Landkreis Harburg. Verwaltungsschefs fordern vom Landkreis Harburg, Defizit nicht auf die Gemeinden abzuwälzen. Was sie als Alternative vorschlagen.

Ein Defizit in Höhe von über 33 Millionen Euro im laufenden Jahr, für die beiden kommenden Jahren jeweils ein Finanzloch in Höhe von rund 52 Millionen Euro – das ist ein historisches Minus im Etat, das es so im Landkreis Harburg noch nie gegeben hat. Es ist bekannt, dass der Landkreis – gelinde gesagt – ziemlich klamm ist. Wie dramatisch sich die Finanzlage aber tatsächlich darstellt, sickert erst nach und nach aus Winsen in die Gemeinden durch, die selbst oft vor leeren Kassen stehen.

Die prekäre Haushaltslage des Landkreises schürt in den Kommunen die Unsicherheit. Dort werden Einschränkungen und nicht zuletzt eine Erhöhung der Kreisumlage befürchtet. Darüber muss der Kreistag entscheiden, doch Landrat Rainer Rempe hat im Abendblatt-Interview bestätigt, das eine Erhöhung der Kreisumlage um vier Prozentpunkte im Kreishaus geprüft werde.

Millionen-Defizit im Landkreis Harburg: Bürgermeister kritisieren Kommunikation

Dies hätte weitreichende Folgen für die Kommunen. Die Sorgen in Zusammenhang mit der Finanzkrise des Landkreises sind in den Rathäusern der Städte und Gemeinden groß. Die Verwaltungschefs kritisieren aber auch eine aus ihrer Sicht mangelhafte Kommunikation des Landkreises.

Winsens Bürgermeister André Wiese. Hier beim Run for Help 2022
Winsens Bürgermeister André Wiese. Hier beim Run for Help 2022 © HA | Markus Steinbrück

Dessen Informationspolitik habe noch viel Luft nach oben, sagt etwa Winsens Bürgermeister André Wiese. „Genau wie wir Gemeinden hat der Landkreis mit Aufgaben und Reformen zu kämpfen, die Bund und Land ohne ausreichende Finanzausstattung für die kommunale Ebene auf den Weg bringen“, sagt Wiese. „Was das konkret im Haushalt des Landkreises bedeutet - auch im Hinblick auf die sehr positiven Abschlüsse des Landkreises in den Vorjahren - wissen wir bisher nicht, weil uns keine Daten vorgelegt wurden.“ Transparenz sei aber die Grundvoraussetzung für Akzeptanz.

Bürgermeister verweisen auf die hohe Rücklage des Landkreises

„Die detaillierte finanzielle Situation des Kreises ist uns nicht bekannt, die Abschlüsse 2020 bis 2022 kennen wir nicht“, meint auch der Buchholzer Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse. „Wir sind aber auch deshalb überrascht, weil wir eine Rekordsumme an Kreisumlage zahlen und der Landkreis in den Jahren 2014 bis 2019 einen Überschuss von rund 100 Millionen Euro erwirtschaftet hat“, so Röhse. Seevetals Bürgermeisterin Emily Weede verweist ebenfalls auf die hohen Rücklagen des Kreises, weshalb die jetzige Haushaltslage beim Landkreis trotz des Wissens um die angespannten Finanzen etwas überraschend für die Gemeinden käme: „Der Haushalt des Kreises ist umlagefinanziert, da sollte in schwierigen Zeiten auf die Rücklagen zurückgegriffen werden“, meint Weede.

Jan-Hendrik Röhse, Bürgermeister von Buchholz.
Jan-Hendrik Röhse, Bürgermeister von Buchholz. © HA | Heinrich Helms

Alle befragten Bürgermeister lehnen die drohende Erhöhung der Kreisumlage ab – von der sie offiziell aber noch gar nichts wissen. Trotzdem hat Neu Wulmstorfs Bürgermeister Tobias Handtke seinen Kämmerer berechnen lassen, was eine Erhöhung für Neu Wulmstorf bedeuten würde. Bei dem aktuell geltenden Hebesatz von 45,5 Prozent muss die Gemeinde im Moment jährlich etwa 14 Millionen Euro an den Landkreis abführen. Die Höhe der Abgabe wird hauptsächlich an der Steuerkraft der Gemeinden gemessen. „Jeder Prozentpunkt, den der Hebesatz für die Kreisumlage erhöht wird, kostet Neu Wulmstorf zirka 300.000 Euro“, so Handtke.

Allein die Stadt Buchholz zahlt aktuell rund 29 Millionen Euro an den Landkreis

Bei einer Erhöhung um vier Prozentpunkte müsste die Gemeinde, die selbst äußerst knapp bei Kasse ist, also allein für die Kreisumlage 1,2 Millionen Euro mehr pro Jahr aufbringen. Die Stadt Buchholz zahlt aktuell rund 29 Millionen Euro an den Landkreis. Bei einer Erhöhung der Kreisumlage um vier Prozentpunkte entstünden der Stadt nach eigenen Angaben Mehrkosten von bis zu 3 Millionen Euro jährlich.

Tobias Handtke, Bürgermeister Neu Wulmstorf
Tobias Handtke, Bürgermeister Neu Wulmstorf © HA | Sabine Lepél

Im Haushaltsplanentwurf der Stadt Winsen ist für 2024 für die Kreisumlage 24,13 Millionen veranschlagt – ohne Berücksichtigung einer möglichen Erhöhung. Ein Prozentpunkt mehr würde für Winsen rund 530.000 Euro an Mehrausgaben bedeuten. Das wäre für die Stadt momentan nicht zu stemmen, stellt Bürgermeister Wiese klar: „Bei einer Kreisumlagenerhöhung ist der städtische Haushalt nicht mehr genehmigungsfähig und erhebliche Einschränkungen für die Menschen in Winsen oder Steuererhöhungen wären dann unvermeidbar.“

Erhöhung der Kreisumlage würde den Seevetaler Haushalt in eine erhebliche Schieflage bringen

Eine Erhöhung der Kreisumlage würde auch den Seevetaler Haushalt in eine erhebliche Schieflage bringen, sagt Emily Weede. Aktuell wird dort fürs kommende Jahr noch mit 31,1 Millionen Euro für die Kreisumlage gerechnet. Trotzdem beträgt der Fehlbetrag im ersten Haushaltsplanentwurf zirka 6 Millionen Euro. „Jeder Prozentpunkt Erhöhung der Kreisumlage bedeutet für Seevetal 700.000 Euro zusätzlich. Bei vier Prozentpunkten reden wir über 2,8 Millionen Euro. Damit würde das Gesamtdefizit 2024 auf fast 9 Millionen Euro steigen“, rechnet die Bürgermeisterin vor. Das könne Seevetal definitiv nicht tragen: „Die Einnahmen bei der Einkommensteuer und Gewerbesteuer sind gegenwärtig stagnierend oder rückläufig.

Die Gemeinde hat mit den Auswirkungen der Inflation stark zu tun. Alles - Handwerker, Dienstleistungen, Material - wird teurer. Die Einnahmen ziehen aber nicht mit. Sollte die Kreisumlage um vier Prozent erhöht werden, könnte Seevetal keinen genehmigungsfähigen Haushalt vorgelegen“, sagt Weede. Auch für Neu Wulmstorf würde ein genehmigungsfähiger Finanzplan wohl in weite Ferne rücken. „Entscheidend wird sein, wie die Kommunalaufsicht mit unserem Haushalt umgeht“, spielt Tobias Handtke den Ball zurück ins Kreishaus. „Wir Gemeinden können das Defizit des Kreises jedenfalls nicht auffangen.“

Landkreis Harburg: Schon jetzt ist bei der Kita-Finanzierung in den Gemeinden Land unter

Schon jetzt ist bei der Kita-Finanzierung in den Gemeinden Land unter. „Der Landkreis wird als Aufgabenträger für die Kindertagesstätten seiner Finanzierungsverantwortung in diesem Bereich leider bisher nicht gerecht“, sagt Winsens Bürgermeister André Wiese. Und auch Emily Weede moniert: „Bei Ko-Finanzierungen im Investitionsbereich ist der Landkreis immer sehr zurückhaltend. Aber gerade im Bereich der Kita-Finanzierung steigen die Ausgaben für die Gemeinden Jahr für Jahr. Hier benötigen wir dringend eine größere Unterstützung vom Landkreis.“

Emily Weede, Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal
Emily Weede, Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal © Gemeinde Seevetal | Gemeinde Seevetal

Das Wichtigste wäre aber, dass Land und Bund die Situation ernst nehmen und konkrete Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der Kommunen ergreifen, meint André Wiese: „Krankenhäuser, Flüchtlinge, Ganztag, Kinderbetreuung, Feuerwehren – das sind nur einige Themenfelder, in denen man es darauf anlegt, dass wir es vor Ort schon irgendwie hinbekommen. Wir werden das aber so nicht mehr schaffen können. Die oberen Ebenen dürfen die Kommunen nicht finanziell ausbluten lassen.“

Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass der Landkreis nach gleichem Muster verfahre und die Gemeinden jetzt im Regen stehen lasse, um die eigenen Finanzen zu stabilisieren. „Wir sind natürlich sehr gern bereit, gemeinsam an Lösungsansätzen mitzuwirken. Voraussetzung dafür ist zunächst eine Weitergabe von Informationen zu den Daten des Kreishaushalts von der Kreisebene an die Gemeinden. Hier muss der Landkreis noch liefern“, sagt Wiese. In Anbetracht einer Zeitplanung, in der abschließende Entscheidungen im Dezember fallen sollen, müsse das jetzt schnellstens passieren.

„In dieser Situation ist es schwierig, einen Hoffnungsschimmer zu sehen. Es muss jetzt es zu einem Schulterschluss zwischen dem Landkreis und den Kommunen kommen“, sagt Tobias Handtke. „Landkreis und Kommunen müssen sich zusammen setzen und auf Augenhöhe verhandeln, wo und welche Kürzungen möglich sind und wie die Überschüsse der vergangenen Jahre eingesetzt werden sollen“, fordert auch Emily Weede. André Wiese glaubt, eine Stabilisierung des Kreishaushaltes werde nur gelingen, wenn man das nicht auf Kosten der gemeindlichen Finanzen versuche: „Die Menschen vor Ort wollen keine Ausreden hören oder das Weiterschieben von Problemen. Sie wollen Lösungen - zur Not auch unpopuläre“, sagt Winsens Bürgermeister.