Winsen. „Das Maß ist voll“: Landrat Rainer Rempe nennt Ursache für Rekord-Defizit – und kündigt unerfreuliche Einschnitte an.
Die Lage ist prekär: Ein Defizit in Höhe von über 30 Millionen Euro im laufenden Jahr, für die beiden kommenden Jahren jeweils ein Finanzloch in Höhe von rund 52 Millionen Euro.
Der Landkreis Harburg steht vor dem größten Defizit seiner Geschichte. Im Abendblatt-Interview schwört Landrat Rainer Rempe die Bevölkerung und seine Mitarbeiterschaft im Kreishaus auf Sparmaßnahmen ein und sagt, wie es zu dieser finanziellen Schieflage kommen konnte.
Verschuldete Kommunen: „Pauschalen für die Flüchtlingskosten unzureichend“
Abendblatt: Herr Rempe, im Moment wird in den Kommunen des Landkreises Harburg die sehr angespannte finanzielle Lage des Landkreises diskutiert. Über die Höhe des zu erwartenden Defizits wird dabei von mindestens 30 Millionen bis hin zu 50 Millionen spekuliert. Liegen inzwischen genauere Zahlen vor?
Rainer Rempe: Für das Jahr 2023 rechnen wir mit einem Defizit von über 33 Millionen Euro. Für die Folgejahre gehen wir von einer weiteren Ergebnisverschlechterung aus. Das Defizit in 2024 würde ohne entsprechende Verbesserung der Einnahmen- beziehungsweise der Ausgabenseite über 50 Millionen Euro betragen.
Wie konnte es soweit kommen? Hat der Landkreis schlecht geplant?
Die wesentlichen Ursachen für diese negative Entwicklung haben wir ganz überwiegend nicht selbst in der Hand. Sie liegen in den unzureichenden Pauschalen für die Flüchtlingskosten verbunden mit steigenden Zuweisungszahlen, notwendige weitere Zuschüsse für unsere Krankenhäuser, da es weiterhin keinerlei Signale für ein notwendiges Bundesgesetz zur Verbesserung der Liquidität der Krankenhäuser gibt, weitere Kostensteigerungen im Sozialbereich und grundsätzlich schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Haben Sie bereits das Gespräch mit den Gemeinden zu den Folgen der Finanzkrise gesucht?
Nach der Erörterung unserer finanziellen Situation im Ältestenrat und im Kreisausschuss habe ich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auf unserer zurückliegenden gemeinsamen Dienstbesprechung im September über die Sachlage informiert. Mir ist dabei sehr bewusst, dass die finanzielle Situation unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch in vielen unserer Kommunen äußerst angespannt aussieht.
Ist eine Erhöhung der Kreisumlage zu erwarten und in welchem Rahmen – also um wieviele Prozentpunkte – würde sich eine solche Erhöhung wahrscheinlich abspielen?
Derzeit befinden wir uns in der Phase des Haushaltsplanentwurfs und haben hier nach Rücksprache mit Ältestenrat und Kreisausschuss besprochen, dass wir für den Doppelhaushalt 2024/2025 mit einer Anhebung der Kreisumlage um vier Prozentpunkte planen. In Anbetracht des zu erwartenden Defizits von mehr als 50 Millionen Euro würde durch die Erhöhung eine Entlastung von etwa 15 Millionen Euro erreicht werden können.
Rekorddefizit im Landkreis Harburg: Alle Ausgaben auf dem Prüfstand
Viele Gemeinden sind ja selbst finanziell stark belastet und müssen deutlich höhere Kosten schultern als erwartet. Außerdem gibt es viele Kofinanzierungen zwischen Gemeinden und Landkreis, zum Beispiel bei der Sozialarbeit oder im ÖPNV. Sind hier Sparmaßnahmen zu erwarten?
Natürlich sind vor dem Hintergrund der finanziellen Lage alle Anstrengungen zu unternehmen, um das vorhandene Defizit zu begrenzen. Alle Ausgaben gehören dabei im Hinblick auf ihre Notwendigkeit auf den Prüfstand. Ich weiß, dass diese Abwägungen auch bei den Kommunen stattfinden, aber es liegt mir fern, hierzu Ratschläge zu erteilen. Wir alle werden uns darauf einstellen müssen, dass es zu unerfreulichen Einschnitten kommen wird, die sich in der derzeitigen Situation jedoch nicht vermeiden lassen.
Wie will der Landkreis wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen und welche konkreten Sparmaßnahmen sind avisiert?
Aktuell stellen wir ein freiwilliges Haushaltssanierungskonzept auf, das im Zuge der politischen Beratungen in den Ausschüssen weiter aufwachsen wird. Viele Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Grundsätzlich werden alle Ausgaben auf Einsparpotenziale überprüft, dies gilt insbesondere für die freiwilligen Leistungen. Im Kreistag wird außerdem entschieden werden müssen, wie mit Investitionen zum Beispiel im Straßen- oder Schulbau umgegangen werden soll. Aber es gibt auch zahlreiche Projekte und Fördermaßnahmen, die zur Diskussion gestellt werden müssen.
Wird der Rotstift auch im Kreishaus selbst angesetzt?
Für die Verwaltung habe ich aktuell eine haushaltswirtschaftliche Sperre verhängt, das bedeutet, dass jede einzelne Ausgabe, die über das Geschäft der laufenden Verwaltung hinausgeht, einer gesonderten Genehmigung bedarf. Für die Mitarbeitenden gelten unter anderem Einschränkungen für Dienstreisen und Fortbildungen. Außerdem gibt es einen Stopp bei Neueinstellungen und auch jede Personalnachbesetzung wird auf den Prüfstand gestellt. Wir als Verwaltung werden in jedem Fall unseren Beitrag zur Ergebnisverbesserung leisten.
Müssen Sie mit diesen Maßnahmen Fehler ausbaden, die anderswo gemacht wurden?
Zur Wahrheit gehört, dass die Hauptgründe für die derzeitige finanzielle Schieflage nicht in unserer Verantwortung liegen und uns an vielen Stellen die Hände gebunden sind. Ich denke dabei insbesondere an die nicht auskömmliche Pauschalen im Bereich der Flüchtlingsunterbringung, die allein in diesem Jahr ein Defizit von rund 13 Millionen Euro verursachen. Und natürlich das Minus bei unseren Krankenhäusern – 17 Millionen Euro in 2023 und voraussichtlich 15 Millionen Euro in 2024 –, die ebenfalls unverschuldet in diese Situation gekommen sind und wo es Aufgabe des Bundes ist, die Liquidität der Krankenhäuser sicherzustellen. Fakt ist auch, dass ein Großteil unserer Aufgaben als Kreisverwaltung aus Pflichtaufgaben besteht, aus denen wir uns nicht zurückziehen können. Diese Aufgaben haben in den zurückliegenden Jahren immer weiter zugenommen, was gleichzeitig mit einem steigenden Personalaufwand verbunden war. Das gilt insbesondere für den Sozialbereich.
Müssen sich die Anwohner im Landkreis Sorgen wegen der finanziellen Situation des Kreises machen?
Ich kann den Bürgerinnen und Bürgern versichern, dass wir unsere Hausaufgaben machen und gemeinsam mit der Politik kritisch prüfen werden, wie sich die derzeitige finanzielle Lage so schnell wie möglich stabilisieren lässt. Doch wir können immer nur einen Teil zur Entspannung der Lage beitragen, die größten Stellschrauben befinden sich auf Landes- und Bundesebene. Ohne dass dort gehandelt wird, wird es nicht möglich sein, wieder zu einem positiven Haushaltsergebnis zu kommen.
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Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie auf Bund und Land?
Ich habe wiederholt Gespräche mit dem Innenministerium geführt, um eine Anhebung der Pauschale für die Flüchtlingsunterbringung im Landkreis Harburg zu erreichen. Auch eine Begrenzung des Zuzugs von Geflüchteten muss konsequent umgesetzt werden. Gleichermaßen werde ich mich als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Niedersächsischen Landkreistages und als Vorstandsmitglied der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft weiter dafür einsetzen, dass der für die laufenden Betriebskosten zuständige Bund seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt und die Krankenhäuser ihre Handlungsfähigkeit durch ein Vorschaltgesetz zurückerlangen.
Was erwarten Sie von Bund und Land?
Ich erwarte von Land und Bund, dass sie endlich handeln. Es kann nicht sein, dass auf Länder- und Bundesebene immer wieder Entscheidungen getroffen werden, deren Konsequenzen Landkreise und Kommunen tragen müssen, ohne dass wir mit ausreichenden Finanz- und Personalmitteln ausgestattet werden. Das Maß ist voll.