Landkreis Harburg. Expertenteam prüft Bildung einer Gesundheitsregion Landkreis Harburg – Kreistag fordert Geld vom Bund für Erhalt der Kliniken.
Ärztemangel und Kliniken mit Verlust in zweistelliger Millionenhöhe – die Lage der medizinischen Versorgung im Landkreis Harburg ist derzeit besonders angespannt. Die Kreispolitik hat nun entschieden, vorläufige Schritte für die Bildung einer sogenannten „Gesundheitsregion“ einzuleiten. Das Konzept zielt auf eine bessere Zusammenarbeit der örtlichen Gesundheitsakteure ab – auch der Krankenhäuser.
Damit es die Kliniken in Buchholz und Winsen in dieser Form in Zukunft noch gibt, fordert die Kreispolitik die Bundesregierung zudem in einer fraktionsübergreifenden Resolution dazu auf, kurzfristig mit finanzieller Hilfe einzuschreiten. Die Kreistagsmitglieder sehen die Standorte in ihrer Existenz bedroht.
Gesundheitsregion Landkreis Harburg: Was jetzt passiert
Ob der Landkreis Harburg tatsächlich eine Gesundheitsregion errichtet, ist mit dem einstimmigen Beschluss der Kreistagssitzung am Donnerstag (13. April) noch nicht entscheiden. Fest steht aber: Eine sogenannte „Vorbereitungsgruppe“ prüft nun, ob und wie die gesundheitliche Versorgung im Landkreis Harburg mithilfe dieses Konzeptes verbessert werden kann.
Auch mögliche Nachteile sollen benannt werden. Das Projekt „Gesundheitsregionen Niedersachsen“ wurde 2014 von der Landesregierung ins Leben gerufen und geht mit Fördergeldern einher.
Durch Kooperation und Vernetzung des Gesundheitswesen sollen Landkreis und Gemeinden gemeinsam mit den Krankenkassen, der Ärzteschaft, der Pflege und weiteren Vertretern neue oder angepasste regionale Gesundheits- und Pflegeangebote schaffen. Die Mehrzahl der Landkreise und Städte in Niedersachsen hat bereits Gesundheitsregionen gebildet.
SPD hatte im Vorjahr die Bildung eines Expertengremiums beantragt
„Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt den richtigen Weg einschlagen und die ärztliche Versorgung im Landkreis verbessern“, sagt der SPD-Kreistagsabgeordnete Klaus-Wilfried Kienert. Die SPD hatte im Vorjahr die Bildung eines Expertengremiums beantragt, um dem Ärztemangel zu begegnen. Auf Initiative der Grünen kommt eine solche Arbeitsgruppe nun im Rahmen einer Vorstufe zur Gesundheitsregion zusammen.
„Es ist wichtig, alle an einen Tisch zu holen und über den Tellerrand hinauszuschauen“, sagt Oliver Martini, der für die Grünen im Kreistag sitzt. „Auch Patienten sollten beteiligt werden.“ Martini ist wichtig: Eine Gesundheitsregion bilde über die ärztliche Versorgung hinaus die Grundlage für innovative Ideen in allen medizinischen Bereichen.
Mit dem Projekt Stadtlandpraxis wirbt der Kreis erfolgreich um Ärzte
„Mit dem Projekt Stadtlandpraxis wirbt der Kreis erfolgreich um Ärzte, jetzt geht es darum, die Strukturen für eine stärkere Vernetzung zu etablieren“, sagt er.
Die Vorbereitungsgruppe besteht aus Vertretern der Gemeinden, der Kreisverwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Ärzteschaft, der Krankenhäuser, der Pflege sowie Spezialisten für das Gesundheitswesen. Auch Selbsthilfegruppen, Hebammen, Therapiekräfte und Apotheker „können bei Bedarf punktuell eingebunden werden“, heißt es im Beschluss.
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Aufgaben der Mitglieder: Die Lage der medizinischen Versorgung im Kreis feststellen, den Bedarf ermitteln und Lücken und Probleme identifizieren. Außerdem sollen die bestehende Vernetzung analysiert und neue Kooperationen ausgelotet werden. Das Expertenteam wird die Kreispolitik im Rahmen eines ständigen Tagesordnungspunkt im Gesundheitsausschuss über die Ergebnisse informieren.
Kliniken in Winsen und Buchholz machen finanzielle Probleme
Wie aus dem am Donnerstag verabschiedeten Nachtragshaushalt hervorgeht, machen die Kliniken in Winsen und Buchholz als zentrale Pfeiler der lokalen medizinischen Versorgung finanzielle Probleme. 17 Millionen Euro fehlen den beiden Krankenhäusern im Landkreis Harburg voraussichtlich in diesem Jahr.
Der Landkreis als Eigentümer muss den laufenden Betrieb mit Zuschüssen in Millionenhöhe sichern. Der Kreistag fordert deswegen vom Bund finanzielle Hilfen ein. Ursache für den Kostendruck in den Kliniken sind die vielfältigen Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die bestehende Probleme verschärft haben.
Größter Posten sind die Gehälter der Klinik-Angestellten
„Ein regulärer Betrieb der Krankenhäuser ist weiterhin nur eingeschränkt möglich“, heißt es aus der Verwaltung. Nach drei Jahren Dauerbelastung durch die Pandemie mit Quarantänen und Ansteckungen würden noch immer viele Mitarbeiter für den Dienst ausfallen. Deswegen können weniger Patienten versorgt werden und zum Beispiel Routine-Operationen nicht stattfinden.
„Die Folge sind Erlösausfälle in erheblicher Höhe“, heißt es aus der Verwaltung. Denn die Krankenhäuser finanzieren sich zum Großteil über Fallpauschalen. Das bedeutet, sie bekommen pro Patient und dessen Krankheitsbild eine gewisse Summe von den Krankenkassen.
Die sinkenden Patientenzahlen können auch durch eine anstehende Erhöhung der Fallpauschalen nicht ausgeglichen werden. Denn der größte Kostenpunkt der Krankenhäuser – die Gehälter für ihre Angestellten – wachsen nach den aktuellen Tarifverhandlungen in Folge der Inflation stark an. Zusätzlich ließ die Inflation infolge der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine, die Preise für fast alles in den Krankenhäusern steigen.
Mitglieder aller Parteien fordern ein Soforthilfeprogramm
Dazu zählen die Energiekosten genauso wie die Lebensmittel und Medikamente. Gerade im Bereich der Preisentwicklungen und Lieferschwierigkeiten für Arzneimittel ist ein Ende kaum abzusehen. Mit großer Mehrheit hat der Kreistag deswegen eine Resolution an den Bund verabschiedet. Darin fordern die Mitglieder aller Parteien ein Soforthilfeprogramm.
Damit sollen die inflationsbedingten Preissteigerungen und die gestiegenen Lohnkosten ausgeglichen werden. Die bisher gewährten Hilfen vom Bund im Bereich der Energiekosten seien falsch konzipiert und würden nicht ausreichen.
SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler schert aus
Der Resolution nicht angeschlossen haben sich neun SPD-Abgeordnete um die Bundestags- und Kreistagsabgeordnete Svenja Stadler. Die Forderungen müssten nicht an den Bund, sondern an das Land Niedersachsen gehen, erklärte Stadler ihre Ablehnung. Außerdem seien die Krankenkassen in die Pflicht zu nehmen.
Eine angestoßene Krankenhausreform durch das Bundesgesundheitsministerium will die Fallpauschalen abschaffen. Zukünftig soll nicht pro Patient, sondern für die Vorhaltung von Leistungen Geld fließen. Doch es kann noch Jahre dauern, bis diese Pläne in einem Gesetz und dann in der Krankenhausrealität ankommen. Bis dahin stehen weiter die Klinikinhaber in der Endverantwortung, um für die nötigen finanziellen Mittel zu sorgen.
Der Landkreis Harburg rechnet deswegen in einer Prognose auch für die kommenden Jahre mit Zuschüssen von acht Millionen (2024) und je vier Millionen Euro (2025 und 2026) für die Kliniken. Um das zu finanzieren, muss der Kreis vermutlich neue Kredite aufnehmen.