt seit 20 Jahre die Tiere vom Pferdegnadenhof

Am Montag war die 53-Jährige auf dem Pferdegnadenhof im Einsatz. Hofgründerin Martina Schoof ist froh, dass sie Andrea Holst hat. „Wir kennen uns bestimmt seit 20 Jahren und haben eine tolle Vertrauensbasis“, sagt sie. „Andrea macht das mit Herzblut, im Notfall kann ich sie Tag und Nacht anrufen.“

Die studierte Tierärztin ist die Ruhe selbst, jeder Handgriff sitzt. Da Pferde Fluchttiere und von Natur aus schreckhaft sind, ist dies wichtig. Die Pferde werden vorab mit einer Spritze sediert, außer sie sind so aufgeregt wie die kleine Mini-Shetland-Dame Dutchy. Sie beginnt zu steigen, zittert und ist so angespannt, dass Holst ihr keine Spritze setzen kann.

Ponys brauchen eine Narkose, um still zu halten

Deshalb bringt Scarlett Rosner, ehrenamtliche Helferin des Hofes, Dutchy schließlich zurück in die Box. „Das müssen wir ihr nicht antun, sie zur Spritze zu zwingen, wenn wir auch andere Möglichkeiten haben“, sagt die Veterinärin. Die kleine Stute wird vor dem nächsten Termin eine Standnarkose ins Maul bekommen. Die wirkt zwar erst nach einer Stunde, piekt aber nicht.

Die junge Stute Donna lässt sich schneller von Rosner und Holst beruhigen als ihre Mutter. Schon bald lässt sie betäubt den Kopf hängen, und die Zahnärztin zieht ihr das Maulgatter über. Mit dem Spezial-Zaum können sie den Tieren das Maul aufsperren.

Die Behandlung der kleinen Shettys erfordert kreative Ideen

Nur die Kopfstütze, die die Tierärztin mitgebracht hat, ist für Mini-Shettys zu hoch. Die beiden Frauen funktionieren kurzerhand einen alten Barhocker um, auf dem Donna ihr Kinn ablegen kann. Dann zieht die Veterinärin Gummihandschuhe über, nimmt den Spezial-Bohrschrauber mit langer Welle und Diamantschleifer zur Hand, geht in die Hocke und legt los: Die Metallstange verschwindet im Ponymaul, die Zunge und die Nüstern zucken.

Scarlett Rosner hält den Kopf fest und es quillt Zahnstaub hervor. Gleichmäßig bearbeitet Andrea Holst die Außenkanten der Backenzähne. „Bei den Shettys ist das so eine Sache, ich muss fast auf dem Boden robben, und ihr Maul ist sehr klein. Das macht es nicht unbedingt einfacher.“ Auch wenn sie mit um die 70 Kilogramm handlicher seien als Pferde mit 600 Kilogramm.

Zwischendurch klingelt Andrea Holsts Handy, sie geht ran, bleibt aber knapp: „Bitte rufen Sie in einer halben Stunde wieder an, vielen Dank!“ Werbung brauche sie nicht, zu tun habe sie genug, sagt die Veterinärin. Sie geht morgens um 6 aus der Tür und kehrt um 24 Uhr zurück, sieben Tage die Woche. Eben hat sie noch ein verletztes Pferd genäht, gleich muss sie noch zu zwei fiebernden Pferden.

Milchzähne werden mit Hammer und Meißel herausgeklöppelt

„Viele der Pferderentner behandle ich, seitdem sie auf dem Hof sind“, erzählt die 53-Jährige. „Es macht Spaß, wenn man ihre Entwicklung verfolgen kann.“ Ihre Hündin, ein Labrador-Mix, liegt entspannt im Stroh, Schleifgeräusche und Geruch stören sie nicht, sie spekuliert wohl darauf, dass noch ein blutiger Zahn abfällt.

Doch daraus wird nichts: Donna ist erst fünf Jahre jung, bei ihr ist bis auf die Haken alles in Ordnung. Bei der Kontrolle der Schneidezähne aber fällt auf, dass zwei Milchzähne noch feststecken. Die echten Zähne stehen schon dahinter. „Die müssen wir herausklöppeln, die fallen von allein nicht mehr heraus“, stellt sie fest. Sie greift zum 100-Gramm-Hammer einen Meißel und tröstet das Pony: „Das ist nicht schlimm, die sind gleich draußen.“ Und so ist es auch, Pech für die Hündin.

Keine Rabatte für den Gnadenhof möglich

Rosner zieht dem Pony die Fressbremse, einen Maulkorb über. Denn die nächsten zwei Stunden, solange die Narkose wirkt, darf sie nicht fressen. „Wenn sie nicht richtig kaut, droht eine Schlundverstopfung“, erklärt Andrea Holst. Für ein Pferd kann dies schnell das Todesurteil bedeuten. Zum Schluss ist noch Turnierpony Sindbad dran. Es ist schon älter, bei ihm müssen die Schneidezähne gekürzt werden.

Auch für die 31 Pferde auf dem Gnadenhof darf Holst übrigens keine Rabatte geben: Die Preise richten sich streng nach der Gebührenverordnung. Der Verein, der jetzt den Gnadenhof (Pferdgnadenhof.de) finanziert, muss jedes Jahr an die 3200 Euro für die Zahnbehandlung aufbringen – und dass, wo gerade der Trecker streikt. Geschätzte Kosten: 30.000 Euro.