Hamburg/Rade. Henriette Vaslaitis, 21, ist Ehrenamtliche im Hospizdienst „KidsAnker“. Ihre Motivation nimmt sie aus der eigenen Kindheit.
Henriette Vaslaitis war 15 Jahre alt, als ihre neue Lehrerin der Klasse etwas sagte, das sie so noch nie gehört hatte. Ihre Tochter sei an einem Lebertumor gestorben, erzählte die Pädagogin. Mit zwölf Jahren. Nicht alle aus der Klasse wollten darüber sprechen, einige Eltern beschwerten sich. Henriette aber stellte ihrer Lehrerin eine Frage nach der anderen. Denn da war etwas, das ihr sagte: Das tote Mädchen hätte auch das am Tisch neben mir sein können. Oder ich selbst. Heute ist Henriette Vaslaitis 21 Jahre alt und begleitet Familien, in denen ein Kind sterbenskrank ist. Ehrenamtlich.
Es ist ein ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst, für den sich die junge Frau einsetzt. „KidsAnker“ heißt er, hat seinen Sitz auf St. Pauli und bietet seine Dienste in Hamburg und Umgebung an, bis nach Stade und dem Alten Land, Seevetal und Winsen/Luhe. Träger ist die Elbdiakonie.
Was passiert eigentlich passiert mit einer Familie, wenn ein Kind krank wird oder stirbt?
„Die Lebensgeschichten von Menschen haben mich schon als Kind interessiert“, erzählt die junge Frau aus Rade. „Warum ist jemand, wie er ist? Wo sind die Wurzeln für ein Verhalten?“ Als sie in der sechsten Klasse war, also elf Jahre alt, sah Henriette sich Biografien und Dokumentationen auf Youtube über Hospizarbeit an. „Das hat mich total fasziniert.“
Und so ist ihr Interesse daran, was eigentlich passiert mit einer Familie, wenn ein Kind krank wird oder stirbt, sogar noch einige Jahre älter als ihr Erlebnis mit ihrer Lehrerin. Woher es kommt, kann sie nicht wirklich sagen, „es war einfach da“.
Erzieherin gelernt, Ausbildung zur Kinderhospizbegleiterin absolviert
Nach der Schule hat Henriette Vaslaitis Erzieherin gelernt, zeitgleich die Ausbildung zur ehrenamtlichen Kinderhospizbegleiterin absolviert. Zurzeit engagiert sie sich in drei Familien. „Ich bin ihnen ein gewisser Anker“, sagt die 21-Jährige. „Ein Anker, wenn man ihn braucht.“
Wichtig ist Henriette und dem gesamten ehrenamtlichen Team, den Familien Freiräume zu verschaffen, indem sie ihnen Zeit schenken. Den Fokus auf positive Momente und Erlebnisse legen.
„Lebensqualität ist wichtig“, sagt denn auch Janine Ratai, leitende Kraft des Kinder- und Jugendhospizdienstes. Die gelernte Fachkinderkrankenschwester hat „KidsAnker“ vor fünf Jahren gemeinsam mit einer Kollegin gegründet. Ihr Konzept: Lebensbegleitung und Hilfe zur Selbsthilfe, dazu gehören auch sozialrechtliche Beratung und pflegerische Anleitungen.
40 aktive Ehrenamtliche engagieren sich bei „KidsAnker“
Etwa 40 aktive Ehrenamtliche engagieren sich bei „KidsAnker“, die Anzahl der betreuten Familien liegt ähnlich hoch. Interessant: Der Hospizdienst leidet nicht an dem vielerorts beschriebenen Mangel an Ehrenamtlichen. Im Gegenteil, hier liegt der Altersdurchschnitt mit Mitte 30 sogar sehr niedrig. Viele Studierende seien dabei, ansonsten Angehörige sozialer Berufe, aber auch Soldaten und Rentner. „Ohne bürgerschaftliches Engagement ist die Unterstützung der Familien nicht möglich“, macht Ratai klar. „Das Ehrenamt ist für uns sehr wichtig.“
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Problematisch wird es allerdings, wenn Interessierte eigene Trauer noch nicht bewältigt haben. „In Vorgesprächen sondieren wir, weil nicht jeder Mensch eine solche Begleitung ausüben kann“, erklärt Sandra Schlabbach, Mutter von Henriette und bei „KidsAnker“ zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Problematisch ist außerdem, dass das Ehrenamt bloß bis zur Gesundung respektive dem Tod des jeweiligen Kindes von den Krankenkassen refinanziert wird. Da die Unterstützung für die Familien selbst kostenfrei ist, sei „KidsAnker“ für etwa 40 Prozent aller Kosten auf Spenden angewiesen. Denn: „Die Arbeit danach bezahlt niemand“, erklärt Sandra Schlabbach. „Die Familien aber brauchen uns gerade dann auch noch – zumindest für eine gewisse Weile.“
120 Stunden umfassender Ausbildungskurs zur Qualifizierung beginnt
Denn selbst wenn die freudigste aller möglichen Nachrichten eine Familie erreicht, nämlich die Heilung des Kindes: Selbst dann ist nicht auf einmal wieder alles in bester Ordnung. Das weiß auch die junge Kinderhospizbegleiterin Henriette Vaslaitis: „Auch dann brauchen die Familien Unterstützung.“ Sie selbst hat erlebt, dass die eigentlich lang ersehnte frohe Botschaft ein seit Jahren eingespieltes System zunächst überfordern kann. Denn: „Was den Familien dann fehlt, ist eine neue Struktur.“
Ein neuer, 120 Stunden umfassender Ausbildungskurs zur Qualifizierung für die ehrenamtliche Kinderhospizbegleitung beginnt am 3. November 2023. Mehr Informationen gibt es bei Instagram und Facebook sowie auf der Internetseite der Elbdiakonie. Janine Ratai ist zu erreichen unter 0160/92 50 99 60.