Landkreis Harburg. Die Bahnstrecke Hamburg–Hannover muss leistungsstärker werden. Seit Jahrzehnten wird geplant und verworfen. Eine Aufarbeitung.
Eigentlich geht es im Idealfall nur um 13 Minuten Zeitersparnis auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover. Doch der Ärger um die Planungen, wie die schnellste Fahrzeit von bisher 72 Minuten auf 59 Minuten verkürzt werden kann, ist im Landkreis Harburg gewaltig groß. Die Deutsche Bahn gibt kaum Informationen über den Planungsstand heraus. Selbst den Kommunalpolitikern werden die aktuellen Pläne vorenthalten.
Anwohner in der Lüneburger Heide fürchten, dass eine mögliche Neubaustrecke Ortschaften teilen könnte. Der Landkreis Harburg veranstaltet deswegen am heutigen Dienstag eine Informationsveranstaltung. Das Abendblatt fasst die unendliche Geschichte einer Trassenplanung – die just wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen zu werden droht – zusammen.
Deutsche Bahn erklärt Streckenabschnitt für überlastet
Bislang fahren der ICE, genauso wie der Metronom und der Güterverkehr von Hamburg vor allem über Lüneburg, Uelzen und Celle nach Hannover. Diesen Verlauf fuhren die ersten Züge schon vor 170 Jahren, als Niedersachsen noch das Königreich Hannover war. Seitdem wurde die Strecke zwar modernisiert und ausgebaut, an der Route hat sich dagegen kaum etwas geändert. Bereits vor 11 Jahren erklärte die Deutsche Bahn den Abschnitt zwischen Stelle und Uelzen als überlastet.
„Die Streckenauslastung liegt etwa 30 Prozent über der errechneten Nennleistung“, heißt es in einem aktuellen Gutachten aus dem Juni 2022. Das liegt vor allem am Mischverkehr, also der gleichzeitigen Streckennutzung von Nah-, Fern- und Güterverkehr mit ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeit. Zusätzlich geben die neuesten Planungen für den Deutschland-Takt eine Fahrtzeit von 59 Minuten zwischen den Hauptbahnhöfen Hannover und Hamburg – ohne Halt in Hamburg-Harburg – vor.
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An dieser Zeit hängen die aufeinander abgestimmten Weiterfahrten, zum Beispiel nach Süddeutschland, Westerland und Dänemark. Bisher erreichen die schnellsten ICE-Verbindungen eine Zeit von 72 Minuten. Durch die große Auslastung auf der Strecke verbringen Reisende aber meistens mehr als 90 Minuten in den Schnellzügen.
Das etwas an der Strecke passieren muss, ist allen Beteiligten klar. Doch zwischen Bürgerinitiativen, Politikern und der Deutschen Bahn gibt es seit Jahren Streit, um die richtige Lösung.
Drei Entwürfe für Trassenverlauf, dreimal bleibt es bei Plänen
Pläne für eine direktere Zugstrecke zwischen den beiden Landeshauptstädten gibt es von der Bundespolitik seit nunmehr 60 Jahren. Dreimal entwarf die Bahn bereits einen komplett neuen Trassenverlauf. Dreimal blieb es nach langen Planungen und Diskussionen bei der bestehenden Strecke. Der erste große Plan entstand in den 1960-Jahren. Durch zwei Neubaustrecken sollte eine Reisezeit von 60 Minuten erreicht werden. Doch die Idee wurde noch im gleichen Jahrzehnt verworfen, weil ein Trinkwasserschutzgebiet zerschnitten worden wäre.
Zwanzig Jahre später – im Jahre 1988 – sollte es nicht nur einen neuen Streckenverlauf geben, sondern gleich eine neue Attraktion im Norden entstehen. Die erste Trasse der Magnetschwebebahn Transrapid in Deutschland, solle an und über der Autobahn 7 durch die Lüneburger Heide führen, entschied ein Expertenrat der Bundesregierung in Bonn.
Bau der Schwebebahn Transrapid scheiterte am Naturschutz
Auf vier Meter hohen Betonstelzen sollte die Schwebebahn durch die Norddeutsche Tiefebene gleiten. Doch so groß die Vorfreude über die neue Privatbahn bei einigen Politikern war, die Industrie und selbst der Bundesverkehrsminister Jürgen Warnke lehnten die Idee ab. Kritik kam auch von Naturschutzverbänden in der Lüneburger Heide. Die Naturfreunde Nordheide, sagten 1989 dem Hamburger Abendblatt: „Durch den Bau würde Naturlandschaft in bisher nicht gekanntem Ausmaß zerstört werden.“
Der Niedersächsische Landtag sprach sich gegen den Neubau der Magnetbahn aus. Nach der ersten Jubelphase verschwanden die Pläne schnell wieder in den Schubladen. Vor allem die hohen Kosten von mehr als fünf Milliarden Mark alleine für den Bau und Kritik von Anwohnern sorgten dafür, dass sich die Bahn lieber auf das Projekt einer konventionellen Neubaustrecke stürzte.
Ende der 1990er-Jahre tauchte die Idee der Y-Trasse auf
In diesem als Y-Trasse bekannt gewordenen Projekt erstellten die Planer Ende der 1990-Jahre zunächst drei Neubauvarianten, denen in den folgenden Jahren noch weitere Untervarianten folgen sollten. Bei der dritten Variante war ein kompletter Neubau von Ashausen, an der A7 entlang nach Hannover vorgesehen. 1999 gingen insgesamt 16.000 Stellungnahmen von Bürgern zu den Varianten ein. Die meisten aus dem Bereich der Lüneburger Heide. Während die A7-Variante bereits Anfang der 2000-Jahre ausschied, ging das Planungsprojekt 15 Jahre weiter.
In der Zeit verzögerte es sich mal aufgrund fehlender Pläne, mal wurde vier Jahre nicht weiter an den Trassen geplant, weil es Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Projektes gab. Bürgerinitiativen, wie „unsYnn“ aus dem Heidekreis oder die Bürgerinitiative Egestorf und der Projektbeirat Alpha-E entstanden. Zeitgleich baute die Bahn zwischen Stelle und Lüneburg für 350 Millionen Euro ein drittes Gleis, um den Streckenabschnitt zu entlasten.
„Fehlende und unsinnig platzierte Weichen schränken bis heute eine vernünftige Ausnutzung des neuen Gleises ein“, sagt Peter Dörsam, der sich als Sprecher des Projektbeirates Alpha-E in das Thema eingearbeitet hat.
Mehrere Millionen Euro flossen in die Planungen
Nachdem mehrere Millionen Euro in die Planungen geflossen waren, einigten sich die Bahnvertreter 2015 mit den Bürgerinitiativen und Politikern im Dialogforum Schiene Nord: Keine der Neubauvarianten der Y-Trasse wird umgesetzt. Dafür sollte unter anderem die bestehende Strecke zwischen Lüneburg und Uelzen von zwei auf drei Gleise ausgebaut werden. Die Lösung Alpha-E war geboren.
Doch schon ein Jahr später stellten Gutachter fest, dass die Nutzen und Kosten in keinem Verhältnis stehen würden. Aus Alpha-E wurde nach weiteren Planungen das Projekt „Optimiertes Alpha-E“, was zusätzliche Ausbauten der bestehenden Strecken vorsah. Umgesetzt wurde davon in den letzten Jahren jedoch nichts.
„Wir befinden uns in einer frühen Planungsphase“, schrieb im Juni 2022 ein Bahnsprecher, der nicht namentlich genannt werden möchte. Nach einem neuesten Entwurf könnten die ersten Baumaßnahmen wohl 2026 beginnen. Dafür sollen für bis zu zehn Millionen Euro Signale im Bereich Lüneburg nachgerüstet werden.
Weiche fehlt am dritten Gleis zwischen Stelle und Lüneburg
Auch die fehlenden Weichen beim dritten Gleis zwischen Stelle und Lüneburg sollen nun gebaut werden. Der Neubau eines Bahnsteiges in Uelzen, die Errichtung eines Überholgleises bei Bienenbüttel und gut ein Dutzend weitere Infrastrukturmaßnahmen könnten sich in den Jahren danach anschließen.
Trotz der Absage an Neubaustrecken aus dem Jahre 2015 begannen die Projektmanager der Deutschen Bahn im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums in der Zwischenzeit zwei weitere Neubauvarianten neben dem eigentlich beschlossenen Streckenausbau zu entwerfen. Die beiden neuen Varianten teilen sich in „bestandsnahe“ Ortsumfahrungen im Bereich Lüneburg/Uelzen und eine „bestandsferne“ Neubaustrecke auf. Im Landkreis Harburg stößt besonderes die bestandsferne Trasse auf Kritik.
Denn diese führt nach dem bekanntwerden eines Gutachtens entlang der Autobahn 7 durch die Lüneburger Heide. Also wieder genau in dem Bereich, indem schon der Transrapid fahren sollte und welcher bei der Y-Trasse frühzeitig ausschied.
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Der Plan für diesen Neubau steht auch im „Abschlussbericht zum Zielfahrplan Deutschlandtakt“ mit einem Kostenpunkt von 3,5 Milliarden Euro. Erst durch diese Veröffentlichung im Sommer 2021 bekamen die Kommunen, das Land Niedersachsen und die Öffentlichkeit einen Hinweis auf die Planungen.
„Über diese Variante liegen bisher nur sehr unvollständige Informationen vor“, beklagt seitdem Harburgs Landrat Rainer Rempe (CDU). Auch auf mehrfache Forderungen nach detaillierten Planungsunterlagen bekam der Landkreis Harburg keine weiteren Informationen. Im Gegensatz dazu legten Bahnvertreter dem Heidekreis bereits genaue Pläne für diese Variante vor. In einem Entwurf aus April 2022 ist ein Teil der Neubaustrecke entlang der A 7, an Bispingen und Borstel vorbei nach Evendorf eingezeichnet.
Geplante Strecke führt durch denGarten des Schützenhauses
„Wir sind erschüttert, wie nah und wie dicht diese Trasse an den Ortschaften vorbei führt“, sagte Christian Sauer, Sprecher der Bürgerinitiative Region Egestorf auf einer Protestveranstaltung im Mai. „Am Beispiel Evendorf zeigt sich wie wir hier auf der einen Seite von der Autobahn und auf der anderen Seite von der Trasse eingeschlossen würden.“
An einigen Wohnhäusern bei der Ortschaft Brocken und in Evendorf ist die Strecke weniger als 100 Meter vorbei geplant. Das Schützenhaus hätte die Strecke wortwörtlich im Garten stehen. Im Heidekreis bei Bispingen führt eine Entwurfstrecke erst durch eine Spielhalle, dann trennt sie eine Kartbahn in zwei Teile, um über den Parkplatz des Snow Dome weiter zu gehen. „Bei einem Neubau würden Naturräume und Siedlungsgebiete brutal durchschnitten“, sagt Landrat Rempe verärgert: „Das werden wir nicht hinnehmen.“
Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums, der ebenfalls nicht genannt werden möchte, betonte im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt immer wieder: „Es werden alle drei Varianten ergebnisoffen geprüft“.
Um den Deutschland-Takt realisieren zu können, muss die Fahrzeit zwischen Hamburg und Hannover ohne Zwischenhalt auf 59 Minuten reduziert werden. Die passgenaue Infrastrukturentwicklung stehe unter dem Leitprinzip „Erst der Fahrplan, dann der Aus- und Neubau des Schienennetzes.“ Davon würden alle Verbindungen im Güter- und im Nah- und Fernverkehr profitieren.
Die drei Varianten werden im Herbst an den Bund übergeben
Auf die Frage, ob die 59 Minuten bei allen drei Varianten erreicht werden könne, schreibt der Ministeriumssprecher: „Bei der Festlegung des Fahrzeitziels wurde entsprechend darauf geachtet, dass dieses variantenoffen erreicht werden kann“. Der Sprecher der Deutschen Bahn antwortet auf die gleiche Frage: „Die Frage nach der Fahrzeit können wir erst beantworten, wenn alle Ergebnisse vorliegen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“
Die drei Varianten werden im Herbst an den Bund übergeben. Der habe bereits angekündigt, sich dann mit der Landespolitik und der Region auseinanderzusetzen, so der Bahnsprecher.
Hier geht es zum Interview mit Bernd Althusmann
Das in Niedersachsen zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr war bisher nicht in die Planungen einer möglichen Neubaustrecke an der A7 eingebunden. Obwohl das Ministerium für den Bau von Bahnhöfen auf der Trasse verantwortlich wäre, erfuhr es von der Planung erst durch die Veröffentlichung im Gutachten zum Deutschland-Takt.
“Ich halte den Bau einer Neubaustrecke für unrealistisch und lehne sie ab”, sagt Minister Bernd Althusmann (CDU, siehe unten)) dem Abendblatt: „Schon die vormals geplante Y-Strecke enthielt die nicht umsetzbare Idee eines Neubaus“. Althusmann setzt sich wie auch die SPD-Bundespolitiker Svenja Stadler und Lars Klingbeil für den 2015 vereinbarten Ausbau der Bestandsstrecke ein. Das Ministerium in Hannover befürchtet durch einen möglichen Neubau sogar, dass Fernzüge aus Hamburg an der Niedersächsischen Landeshauptstadt vorbeifahren. Eine weitere Neubaustrecke führe westlich an Hannover vorbei in Richtung Bielefeld. Damit könnte es eine große Bahntrasse in Niedersachsen geben, ohne einen einzigen Halt im Bundesland.
Bund und Bahn haben bislang nicht auf Einladung reagiert
Bei der Informationsveranstaltung vom Landkreis Harburg in Hittfeld am heutigen Dienstag werden neben Landrat Rainer Rempe auch Peter Dörsam vom Projektbeirat Alpha-E und Minister Bernd Althusmann dabei sein. Vertreter der Bahn blieben sich ihrer Kommunikation treu und reagierten bis Montag nicht auf die Einladung.
Informationsveranstaltung, heute, Dienstag, 5. Juli, 18.30 Uhr, Burg Seevetal, Am Göhlenbach 11, Hittfeld