Harburg. Hanz-Fitze-Haus: Obdachlose mussten nachts raus. Auf der Suche nach einer Alternative entstanden die „Iglous“. Eine ungewöhnliche Idee.
Ein bisschen sieht es so aus, als hätte eine außerirdische Pfadfindergruppe ihr Lager vor dem Hans-Fitze-Haus in der Harburger Innenstadt aufgeschlagen: Silbergrau glänzen die kleinen Zelte in den fünf Minuten Sonnenschein, die Petrus Harburg heute gönnt. Doch schon fallen wieder die ersten Tropfen vom Himmel, und schnell mischen sich auch Schneeflocken darunter. Es ist nasskalt, und genau darum geht es bei den kleinen Schlafröhren: Warm und trocken bleiben, denn durchnässt kann man auch noch über dem Gefrierpunkt erfrieren.
Nicht für Aliens sind die „Iglous“ gedacht, sondern für obdachlose Menschen, die sonst keine Möglichkeit haben, warm und trocken zu bleiben.
Obdachlos in Hamburg: Zahl der Notschlafplätze begrenzt
Wenn Olaf Bohn und sein Team abends das Hans-Fitze-Haus, den betreuten Treffpunkt für die Harburger Trinkerszene und andere suchtgefährdete Menschen, schließen, schicken sie ihre Besucher nach Hause. Einige jedoch haben gar kein zu Hause, nicht einmal eine Notunterkunft. Zwar hält die Freie und Hansestadt Hamburg eine relativ große Zahl Notschlafplätze vor, aber nicht jeder kann sie nutzen. Einige haben generell Angst vor anderen Menschen, andere davor, in den engen Unterkünften angegriffen oder bestohlen zu werden. Wer einen Hund hat, hat wenig Auswahl an Notschlafplätzen: Das Harburg Huus des DRK ist da eine Ausnahme.
Und dann gibt es noch die, die keinen Anspruch auf Hilfe in Deutschland haben. Oft sind es Osteuropäer. Wenn sie in ihrem tausende Kilometer entfernten Heimatland noch eine Meldeadresse haben, gelten sie in Deutschland nicht als obdachlos und erhalten dementsprechend auch keine Hilfe. „Ich nenne diese Menschen das Prekariat unter den Obdachlosen“, sagt Olaf Bohn. „Und es hat mir immer in der Seele wehgetan, diese Menschen Abends wieder aus dem Haus schicken zu müssen; aber wir müssen abends irgendwann schließen, sonst finden einige unserer Bewohner kein Ende.“
Harburger Innenstadt: Zelte werden mit eigener Körperwärme geheizt
Die Iglous – die Schreibweise ist auf den französischen Ursprung der Erfindung zurückzuführen – sind sehr einfach konstruiert. Mehrere Schichten harter Schaumstoff, wie man ihn von Isomatten kennt, bilden eine große Matte, die dreimal gefalzt und mit puzzlenasenähnlichen Zapfen zu einer dreieckigen Röhre verbunden werden. Dazu kommen zwei gezapfte Deckel aus dem gleichen Material und eine Aluminiumkaschierung auf der Innenseite. Geheizt wird mit der eigenen Körperwärme. Bis zu 15 Grad werden der Außen-Kälte so genommen. Zusammen mit einem guten Schlafsack reicht das in Deutschland für gewöhnlich aus.
Das Hans-Fitze-Haus ist aus einer Selbsthilfe-Initiative der Harburger Trinkerszene hervorgegangen. In einem alten Container auf einer der letzten Brachflächen der Harburger Innenstadt, an der Knoopstraße, hatten sich Männer und Frauen, die sonst vor dem Rathaus tagsüber Alkohol tranken, einen Treffpunkt geschaffen, an dem sie niemanden stören. Mit den Vorbereitungen für den jetzt erst fertiggestellten Wohnungsneubau auf der Fläche, musste der Container weichen. Eine neue Zuflucht wurde in dem Haus gefunden, das Harburgs verstorbenem Theaterintendanten Hans Fitze einst als Dienstwohnung und Fundusgebäude gedient hatte. Gleichzeitig übernahm die zur Diakonie gehörende „Passage“ GmbH die Trägerschaft des Treffpunkts.
Ins Hans-Fitze-Haus kommen die Obdachlosen zum Klönen und Wäschewaschen
Die Gäste aus dem Container sind nicht die einzigen, die das Haus anspricht. Die Bänke auf dem Rathausplatz waren ja schnell mit anderen Gruppen gefüllt, darunter vermehrt osteuropäische Wanderarbeiter. Wenn einer der Tagelöhner längere Zeit morgens keinen Job bekommt, gerät er schnell mit der Unterkunftsmiete in Rückstand und sitzt bald auf der Straße. Auch diese Leute kommen ins Hans-Fitze-Haus, zum Klönen, Aufwärmen, zur Sozialberatung oder um Wäsche zu waschen oder etwas Warmes zu essen.
Olaf Bohn weiß, dass Obdachlose keine homogene Gruppe sind, unterscheidet aber dennoch zwischen denen, die nur vorübergehend obdachlos seien, einer „Mittelschicht“, die noch Bürgergeld bekomme, und einer letzten Gruppe: jene, die keinen Anspruch auf Leistungen haben, Bohnes „Obdachlosenprekariat“.
Hamburger Behörde untersagte Feldbetten in den Innenräumen
Um diese Menschen nicht vor die Tür setzen zu müssen, hatten Bohn und sein Team schon überlegt, Feldbetten in einem der Räume aufzustellen, doch das wurde von den Behörden nicht genehmigt. Es gibt Mindestansprüche an Unterkünfte, und es gab Haftungsfragen. Da hörte Bohn von den Iglous. Den freien Platz hat er: Seit Sommer wartet er auf eine Baugenehmigung, um Duschcontainer für Obdachlose aufstellen zu können. „Ich rief dort sofort an“, sagt er. „Aber es kam zu einer E-Mail-Panne, so dass wir statt noch vor Weihnachten erst vor einigen Wochen die Iglous aufstellen konnten.“
Für sein Team ist das ein spannendes Experiment: Abends wird nur noch das Haus abgeschlossen, aber nicht der Garten. Der bleibt offen, und dort steht eine Bautoilette. Es gab bislang keine Gelage und keine ungebetenen Besuche auf dem Gelände. „Es gab lediglich mit einem Bewohner Reibereien, die aber gelöst wurden“, sagt Bohn. „Trotzdem waren seinetwegen zwei andere Bewohner schon wieder ausgezogen.“