Winsen. Das Gefährt stand schon vor der Presse, als ein Bastler es entdeckt. Nun ist es 30.000 Euro wert. Was das Auto so besonders macht.
- Die alte Meyra wurde in letzter Minute vor der Schrottpresse gerettet
- Ein Interessent bot 30.000 Euro für das Gefährt
- Bisher hat die Meyra seinen Besitzer nur einmal im Stich gelassen
„Was ist denn das?“ Dieser Frage und neugierigen Gesichtern begegnet Dietmar Pauw ständig, wenn er mit seiner Meyra unterwegs ist. So etwas wie das grüne Mobil des Mannes aus Winsen hat kaum jemand jemals zuvor gesehen.
Es handelt sich um ein dreirädriges Fahrzeug mit Zweitakt-Motor, eine kuriose Kreuzung zwischen Auto, Motorrad und Rollstuhl. Diese ausschließlich mit der Hand zu bedienenden Motorwagen wurden einst für Menschen mit körperlicher Behinderung, vor allem für kriegsversehrte Beinamputierte, gefertigt. Produzent war die Krankenfahrzeugfabrik Wilhelm Meyer in Vlotho an der Weser.
Bruder entdeckte die alte Meyra 1997 auf einem Schrottplatz in Ostfriesland
Die Meyra von Dietmar Pauw ist Baujahr 1956. Sie gehört zur letzten Modellreihe und dürfte der weltweit einzige funktionstüchtige Motorwagen seiner Art sein. „Es wurden ja 1956 überhaupt nur noch 43 Stück davon hergestellt“, weiß Pauw.
Denn im selben Jahr entwickelte Volkswagen auf Basis des VW Käfers einen Umbausatz für Körperbehinderte und schuf damit eine deutlich bequemere und preiswertere Alternative. Die VW-Innovation bedeutete das Aus für Wilhelm Meyers Motorwagen, nicht aber für die Firma Meyra selbst. Bis heute gehört das Unternehmen zu den bekanntesten und erfolgreichsten Rollstuhlherstellern.
Die alte Meyra, die heute makellos glänzt, schien indes kaum wieder flottmachbar, als Pauws Bruder sie 1997 auf einem Schrottplatz in Ostfriesland entdeckte und buchstäblich in letzter Minute vor der Schrottpresse rettete. Jahrzehntelang ungeschützt der salzigen Nordseeluft ausgesetzt, war sie ein Wrack. Durchgerostet das Metall, weitgehend zersetzt das hölzerne Cockpit, zerborsten die Scheibe, verwittert der Sitz. „Durch den Boden waren schon Birken gewachsen. 300 Mark Schrottwert hat mein Bruder gezahlt“, erinnert sich Dietmar Pauw.
Nach Jahren des weiteren Dornröschenschlafs in der Garage von Bruder und Vater übernahm Dietmar Pauw den Wagen und vollbrachte innerhalb von zehn Monaten ein kleines Wunder: In 1000 Arbeitsstunden machte der gelernte Rundfunk- und Fernsehtechniker das Vehikel wieder funktionstüchtig und brachte es durch den TÜV.
Man darf höchstens 60 fahren – und in Linkskurven niemals bremsen!
Etwa 14.000 Kilometer hat der Winsener bis heute damit zurückgelegt – fast so viele wie der erste Besitzer. Pauw fährt zu Oldtimer-Ausstellungen am Kiekeberg, zeigt sich bei Motorradtreffen, macht bei schönem Wetter Ausfahrten und erledigt mit seiner Meyra auch schon mal Einkäufe. Der Zweitakt-Motor hat zehn PS, verbraucht drei Liter Rasenmähergemisch auf 100 Kilometer und läuft theoretisch 70 Kilometer pro Stunde in der Spitze.
„Aber das ist lebensgefährlich. Man darf höchstens 60 fahren und in Linkskurven niemals bremsen. Denn die Kraft des Motors wird lediglich auf das linke Hinterrad übertragen“, erklärt Dietmar Pauw und zeigt auf die Kette, die etwas unter der Karosserie versteckt ist. Mittlerweile ist es die dritte, die er in Gebrauch hat.
Viele Ersatzteile stellt Dietmar Pauw inzwischen selber her
Ein Verschleißteil wie dieses zu ersetzen, ist kein Problem. Andere Ersatzteile, wie den Scheibenwischer, hat Pauw tatsächlich im Internet gefunden und erworben. Viele Spezialelemente musste er aber selbst herstellen. Um zu begreifen, wie ihm das möglich ist, muss man wissen, dass Pauw seit Kindesbeinen ausgeprägte Leidenschaften pflegt. Als 13-Jähriger begann er mit dem Segelfliegen, als Erwachsener betrieb er intensiv das Fallschirmspringen. Von jeher brauchte er Geld zur Finanzierung seiner Hobbys.
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Das verdiente er sich über drei Jahrzehnte bei einem Uhrmachermeister in Aurich. In dessen Werkstatt half er schon als Jugendlicher nach der Schule. Später arbeitet er dort parallel zum eigentlichen Job bei der Küstenfunkstelle Norddeich Radio. In der Uhrmacherei erlernte er Stück für Stück das feinmechanische Handwerk, stellte alsbald selbst Zahnräder her, restaurierte historische Turmuhren und Schulglocken.
In seiner ostfriesischen Heimat unterhielt Pauw einst ein Uhrenmuseum
Das Engagement für alte Zeitmesser ging so weit, dass Pauw in seiner ostfriesischen Heimat ein Uhrenmuseum eröffnete. Als Pauw berufsbedingt nach Winsen umzog, nahm er viele Exponate mit. Heute ticken, klacken und schnarren auf seinem Dachboden noch etwa 20 teils riesige Uhrwerke.
Jedenfalls verfügte Dietmar Pauw, als er die marode Meyra im Jahre 2005 übernahm, über genügend Know-how, Werkzeug und auch Enthusiasmus, um die Wiederherstellung zu realisieren. Und der heute 71-Jährige hat – ebenso unverzichtbar – eine Ehefrau, die seine Passionen toleriert. „Die Meyra wird nicht verkauft“, entschied die Gattin mit, als ein Interessent anrief und 30.000 Euro für das soeben fertig gestellte Gefährt bot. Dabei kann sie selbst nicht im Krankenfahrstuhl mitfahren. Der Soziussitz hinter dem Fahrer ist so klein, dass er höchstens einem Kind genügend Platz bietet.
Die Meyra siegte im „Rennen der Langsamen“ auf dem Hockenheimring
Dietmar Pauw ist glücklich mit seinem automobilen Unikum. Stets fährt er „oben ohne“, verzichtet auf das einsteckbare Dach. Seine Ohren schützt er mit jener Fuchsfellmütze, die ihm als Junge einst seine Mutter, eine Kürschnerin, für das Segelfliegen nähte. Die mit einem Rennfahreremblem bestickte grüne Jacke erinnert Pauw an das schönste Erlebnis mit dem Oldtimer: das von einer Autozeitschrift organisierte „Rennen der Langsamen“ auf dem Hockenheimring. Die Meyra gewann – gegen ein Velosolex-Mofa und einen Porsche-Trecker.
Bisher hat die Meyra seinen Besitzer nur einmal auf einer Tour im Stich gelassen. Mit Nabenbruch musste sie abtransportiert werden. Bei allen anderen technischen Macken konnte sich Pauw stets mit dem Inhalt der selbst gemachten Mini-Werkzeugkiste im Fußraum behelfen. Und falls er wirklich einmal auf einer längeren Reise liegen bleiben sollte – in seinem ledernen Notkoffer hat er immer Handtuch, Zahnbürste und Pasta im Gepäck.