Stockelsdorf. Ein Tier komplett verwerten – das ist die Idee des norddeutschen Start-ups BesserFleisch. Das Geschäftsmodell Cow-Sharing wächst.
Lukas Nossenheim kennt seine Rindviecher. Gerade sind sie ein bisschen unruhig. „Die brauchen noch Zeit, um sich einzugewöhnen“, sagt er und krault einen Ochsen zwischen den Hörnern. Erst vor ein paar Tagen hat der Biobauer die Herde auf die Weide direkt hinter dem Krumbecker Hof, zwölf Kilometer nordwestlich von Lübeck, gebracht, nach den langen Wintermonaten im Stall. Jetzt steht er mit May-Britt Wilkens in der Frühlingssonne zwischen einem guten Dutzend Jungtiere. Das sieht idyllisch aus und nach glücklichen Kühen, und genau das ist es. Aber es ist auch eine Begutachtung. Am Ende des Sommers sind Nossenheims Rinder reif für den Schlachter. Der Landwirt bestimmt den Zeitpunkt, Wilkens übernimmt mit dem Start-up BesserFleisch den Verkauf.
„Erst wenn sich genug Kunden finden, wird ein Tier geschlachtet“, sagt die Hamburgerin. Weggeworfen wird nichts. Die Idee dahinter heißt Cow-Sharing, das klingt wie Car-Sharing, nur mit Kühen. Ein anderer Begriff ist Crowdbutchering, ein Wortspiel aus den englischen Wort Crowd für Menge und to butch für schlachten. Früher war es ganz normal, dass mehrere Familien in einem Dorf sich ein Tier geteilt haben. Aber die Lebens- und Einkaufsbedingungen haben sich geändert, heute kaufen die meisten – möglichst billig – im nächsten Supermarkt und haben keine Ahnung, woher ihr Fleisch kommt.
Immer mehr Menschen wollen wissen, was sie essen
Bei BesserFleisch, das Wilkens gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Brian Lettkemann betreibt, läuft die Vermarktung der Rinder von ausgewählten Höfen über ein Onlineportal. „Eigentlich ist es eine Art digitales Dorf“, sagt die Gründerin und spielt auf traditionelle Vorbilder an. Das Ziel aber hat viel mit Zukunft zu tun: eine nachhaltigere und transparentere Fleischwirtschaft mit Respekt vor den Tieren und fairen Preisen für die Bauern.
Einerseits lieben die Deutschen Fleisch. Im Schnitt 60 Kilogramm isst jeder im Jahr, deutlich mehr, als Ernährungswissenschaftler für sinnvoll halten. Das ist nur möglich mit Massentierhaltung und riesigen Schlachthöfen. Zugleich wächst die Gruppe derer, die wissen wollen, was sie essen und denen das Wohl der Tiere im Produktionsprozess nicht egal ist. Laut Ernährungsreport 2018 des Bundeslandwirtschaftsministeriums haben zwei Drittel der Befragten dies als wichtigste Forderung angegeben. 79 Prozent befürworten ein staatliches Tierwohl-Label. 90 Prozent wären bereit, einen höheren Preis für Lebensmittel zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden.
Erkennbar machen, was hinter der Aufzucht steckt
May-Britt Wilkens ging es ähnlich. Im Sommer 2016 war die 32-Jährige, eigentlich Übersetzerin für Chinesisch, nach einem dreijährigen Aufenthalt in Peking nach Deutschland zurückgekehrt. „In China habe ich gar kein Fleisch gegessen“, sagt sie. Zu viele Lebensmittelskandale, zu unklar die Bedingungen der Tierhaltung. „Ich hatte richtig Heißhunger auf ein Stück Rindfleisch, saftig und am besten bio“, erinnert sie sich. Aber im niedersächsischen Nienburg, wo sie zunächst bei ihrer Mutter wohnte, gab es das nicht. Den Tiersiegeln, denen sie im Supermarkt begegnete, misstraute sie. Daraus entstand der Plan, selbst in die Vermarktung einzusteigen. Über einen Bekannten lernte die Unternehmensgründerin Bauer Nossenheim kennen. Der 34-Jährige, gerade in die Geschäftsführung auf dem elterlichen Demeter-Betrieb im Ostholsteinischen eingestiegen, war auf der Suche nach einer Vermarktungsstrategie für das Fleisch seiner französischen Aubrac-Rinder. Das passte. „Ich will keinen anonymen Verkauf, sondern zeigen, was hinter der Aufzucht steckt“, sagt der Öko-Agrarwissenschaftler.
Tierwohl ist für ihn mehr als ein neues Label. Seinen Rindern soll es gut gehen. 40 sind es insgesamt, wenig im Vergleich zu anderen Züchtern. Im neuen Stall stehen die Mutterkühe mit den Kälbern aus diesem Jahr mit viel Raum und offenem Dach. „Ich bin bei der Geburt dabei und bringe sie zum Schlachter“, sagt Nossenheim. Zwei Jahre haben seine Rinder Zeit zu wachsen. „Stressfrei, das ist gut für die Tiere, und das Fleisch schmeckt auch besser.“ Um die erste Kuh komplett zu verkaufen, brauchte BesserFleisch-Gründerin May-Britt Wilkens zwei Monate. Kunden waren Familie und Freunde. Inzwischen sind es drei Rinder pro Woche. „Wenn wir eins online auf unserer Seite anbieten, ist es am nächsten Tag weg.“ BesserFleisch arbeitet mit zwölf Partnerhöfen in Norddeutschland zusammen, die samt ihren Tieren auf der Internetseite vorgestellt werden.
Bei Landschlachter Fritze reift das Fleisch drei Wochen
Von Bauer Nossenheim bis zur Landschlachterei von Jürgen und Christopher Fritze in Kalübbe sind es knapp 60 Kilometer. Es ist Packtag. May-Britt Wilkens hat zwei Helfer in das kleine Dorf bei Plön bestellt. „Heute wird Oskar verschickt“, sagt die junge Frau und muss ein bisschen schlucken. Sie hat den Ochsen aufwachsen sehen und ihm – ausnahmsweise – einen Namen gegeben. „40 Menschen sind glücklich, einer stirbt“, sagt sie ein bisschen lakonisch. „Damit muss ich jetzt klarkommen.“ In diesem Fall, immerhin brachte Oskar 450 Kilo auf die Waage, sind es sogar 52 Pakete, die verschickt werden. Es gibt die Kategorien Family, Küchenfest und Gourmet, jeweils fünf Kilogramm schwer mit Rumpsteaks, Bratwurst, Hackfleisch, Rouladen und Braten – und einer Rinderüberraschung, um das Packgewicht zu komplettieren. Die Schlachter haben nach Wilkens’ Listen das Tier zerlegt, drei Wochen abhängen lassen und die Stücke einzeln vakuumiert und etikettiert.
Jetzt gehen die Portionen verpackt zwischen wiederverwertbaren Hanfmatten und Gelkühlkissen und mit einem persönlichen Brief samt Rezept und Tipps für die Vorratshaltung zu Kunden in ganz Deutschland. In der Kartei hat BesserFleisch inzwischen 2000 Haushalte, die über das aktuelle Angebot informiert werden. In der Regel dauert es vom Bestellklick bis zur Auslieferung einen Monat. Die Preise liegen zwischen 129 und 199 Euro pro Fünf-Kilo-Paket inklusive Versandkosten. Das entspricht einem Kilopreis zwischen 26 und 40 Euro und ist auf dem Niveau von Biofleischereien. Innereien oder andere Besonderheiten, die nicht standardmäßig im Paket sind, kann man sich wünschen. „Aus den Knochen wird Rinderbrühe gekocht“, sagt Wilkens. Die Nachfrage ist groß. Die Resonanz positiv. Kritik an Transportwegen und Verpackungsaufwand kontert sie damit, dass auch das Fleisch aus dem Fachgeschäft oft weite Strecken gefahren wird.
Rinderzucht soll langfristig gesichert werden
Zwar gab es schon immer auch Züchter, die direkt vermarktet haben, aber es sind wenige. Vereinzelt gibt es Cow-Sharing-Projekte wie den Verein Weidelandschaften bei Osnabrück, bei dem sich Anteilsinhaber eine Kuh teilen und auch um sie kümmern, bevor das Tier geschlachtet wird. Oder die Initiative vom Kattendorfer Hof im Kreis Segeberg, wo Interessierte Kuh-Aktien für 500 Euro erwerben können. Die Dividende wird in Naturalien (fünf Prozent) oder in bar (2,5 Prozent) ausgezahlt. So soll die Rinderzucht langfristig gesichert werden. Die ersten Modelle, über das Internet Absatzmärkte zu schaffen, kommen aus den Niederlanden und Dänemark. Pionier in Deutschland ist die Plattform Kaufnekuh, die mit 40 Partnerbetrieben zusammenarbeitet und einen eigenen Schlachtbetrieb hat.
In Hamburg haben Hinrich Carstensen und Lina Kypke im vergangenen Sommer das Start-up Ein Stück Land gegründet. Das Prinzip ist ähnlich wie bei BesserFleisch, nur dass sich die beiden ausschließlich auf die Onlinevermarktung von Galloway-Fleisch konzentrieren. „Wir arbeiten mit drei Betrieben in Ostholstein zusammen und haben immer ein Rind online“, sagt Carstensen, der selbst von einem Hof kommt und im Hauptberuf Bauingenieur ist. Das Angebot werde gut angenommen. Es reicht vom Salami-Paket für 69 Euro bis zum Filet-Paket für 185 Euro. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt das Unternehmerpaar und hat Wachstumspläne. „Wir wollen nicht nur Fleisch verkaufen, sondern ein Marktplatz für regionale Produkte werden.“
Es gibt auch Zweifel
Während die Ideen in der Start-up-Szene sprießen, reagieren die etablierten Verbände abwartend auf die innovative Vermarktungsstrategien. Martin Lüdeke, Präsident des Hamburger Bauernverbands und selbst Rindermäster auf seinem Familienbetrieb in Curslack, sieht dagegen die Vorteile der Direktvermarktung. „Es ist eine Möglichkeit, wenn lange Entfernungen zwischen Landwirt und Kunden zu überbrücken sind.“
Aber er hat auch Zweifel, ob die Verbraucher tatsächlich bereit sind, die Ess- und Einkaufsgewohnheiten zu ändern. Denn: Kundenbedürfnisse und Liefermengen passten oft nicht zusammen. „Es gibt bei jedem Rind immer zu wenige edle Teile und zu viel Hackfleisch, Beinscheiben oder Schulterbraten“, sagt er zu den angebotenen Portionen. Auch Michael Durst, Obermeister der Hamburger Fleischer-Innung und Chef des Betriebs DieFeinschmecker mit drei Ladengeschäften, befürwortete die neue Absatzstrategie – grundsätzlich. „Wir sind dafür, dass die Kunden sich mit unseren Produkten auseinandersetzen.“ Allerdings hält er den Onlinevertrieb für einen Nischenmarkt. „Die Kunden wollen das Fleisch, das auf den Tisch kommt, sehen und direkt aussuchen.“
Die Macher von BesserFleisch haben im Moment allerdings eher das Problem, den Anfragen gerecht zu werden. „Wir wachsen jeden Monat“, sagt May-Britt Wilckens. Sie steckt inzwischen ihre ganze Arbeitskraft in ihr Unternehmen, hat nur noch einen kleinen Nebenjob bei einem Schlachter auf dem Wochenmarkt. „Wir sind auf einem guten Weg, dass sich das Geschäft trägt“, sagt sie. Inzwischen haben die Gründer erste Versuche mit Lammfleisch gemacht, auch den Internetverkauf von Schweinefleisch können sie sich vorstellen. „BesserFleisch zeigt, wie Landwirte Verbraucher informieren und ihre Produkte zu fairen Preisen verkaufen können“, sagt die Unternehmerin. Biobauer Nossenheim nickt. Und dass nicht nur online, sondern auch ganz direkt. Ende Mai lädt das Start-up Interessierte zu einen Tag der offenen Tür. Geplant sind Führungen bei der Landschlachterei Fritze und auf dem Krumbecker Hof. Mit glücklichen Rindern zum Anfassen.
Bestellung und Informationen unter:
www.einstueckland.de. Ein Stück Land bietet donnerstags von 17 bis 19 Uhr einen Direktverkauf von tiefgefrorenen Produkten im Lager in Kayhude, Segeberger Straße 121, an.