Bullenhausen. Torsten Kampf war schon ganz unten und gab trotzdem nie auf. Das ist die Geschichte eines großen Mutmachers.

Sie gehören zu Harburg und Umland wie Phoenix und der Binnenhafen – die Verkäufer des Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“. Einer der Verkäufer heißt Torsten Kampf. Seit 1993 ist er dabei – also seit der Gründung der Zeitschrift vor nunmehr 30 Jahren. Zurzeit steht er im Eingangsbereich von Edeka in Bullenhausen im Landkreis Harburg.

Sein Erfolgsrezept: stets freundlich sein, immer einen Witz auf Lager und ein offenes Ohr haben. „Viele kommen auch einfach zum Schnacken zu mir. Die erzählen mir dann ihre Geschichten und ich höre einfach zu“, erzählt er. „Wenn sie dann aber meine Leidensgeschichte hören, sind sie oft schockiert.“

Torsten Kampfs Geschichte ist lang und geprägt von vielen Krankenhausaufenthalten. Er war vier Jahre alt, als seine Mutter Suizid beging, von seinem Vater wurde er daraufhin bei den Großeltern in Maschen abgegeben. Dort wuchs er auf und machte seinen Hauptschulabschluss, lernte Maler und Lackierer, wechselte zum Rangierer bei der Deutschen Bahn – und verunglückte. Was folgte, war die erste von heute insgesamt 46 Operationen.

Hinz&Kunzt: Als er keine Arbeit finden konnte, verlor er seine Wohnung

Diverse gebrochene Knochen, Entzündungen, Materialentfernungen, neue Gelenke – all das musste er mitmachen. Ein erneuter Arbeitswechsel zum Schaustellergewerbe, eine Umschulung zum Hochbauzeichner, Hausmeister in einem Hotel. Viele Jobs, die immer wieder von Unfällen unterbrochen wurden. Und die ihn so weit nach unten beförderten, wie es für viele Menschen kaum vorstellbar ist. Als er einmal keine Arbeit finden konnte, verlor er kurz darauf seine Wohnung.

Wie viele „Hinz&Kunzt“-Verkäufer hat auch Torsten Kampf „auf Platte“ gelebt, drei Jahre lang. Irgendwann wollte er etwas ändern. „Auf der Straße gibt es viele, die sich nicht benehmen können“, sagt er. Er suchte sich eine Bleibe in öffentlichen Wohnräumen und fing 1993 als „Hinz& Kunzt“-Verkäufer an.

„Ich mache das gerne, und das merken die Kunden“

Zwölf Jahre verkaufte er in Buxtehude, seit anderthalb Jahren ist er in Bullenhausen. Dort hat er eine Wohnung zusammen mit einem Freund und seinem Kater Rocky. Wegen seiner vielen Operationen, der Schwerbehinderung und den Schmerzen sei „Hinz&Kunzt“ der einfachste Weg für ihn, Geld zu verdienen.

„Es macht mir Spaß hier. Ich mache das gerne, und das merken die Kunden.“ Ist er mal einen Tag nicht da, fragten viele, wo er denn gewesen sei. Es habe Zeit gebraucht, um sich das zu erarbeiten, sagt Kampf. Fast ein Jahr habe es gedauert. Heute hat er fast nur Stammkunden, auf rund 80 Prozent schätzt Kampf ihren Anteil.

„Hinz&Kunzt“ ist ein großes Glück für Menschen wie Torsten Kampf. Der Verlag mit inzwischen 38 Angestellten bietet Obdachlosen aber nicht nur die Möglichkeit eines eigenen Einkommens durch den Verkauf der Zeitungen. Sondern hilft auch sonst, wo es nur geht. Zum Beispiel durch Wohnungen für 27 Menschen in St. Georg, die sonst kein Dach über dem Kopf finden. Dort leben sie in Wohngemeinschaften. Nicht nur, wenn es draußen friert.

Zwanzig Jahre war er Rettungsschwimmer bei der DLRG

Das Hamburger Winternotprogramm Hamburg arbeitet dagegen an, dass Menschen auf der Straße erfrieren. Und trotzdem gibt es jedes Jahr wieder Todesopfer – nicht nur im Winter. 24 waren es im vergangenen Jahr. Ein Zustand, der auch viele Menschen um den Schlaf bringt, die sich in Harburg und Umland um obdachlose Menschen kümmern.

Dabei kommen sie mitunter auch auf kreative Ideen, so wie Olaf Bohn, Leiter des Hans-Fitze-Hauses, einem betreuten Treffpunkt für die Trinkerszene und andere suchtgefährdete Menschen im Bezirk Harburg. Wie berichtet bestellte er kurzerhand kleine Ein-Mann-Zelte für den Garten seiner Einrichtung. Das Experiment startete vor Kurzem und soll obdachlosen Menschen, die nicht in einer Unterkunft schlafen können, vor dem Kältetod bewahren.

Wer tagsüber als Verkäufer für „Hinz&Kunzt“ arbeiten möchte, braucht tatsächlich ein wenig mehr als „nur“ eine Bleibe für die Nacht. Die Verkäufer müssen sich die Zeitungen vom eigenen Geld kaufen. 1,10 Euro kostet das für sie, für 2,20 Euro verkaufen sie sie dann wieder. Wer nicht klug mit dem Geld haushaltet, kann sich nicht regelmäßig neue Zeitungen zum Verkaufen holen.

Wie gescheiterte Therapieversuche aussehen, hatte er bei seinem Vater mitbekommen

Torsten Kampf hat sich in seinem Leben als „Hinz&Kunzt“-Verkäufer eingerichtet. Auch wenn er an der Armutsgrenze lebt und nur knapp über die Runden kommt, erzählt er viel Positives aus seinem Leben. Zum Beispiel aus seiner Zeit als Rettungsschwimmer und Sanitäter bei der DLRG. Es ist nur ein kleines Detail und erzählt doch so viel: dass da einer, auf den so viele Tag für Tag herabschauen, früher mal selbst den Anderen das Leben gerettet hat.

Heute zählt das Kochen zu seinen neuen Leidenschaften. Gulasch oder echtes mexikanisches Chili. Alkohol gibt es aber nur zum Kochen. Seit 2004 trinkt er keinen Tropfen mehr. Damals kam er mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus. Den Ausstieg aus der Sucht schaffte er aus eigener Willenskraft.

Auf Torsten Kampf warten in nächster Zeit noch weitere OPs

Wie mehrere gescheiterte Therapieversuche aussehen, hatte er bei seinem Vater mitbekommen, der ihn und seine Mutter im Suff schlug. So wollte er nicht werden. „Das Leben ist viel zu schön, und ich habe zu Hause jemanden zu versorgen“, sagt Kampf. Kater Rocky warte schließlich jeden Tag an der Tür darauf, dass er endlich nach Hause kommt.

Auf Torsten Kampf warten in nächster Zeit noch weitere Operationen. Doch er bleibt optimistisch. „Noch anderthalb Jahre, dann brauche ich den nicht mehr“, sagt er und tippt auf seinen Rollstuhl. „Vielleicht gehe ich dann irgendwann mal wieder schwimmen.“