Bergedorf. In Bergedorf hat Hinz & Kunzt-Verkäuferin Claudia Dobberfuhl ein bisschen Glück gefunden. Sie möchte bleiben, aber es gibt ein Problem.
Am liebsten mit Wärmflasche, Radio und dem Duft frischen Kartoffelstampfes: So möchte man mit Claudia Dobberfuhl in der Küche hocken und stundenlang über die Zufälle des Lebens plaudern. Dabei ihre Reibeisenstimme hören und in die liebevollen Augen gucken – völlig frei von Vorurteilen, Jammerei und Vorwürfen.
Immerhin um fünf Kinder hat sie sich gekümmert. Nur nie so recht um sich selbst. Aber das ist gar nicht eine so lange Geschichte, wobei darin vorkommen muss, dass sie wochenlang auf der Straße schlief. „Die anderen Obdachlosen haben getrunken, aber trotzdem auf mich aufgepasst“, erinnert sie die Zeit auf der Platte vor C&A an der Mönckebergstraße.
Ein Leben voller Nackenschläge: Happy Ende in Bergedorf
Seit inzwischen 16 Jahren schon – wie eingeflochten ins Stadtbild – ist sie nahezu allen Bergedorfern bekannt als die Frau, die vor der alten Kornwassermühle am Kupferhof sitzt und das Straßenmagazin Hinz & Kunzt verkauft. Aber hier muss der Text Brüche haben, so wie ihr Lebenslauf: Als Erstes gilt zu sagen, dass dringend eine Sozialwohnung in Bergedorf gesucht wird. Im Erdgeschoss oder mit Aufzug, denn die 60-Jährige ist überhaupt nicht mehr gut zu Fuß. „Dann würde ich auch weitermachen“, verspricht sie allen Kunden, die sich gerade mit guten Worten von ihr verabschieden, weil sie im Obdachlosenheft gelesen haben, dass Claudia aufhören will: „Mir tut der Rücken arg weh, es ist einfach zu weit geworden, jeden Tag von Rissen bis Bergedorf zu fahren.“ Vermieter mit Herz rufen also gern an unter Telefon 0176/40 47 94 76.
Das mit dem Ankommen in einem wohligen Zuhause ist bislang nicht gerade ein roter Faden in ihrem Leben. Das ist schon damals in Magdeburg so, wo ihre Eltern einen Gemüseladen betreiben – und ständig an den Westen denken. 1965 packen sie ihre drei Kinder, fliegen von Berlin bis nach Prag und wollen durch den Böhmerwald flüchten. „Aber da haben uns tschechische Grenzer erwischt, die uns zurück in die DDR schickten“, erzählt Claudia Dobberfuhl.
Eltern im Gefängnis, Kinder im Heim
Die Eltern landen im Gefängnis, alle Kinder im Heim. Das Ganze sogar dreimal hintereinander: „Meine Mutter blieb jedes Mal ein Jahr lang eingesperrt. Wir galten als nicht tragbar für das sozialistische System.“ Da ist ihr längst klar, dass aus dem Traumberuf in der Gerichtsmedizin nichts wird.
Im Stellwerk arbeitet sie, jobbt in Gaststätten und im Café – immer abends, wenn ihr Mann von seiner Arbeit als Dreher heimkommt. Bis zum Februar 1990, als es endlich zu den Großeltern nach Essen geht – „mit vier Kindern, zwei Koffern und einem Mann, der keine Waschmaschine bedienen konnte“. Es folgen ein fünftes Kind, die silberne Hochzeit – und die Trennung: „Er nahm sich eine Frau, die jünger war als unsere jüngste Tochter.“
Drei Monate „Platte gemacht“
Der nächste Bruch steht bevor, als die Kinder groß sind: 2006 fährt Claudia Dobberfuhl „ohne Plan“ nach Hamburg und lernt drei Monate lang das Elend auf der Straße kennen. Und immer wieder werden die wenigen Habseligkeiten umgeräumt – in die Barmbeker Frauen-WG und in die Lohbrügger Wohnung, in der dann ihre depressive Tochter mit nur 27 Jahren verstirbt. „Da gab es eine große Anteilnahme der mitfühlenden Bergedorfer, die haben gesehen, wie traurig ich an meinem Verkaufsplatz war.“
Ohne Strom und fließend Wasser folgen fünf Jahre in den Kleingärten am Schwarzen Weg, bis sich eine kleine Wohnung in Wentorf findet. Die jedoch soll bald darauf verkauft werden, also geht es aufs Sofa einer Bergedorfer Freundin – und schließlich vor zwei Jahren nach Rissen.
Vertraut mit Bergedorfs Familien
„Aber da kenne ich doch keinen. Weil ich immer hier bin, sogar auch sonnabends gearbeitet habe“, sagt die 60-Jährige, der die Bergedorfer dicht ans Herz gewachsen sind: „Sie stellen mir inzwischen sogar ihre Enkel vor und ihre Katzenfreundin. Eine ältere Kundin strickt mir jeden Winter eine Mütze, eine andere schenkt mir dicke Socken.“ Das hilft zwar bei schmerzenden Bandscheiben, kranker Lunge und Spinalkanalverengung. „Aber ich kann eben nicht mehr jeden Tag meinen Klapphocker und die Zeitungen aus Rissen anschleppen.“
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Dabei würde sie gern noch lange Zeit mit den Bergedorfern „nett sabbeln und winken“. Denn zu ihren eigenen vier Kindern, die heute zwischen 34 und 40 Jahre alt sind, hat sie wenig Kontakt. „Aber noch fahre ich regelmäßig zu meiner Mutter nach Essen, es muss sich doch einer um die 84-Jährige kümmern.“
So ist das mit dem Kümmern, der Wärmflasche und dem Kartoffelstampf. Und manchmal gibt es vielleicht sogar Zufälle im brüchigen Leben, die zu einer wohligen Wohnung führen. Bitte in Bergedorf!