Landkreis Stade. Die Stader Hilfsbereitschaft für die Ukraine hält an. Warum der vierte Spendenkonvoi für die Freiwilligen besonders emotional verläuft.
Drei Tage lang waren 20 Freiwillige von Feuerwehren und Hilfsorganisationen aus dem Landkreis Stade am vergangenen Wochenende unterwegs, um Hilfsgüter und vier Fahrzeuge an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen – eine Fahrt voller Emotionen.
Das erste Gefühl, das sich unter den Helfern breitmacht, ist eine gewisse Anspannung. Sie ist spürbar, als die Einsatzkräfte am frühen Freitagmorgen vor dem Start des Konvois bei der Feuerwehrtechnischen Zentrale in Stade-Wiepenkathen zusammenkommen. Es ist bereits der vierte Hilfskonvoi aus dem Landkreis für die Ukraine. Das Ziel ist der Grenzort Przemyśl im Südosten Polens.
Stader Hilfskonvoi für die Ukraine: 100 Betten für ein Lazarett
Einige Helfer waren bei den vorigen Touren schon dabei, andere sind zum ersten Mal am Start. Die Crew war schnell gefunden: Innerhalb weniger Tage hatten sich 20 Helfer von Feuerwehren, Deutschem Roten Kreuz und Deutscher Lebensrettungsgesellschaft gemeldet.
Auf den Spendenkonten beim Deutschen Roten Kreuz und bei der Johanniter-Unfallhilfe hatten sich rund 20.000 Euro angesammelt. Von dem Geld konnten zwei gebrauchte Rettungswagen beschafft werden. In einem Logistik-Lkw der Feuerwehr gehen außerdem 100 Betten für ein Lazarett sowie allerhand medizinisches Equipment und Hygieneprodukte auf die Reise.
Auch ein privat gespendeter VW-Transporter wird in die Ukraine überführt
Auch die Hilfsorganisationen haben etliches Material gespendet: Einsatzkleidung, Stromerzeuger, Strahlrohre, Rettungsgeräte, Medizinprodukte und Verbandsmaterialien. Ein von Privatleuten beschaffter VW-Transporter wird ebenfalls im Rahmen des Konvois in die Ukraine überführt.
Die wohl wertvollste Spende ist ein ausgemustertes Tanklöschfahrzeug (TLF) von 1986, das zuletzt bei der Kreisfeuerwehr für Ausbildungszwecke genutzt wurde. „Dank des umfangreichen gespendeten Equipments haben wir das Tanklöschfahrzeug wieder komplett ausgerüstet“, sagt Konvoi-Einsatzleiter Wilfried Sprekels.
Der 2000 Liter fassende Wassertank wurde vor Fahrtantritt gefüllt. Sprekels hat eine besondere Beziehung zu dem robusten TLF: Er war damit als Ortsbrandmeister in Wiepenkathen etliche Male selbst im Einsatz. Der Chef der Feuerwehr- und Rettungsleitstelle des Landkreises hatte bereits im Dezember einen Hilfskonvoi mit 15 Fahrzeugen und 30 Helfern geführt.
Der Stader Landrat erscheint persönlich zur Verabschiedung der Helfer
Im Morgengrauen ruft er die Helfer im Halbkreis zusammen, bespricht mit ihnen die Aufteilung der Mannschaft auf die Fahrzeuge und die Reihenfolge, in der die neun Wagen die 1200 Kilometer absolvieren sollen. Landrat Kai Seefried (CDU) lässt es sich nicht nehmen, die Freiwilligen persönlich zu verabschieden.
Er ist der Schirmherr der Aktion und dankt den Rettern für ihr „herausragendes Engagement“. Eine derart beschwerliche Reise auf sich zu nehmen und dafür mehrere Tage Freizeit zu opfern, sei nicht selbstverständlich. „Wir werden in unserer Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen, wir werden weiter humanitäre Hilfe leisten“, sagt Seefried unter dem Beifall der Rettungskräfte. Gefahren wird mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn. Durchschnittstempo auf der Autobahn: 80 Kilometer pro Stunde. Kommuniziert wird per Funk im „Marschkanal“.
Am Mittag passieren die Helfer aus dem Kreis Stade die deutsch-polnische Grenze kurz hinter Frankfurt an der Oder. Eine Dreiviertelstunde halten sie an einem großen Zollbetriebshof, der den „Charme“ der Sowjetzeit versprüht.
Es ist wenig los, die Beamten sind freundlich. Die Papiere, notwendig für die Überführung der Fahrzeuge in die Ukraine, sind schnell ausgefüllt.
Ein ehemaliger Offizier der Sowjetarmee hat die Hilfsaktion gestartet
Der Initiator der Hilfsaktion, der Ukrainer Grischa Kaflowskij, lächelt zufrieden. Er war kurz nach Kriegsausbruch mit seiner Frau und den Enkelkindern nach Kehdingen geflohen, wo er in den 1990er-Jahren für einen Fruchtgroßhandel gearbeitet hat. Sein Sohn kämpft als Soldat im Krieg, seine Tochter arbeitet als Krankenschwester in einem Hospital. Der ehemalige Offizier der Sowjetarmee hat schon etliche Hilfsaktionen begleitet. Zwei pensionierte Militärs aus der Ukraine sind diesmal ebenfalls dabei.
Weiter geht es auf den gut ausgebauten polnischen Autobahnen gen ukrainische Grenze. Die Mautstellen passiert der Konvoi ohne Probleme – die polnischen Behörden sorgen nach einer Voranmeldung für freie Fahrt. Es ist schwülwarm, das Thermometer klettert auf über 30 Grad.
Schaffen es seine ukrainischen Partner rechtzeitig über die Grenze?
Kaflowskij ist spürbar nervös. Schaffen es seine ukrainischen Partner rechtzeitig über die Grenze, um die Hilfsgüter in Empfang zu nehmen? Sie benötigen dafür Sondergenehmigungen des Verteidigungsministeriums. Im Laufe des Nachmittags dann der Anruf: „Es hat alles geklappt, sie sind auf dem Weg zu unserem Hotel“, sagt Kaflowskij.
Die Stimmung bei den Helfern ist gut, bei Tank- und Raststopps wechseln die Fahrer. Am späten Abend fahren die Stader am Krakauer Flughafen vorbei und sehen amerikanische und britische Militärmaschinen zur Luftaufklärung.
Es ist weit nach Mitternacht, als der Konvoi die Autobahn verlässt. Die letzten Kilometer geht es auf Landstraßen weiter in Richtung Hotel. Um 1.30 Uhr treffen die Einsatzkräfte in einem Vorort der Grenzstadt Przemyśl ein.
Die Herzlichkeit des Empfangs berührt die Helfer aus Stade
Hier werden sie von der Ukrainerin Olena Polyanska empfangen. Sie leitetet den Hilfsfonds, der sich in der Ukraine um die Verteilung der Spenden kümmert. Zusammen mit ihrem Mitarbeiter Oleksandr Krutylko hat sie nationaltypische Spezialitäten vorbereitet. Die Herzlichkeit des Empfangs berührt die Helfer aus Stade. Die Dankbarkeit ist spürbar. „Wir werden euch das nie vergessen“, sagt Polyanska.
Als Erinnerung hat sie ein großes Wappen der Ukraine mitgebracht und überreicht es Einsatzleiter Sprekels. Als er im Namen von Landrat Seefried verkündet, dass es nach dem Krieg eine Patenschaft zwischen dem Landkreis Stade und einer Region in der Ukraine geben soll, wird noch einmal applaudiert.
Über holprige Landstraßen geht es zur polnisch-ukrainischen Grenze
Am nächsten Morgen werden die Fahrzeuge übergeben und die Hilfsgüter aus dem Logistik-Lkw umgeladen. Ein schweißtreibendes Unterfangen bei Temperaturen um die 30 Grad und gleißender Sonne. Über holprige Landstraßen eskortieren die Stader Einsatzkräfte ihre ukrainischen Partner zur polnisch-ukrainischen Grenze. Vor den heruntergelassenen Schranken haben sich kilometerlange Schlangen gebildet. Kaflowskij und seine Landsleute haben Glück: Sie werden vorgelassen. Die Vorsprache der Stader hatte Erfolg, die Rettungswagen und das Tanklöschfahrzeug werden sofort abgefertigt.
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Zum Abschied gibt es innige Umarmungen, dann geht es für die Helfer aus Stade zurück zum Hotel. Am Abend meldet sich Kaflowskij telefonisch bei Einsatzleiter Sprekels aus Lwiw von der anderen Seite der Grenze: „Es hat alles geklappt“, teilt er mit. Sein Team reist weiter nach Chmelnyzkyj, wo die Spenden offiziell in Empfang genommen und verteilt werden.
Vor Sonnenaufgang wird die Heimreise angetreten
Die Helfer aus dem Landkreis Stade werden am Abend noch gemeinsam essengehen – und dann am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang die Heimreise antreten. Voller Emotionen und glücklich über den reibungslosen Verlauf ihres Hilfseinsatzes kommen sie am späten Sonntagabend wieder in Stade an.
Dort erreicht sie am Montag ein Video aus der Ukraine: Die Militärgebietsverwaltung von Chmelnyzkyj bedankt sich damit für die Hilfsgüter und besonders für die dringend benötigten Rettungsfahrzeuge.
Spenden sind weiterhin willkommen: Die humanitäre Hilfe soll fortgesetzt werden, die Spendenkonten sind weiterhin geschaltet. Gelder können unter dem Stichwort „Ukraine-Hilfe Landkreis Stade“ hier eingezahlt werden: DRK-Kreisverband Stade Flüchtlingshilfe gGmbH, IBAN: DE 91 2419 1015 1009 3346 00. Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. – Regionalverband Bremen-Verden, IBAN: DE 16 3702 0500 0004 3107 18.