Lisa Schmidt und David Lebuser haben sich Kampf gegen Stereotype zur Lebensaufgabe gemacht. An Coolness sind nicht zu überbieten.

Als mein Sohn Tim in der 31. Schwangerschaftswoche auf die Welt kam, war eines der ersten Dinge, die ich tat, mich bei Facebook abzumelden. Ich hatte keine Lust, mir die „Ach schaut doch, wie sorglos unser Leben ist“-Fotos meiner Freunde und Bekannten anzuschauen, und was hätte ich auch beitragen können? Schaut her, bei uns ist es nicht so gut gelaufen? Unser Sohn hat etwas, von dem wir nicht wissen, was uns erwartet, nur dass die Ärzte gleich gesagt haben: „Googeln Sie das nicht“.

Drei Jahre hat es ungefähr gedauert, bis ich zum ersten Mal wieder auf einer Social-Media-Plattform unterwegs war. Erst etwas zögerlich, dann immer mutiger, weil ich die Situation endlich für mich annehmen konnte – ja, so lange hat es leider gedauert. Und weil es bei Instagram – für diesen Kanal hatte ich mich entschieden – viel mehr um die Kraft der Bilder ging und um deren thematische Verortung. Ich bekam Reaktionen von Eltern, die dieselbe Diagnose bekommen hatten wie Tim: PVL-Syndrom (Schädigung der weißen Hirnsubstanz durch Sauerstoffmangel), West-Syndrom (Epilepsie), Infantile Zerebralparese (bleibende Störung des Haltungs- und Bewegungsapparates). Und ich bekam Reaktionen von jungen Menschen, die ebenfalls mit einer Behinderung leben.

Skate-Workshops für Kinder und Jugendliche im Rolli

Also ging ich auf Entdeckungsreise. Ich kann mich sehr genau an einen Abend erinnern, an dem ich einfach nicht ins Bett fand, weil ich auf so viele faszinierende Menschen stieß. Es waren die ersten Wochen des Lockdowns im Frühjahr 2020, und ein junger Inklusionsaktivist hatte in den sozialen Netzwerken die Kampagne #risikogruppe ins Leben gerufen – um darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur Senioren und Hochbetagte zur Gruppe der Vulnerablen zählen, sondern eben auch junge Menschen mit Vorerkrankungen, einer Querschnittslähmung oder sonstigen Einschränkungen. Ich entdeckte Raul Krauthausen, Laura Gehlhaar, Amelie Ebner – ein Zirkel extrem meinungsfreudiger, schlagfertiger, ja einfach sehr cooler Menschen.

Und dann stieß ich auf die Seite von Lisa Schmid und David Lebuser, die im Rahmen ihrer Initiative „Sit’n’Skate“ Skate-Workshops für Kinder und Jugendliche anbieten – an den Bildern blieb ich sofort hängen. Selbstbewusste kleine Menschen waren darauf zu sehen, die mit bunten Helmen und Knieschützern atemberaubend hohe Rampen hinuntersausten oder gar Stufen bewältigten. Lisa Schmidt und David Lebuser, erfuhr ich, waren selber Profis im Wheelchairskaten (WCMX) und hatten mit ihrem Projekt ein klares Ziel: Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung „zu zerstören“ und gegen positive Bilder austauschen: mit coolen Aktionen, stylischen Fotos und coolem Lifestyle, so heißt es auf ihrer Webseite.

Die Inklusionsaktivisten sind hörbar beim Podcast Von Mensch Zu Mensch
Die Inklusionsaktivisten sind hörbar beim Podcast Von Mensch Zu Mensch © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung

Es war deshalb ein besonderer Moment für mich, in dieser Woche eine Podcast-Folge mit den beiden Hamburger Inklusions-Aktivisten aufzunehmen, die auch privat ein Paar sind. In unserem Gespräch ging es nicht nur um die Frage, wo die beiden sich kennengelernt haben (im Skatepark, wo sonst). Sondern auch um ihren täglichen Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, der 2016 als eine Art Nebenbei-Projekt begann und nun Grundlage einer gemeinnützigen GmbH geworden ist.

Menschen wie Lisa und David machen dankbar

Menschen wie Lisa und David bin ich unglaublich dankbar. Denn das, was diese jungen Menschen machen, ist ungeheuer wichtig: Kinder im Rollstuhl von klein auf starkmachen, damit sie ihr Leben gut meistern – und immer gute Antworten parat haben.

„Bist du nicht traurig, dass du nicht laufen kannst?“, ist eine Frage, die ihr oft gestellt werde in Schulen, erzählt Lisa Schmidt im Podcast „Von Mensch zu Mensch“. „Nö“, antworte sie einfach darauf. „Aber fliegen wär’ cool. Das können wir ja auch alle nicht. Und trotzdem ist das kein großes Thema, dass man unbedingt ein Vogel sein möchte, weil die das halt einfach können.“

David Lebuser stürzte mit 21 in einen Schacht

Die 33-Jährige ist mit einem offenen Rücken zur Welt gekommen und benutzte lange Zeit Krücken, bevor sie sich für den Rollstuhl entschieden hat. David Lebuser (34) stürzte mit 21 Jahren in einen Schacht und ist seitdem querschnittsgelähmt. „Du merkst bei Kindern schon, dass das so eine stereotype Beeinflussung ist“, sagt er. „Dass man mit diesen Erzählungen gefüttert wird, die man dann in jungen Jahren relativ gut verinnerlicht hat: dass es einen traurig machen muss, nicht laufen zu können.“

Und trotzdem: Eine Prägung ist da. Bei mir ist sie bis heute sehr mächtig: Auch ich habe seit Tims Geburt einen einzigen Fokus: Tim auf die Beine zu bringen. Genauso heißt zum Beispiel auch eine Reha-Maßnahme, die wir gerade absolviert haben: „Auf die Beine“. Es ist das ganz große Ziel vieler Eltern, manchmal sogar das einzige.

Die Perspektive der Jungen und Mädchen

Und die Kinder selbst?

Lisa und David vertreten die Perspektive der Kinder. „Es ist doch am Ende viel wichtiger, dass die Kids lernen, vernünftig mit ihrem Rolli umzugehen, sich sicher darin durch die Welt zu bewegen“, sagt Lisa Schmidt und wird sogar noch deutlicher: „Warum gibt es so viele Therapien, die am Ende doch nur alle ein Ziel haben: das Kind weniger behindert zu machen und so viel wie möglich an diesem Kind zu optimieren. Warum fördert man nicht viel mehr, dass diese Kinder selbstbewusst mit dem Hilfsmittel umgehen, das ihnen den maximalen Spaß und die maximale Freiheit ermöglicht?“

Auch wenn ich es im Podcast nicht zugeben konnte: Natürlich gehöre ich bislang auch zu diesen Eltern. Auch ich bin eine Optimiererin. Aber wenn es mir eines Tages gelingen sollte, das nicht mehr zu sein, dann ist es dem Engagement von „Sit’n’Skate“ zu verdanken. Und die Termine für den nächsten Workshop in Hamburg habe ich mir auch schon rausgesucht.

Den Podcast „Von Mensch zu Mensch“ gibt es hier.

Das Projekt Sit’n’Skate bietet u. a. Rollstuhlfahrkurse, Skater-Workshops und Rolli-Selbsterfahrungskurse an. Infos unterwww.sitnskate.de E-Mail: mail@sitnskate.de