Der Telekom war Norddeich Radio 1998 nicht mehr lukrativ genug. Da ist Reiner Dietzel eingesprungen: Er sendet aus dem Keller seines Hauses am Deich in Cranz. Sein Service ist zum Kult geworden.
Cranz. Norddeich Radio war knapp 100 Jahre lang die zentrale deutsche Küstenfunkstelle. Die legendäre Station an der ostfriesischen Küste verband das Land mit seinen Seeschiffen auf allen Meeren: Seefunk-Telegramme und Grüße an die Lieben daheim. Eine Institution, die in Zeiten von Satelliten-Kommunikation und Handys vor mehr als zehn Jahren schon nicht mehr lukrativ für die Telekom erschien. Am 31.Dezember 1998 dann knisterte der letzte Funkspruch durch den Äther: „Norddeich Radio. Over! And out for ever.“ Doch im beschaulichen Cranz, ganz im Südwesten Hamburgs, im Keller einer auffallend gelben, alten und freundlich gestalteten Kapitänsvilla auf dem Estedeich lebt „Norddeich Radio “ heute weiter.
Kapitän Reiner Dietzel, drahtig, weißhaarig, 60 Jahre Jahre, eilt dem Besucher voraus, die knarrende Holztreppe hinunter. Gleich fängt seine zweite Morgensendung an: Fünfmal am Tag funkt er mit seinem Seefunkdienst „Delta Papa Null 7“ Wetterberichte auf UKW. Er stülpt den Kopfhörer über, dreht an Knöpfen, vor ihm flackert ein Computerbildschirm, an der Wand hängen Seekarten. „Tief, westliche Ostsee, nordostziehend“. Sonor ist die Stimme, langsam, betont und konzentriert hört sich das an. Wie früher zum Mitschreiben. Das Tief wird dann zum „Tiiiieeef, das „ooostnordoooost“ wandert, als würde er es gerade selbst schieben. Seefahrermeldungen etwa über gesperrte Schleusen folgen – und dann der Klassiker: „Die große Konferenz von Borkum bis Bornholm“. Schiffe melden sich, Kapitän Dietzel schaltet sie zusammen, Anfragen, Hinweise zu Gefahrenstellen, Funk-Telefon-Vermittlungen. „Eigentlich ist das eine große Talkshow, und ich bin der Moderator“, sagt Dietzel und grient.
Dann wieder ein Knistern, ein Fischer auf der Ostsee meldet sich. „Delta Papa Null 7“, antwortet Dietzel. Jetzt im Sommer hat er Hochbetrieb, viele Tausend Wassersportler auf Nord- und Ostsee haben seinen Dienst abonniert, den er über die alten Norddeich-Radio-Sender verbreitet. Einige hören die aktuellen Wettermeldungen auch „schwarz“, ohne zu zahlen, weiß er. „Delta Papa Null 7“ ist von den Westfriesischen Inseln bis zur dänischen Südsee und weiter bis Rügen und um Bornholm über verschiedene Kanäle zu erreichen. Zwar reicht UKW-Funk nach einer Faustregel nur so weit, „wie man gucken kann“. Von Cranz aus kann er die Stationen aber quasi miteinander verbinden und so die komplette deutsche Küste und darüber hinaus abdecken – auch viele Meilen vom Land entfernt, wo sich Handys längst aus ihren Netzen verabschiedet haben. „UKW-Funk“, sagt Dietzel, ist daher immer noch gerade für Segler und Motorbootfahrer das wichtigste Kommunikationsmittel. Auch im Notfall.
Vor wenigen Tagen hat er nun sein Angebot erweitert: In Zusammenarbeit mit Monaco Radio, einem der letzten Stationen mit Kurzwellensender, verbreitet er die Wettermeldungen jetzt auch auf Kurzwelle, die im Unterschied zu UKW nahezu weltweit zu empfangen ist. Damit füllt „Delta Papa Null 7“ eine Lücke, die die öffentlichen-rechtlichen Radiosender in Deutschland 2014 hinterlassen werden. Dann sollen die für Seefahrer so wichtigen Seewetterberichte auf Mittel- und Langwelle abgeschaltet werden. Das sei nicht mehr wirtschaftlich und der Kreis der Nutzer nicht messbar, so die Begründung. Doch etwas abseits der Küste sind diese Berichte für kleinere Boote unverzichtbar, um sichere Törn planen oder auch rechtzeitig einen Schutzhafen anlaufen zu können.
Dieser neue Service von Kapitän Dietzel erinnert an den Beginn von „Delta Papa Null 7“, als die Telekom „Norddeich Radio“ abschaltete und Dietzel das Funken übernahm. „Das hat sich gut entwickelt – aber völlig anders als zunächst gedacht“, sagt er. Ein Satz, der wohl auch ein wenig für seinen Berufsweg gelten könnte: Um davon zu erzählen, schaltet Dietzel seine Geräte auf Stand-by und bittet zum Wintergarten: Weinreben ranken dort, Blumenmotive zieren Möbel und Wände. Seine Frau Lysianne, eine Französin aus Paris, hat die Gestaltung hier übernommen. Draußen schwappt die Este an den Rasen. Wenn es warm ist, gehen die beiden dann schon einmal bei Hochwasser am eigenen Steg baden, dort, wo auch ihr Boot liegt. Eine norddeutsche Idylle am Rande der Großstadt
Aufgewachsen ist Dietzel allerdings in Hessen. Nach der Realschule wollte er aber unbedingt zur See fahren und ging mit 15 Jahren zur Matrosenschule nach Hamburg. Es folgte der klassische Weg über die Seefahrtschule in Elsfleth und ersten Heuern. Mit 20 Jahren wurde Dietzel jüngster deutscher Kapitän auf großer Fahrt. Er heiratete das erste Mal („Da brauchte ich noch die Genehmigung meiner Mutter“) und studierte dann noch einmal, wurde Transport-Ingenieur, arbeitete Seefracht-Konzepte für BMW in München aus, ging wieder nach Hamburg, arbeitete als Berater in der Hafenbranche und wurde schließlich Geschäftsführer des privaten Schiffsmeldedienstes, der die Terminals mit Infos über einkommende Schiffe versorgt. Als die Telekom Norddeich Radio abschalten wollte, griff er zu. Die wenigen Seefunkgespräche schienen dem großen Konzern nicht lukrativ genug, für den Schiffsmeldedienst war es aber immer noch ein passendes Zusatzgeschäft. Er übernahm einige Anlagen und Antennen wie auf dem Fernsehturm. Doch das Geschäft entwickelte sich nicht so ganz nach dem Geschmack der holländischen Anteilseigner beim Schiffsmeldedienst. „Die erwarteten zweistellige Zuwachsraten“, sagt Dietzel. Schließlich quittierte er im Einvernehmen seinen Job, statt einer Abfindung übernahm er „Delta Papa Null 7“ als One-Man-Show zunächst, heute unterstützen ihn zwei Teilzeitmitarbeiter, seine Frau hilft auch. „Wir sind Delta Papa und Delta Mama“, sagt Dietzel dazu.
Die Berufsschifffahrt verschwand bald fast völlig aus dem Kundenkreis. Anders bei den Wassersportlern, für die sich teure große Satellitenanlagen nicht lohnen. In der Szene ist der Küstenfunk mittlerweile Kult. So sehr, dass der Seefunkdienst als zentrale Kommunikationsplattform an der Küste auch von anderen Kunden genutzt wird. Etwa von Versicherungen, die nach gestohlenen Yachten fahnden. Eine kurze Meldung über den Kellerfunkraum in Cranz – und die Küste ist informiert.
Mehr Informationen zu „Delta Papa Null 7“ im Internet (www.dp07.com). Über Kurzwelle ist der Dienst auf 4363 Khz und 8728 Khz zu empfangen.