Berlin. Discounter Lidl bringt kommende Woche eine neue Vier-Stufen-Kennzeichnung für Fleisch in den Handel. Tierschützer loben die Initiative.

Könnte ein Schwein leben, wie es wollte, würde es sich in einer Rotte am Waldrand aufhalten. „Die Sau kommt gut ohne den Menschen aus“, weiß Christel Simantke von der Beratungsstelle für artgerechte Tierhaltung in Witzenhausen. Bekomme die Sau Junge, wolle sie selbst die Artgenossen nicht um sich haben. Sie verkrieche sich, baue ein Nest und komme erst circa zehn Tage nach der Geburt mit den Ferkeln zurück. Dann fresse sie sich mit Eicheln, Käfern und Würmern wieder rund.

Dieses „wilde“ Leben bietet heute praktisch kein Bauer seinen Tieren, der mit ihnen Geld verdienen will. Dennoch werden Schweine, Rinder, Hühner je nach Hof mal besser gehalten, mal schlechter. Doch wie kann ein Verbraucher erkennen, wie das Tier, dessen Fleisch er verzehrt, aufgewachsen ist? Man sieht es dem Fleisch nicht auf den ersten Blick an, sondern ist auf Kennzeichnungen angewiesen.

Staatliches Label soll mehr Klarheit schaffen

Das Problem ist auch in der Politik längst erkannt, doch bislang nicht gelöst worden. Die neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will deshalb noch in diesem Jahr ein staatliches Label für Fleisch aus besserer Tierhaltung ins Leben rufen, um mehr Klarheit zu schaffen.

Seit Jahren fordert der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, der das Ministerium berät, mehr Platz, weniger Medikamente und häufigeren Freigang für die tierischen Eier-, Fleisch- und Milchlieferanten. So wurden nicht nur „erhebliche Defizite“ im Tierschutz ausgemacht, sondern auch eine „verringerte gesellschaftliche Akzeptanz“ dafür.

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    Lidl dauert die Diskussion offenbar zu lange und geht nun in die Offensive. Der Discounter führt nächste Woche im Alleingang einen vierstufigen Haltungskompass ein, mit dem Fleisch aus Deutschland gekennzeichnet wird.

    Die Stufe 1 „Stallhaltung“ entspricht dem gesetzlichen Mindeststandard, Stufe 2 „Stallhaltung plus“ gewährt den Tieren etwas mehr Platz und Stroh zur Beschäftigung. Bei Stufe 3 „Außenklima“ haben Tiere zudem Zugang ins Freie, Genfutter ist tabu. Stufe 4 entspricht in der Variante „Bio“ der EU-Öko-Verordnung.

    Lidl wolle damit seine Kunden unterstützen, eine bewusste Kaufentscheidung für eine tierwohlgerechte Haltung zu treffen, erklärt Einkaufschef Jan Bock. Bio-Artikel kosteten dabei naturgemäß mehr als konventionelle.

    Lidl bekommt Lob vom Tierschutzbund

    Es ist nicht der erste Schritt in Sachen Kennzeichnung. Lidl hat sich schon 2015 mit anderen großen Lebensmittelhändlern, den Bauernverbänden und der Fleischindustrie in der Initiative Tierwohl zusammengeschlossen. Bei diesem Siegel bekommen Betriebe, die etwas für das Tierwohl tun, Geld aus einem Fonds, in den die Handelsketten einzahlen. Die Anforderungen an die Haltung unterscheiden sich aber nur wenig vom gesetzlichen Standard.

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      Lob bekommt die Lidl-Initiative vom Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Er ist überzeugt, dass diese nun Vorbild für andere Unternehmen sein müsse. Die Lebensmittelexpertin des Dachverbandes der Verbraucherzentralen, Sophie Herr, kritisiert dagegen Details der Klassifizierung. So gingen in Stufe 4 konventionell und bio „völlig durcheinander“ und führten den Kunden „in die Irre“. Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft kritisiert wiederum die Stufe 2. Sie sei „völlig anspruchslos“ und führe „nicht zu einer besseren Tierhaltung“.

      Für Verbraucher ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Schon heute gibt es viele verschiedene Siegel. Wir erläutern, welche Haltungsformen hinter den gebräuchlichsten Siegeln stecken:

      • EU-Bio-Siegel

      Schweine auf Bio-Betrieben können immer ins Freie, ihre Boxen im Stall sind im Vergleich zu herkömmlichen viel großzügiger. Sie sind zudem mit Stroh bedeckt. Die Schweine dürfen auch ihren Ringelschwanz behalten. Und die Sau bekommt vor der Geburt ein Extra-Abteil, in dem sie sich drehen, wenden und ein Nest bauen kann. In den Trögen liegt nie Futter, das genmanipuliert ist.

      Urteil: „Öko-Höfe kommen heute dem natürlichen Leben von Sauen und anderen Tieren am weitesten entgegen“, sagt Forscherin Simantke. Der Aufwand für die Bauern sei jedoch größer, weil Tiere im Freien häufiger mit Parasiten und Keimen in Kontakt kämen und regelmäßig Stroh im Stall verteilt werde. Die Öko-Sau lebt in der Regel viereinhalb Jahre und damit ein Jahr länger als die Sau im konventionellen Stall.

      Einzelne Verbände wie Demeter, Naturland oder Bioland stellen sogar noch höhere Anforderungen an die Haltung als jene, die beim EU-Bio-Siegel gelten. So ist die gehaltene Tierzahl bei ihnen geringer, ebenso der Weg zum Schlachthof. Das Fleisch ist aber oft erheblich teurer als Fleisch mit EU-Bio-Siegel, das es auch bei Discountern gibt.

      • Neuland

      Dieses Siegel setzt auf artgerechte Tierhaltung, darf aber nicht mit Bio verwechselt werden. Es gelten strenge Haltungskriterien. Hühner, Rinder, Kühe und Schweine haben Auslauf, die Ställe Stroh. In einem Stall dürfen maximal 950 Schweine stehen. Wie in Bio-Betrieben ist der Einsatz von Antibiotika reglementiert, das Abschneiden von Ringelschwänzen verboten. Das Futter muss nicht „öko“ sein, aber gentechnikfrei und einheimisch.

      Urteil: „Neuland-Fleisch bietet derzeit den höchsten konventionellen Standard“, sagt Stephanie Töwe, Agrarexpertin bei der Umweltorganisation Greenpeace. Fleisch von Neuland gibt es nur in ausgewählten Fleischereien, auch in Hofläden. Die Bezugsquellen finden sich auf der Neuland-Homepage.

      • Für mehr Tierschutz

      Das Siegel des Deutschen Tierschutzbundes gibt es in der Einstiegsstufe mit einem Stern und in der Premiumstufe mit zwei Sternen. Wer das Premium-Label haben will, darf nicht mehr als 2000 Schweine in einem Stall oder auch nur 350 Kühe in seinem Betrieb halten. In der Einstiegsstufe dürfen es 3000 Schweine sowie 600 Kühe sein. Für zwei Sterne müssen Schweine ihre Ringelschwänze behalten und wie Kühe und Masthühner freien Auslauf haben. Premium heißt auch: Legehennen bekommen Tageslicht durch große Fensterscheiben. Genfutter ist tabu.

      Urteil: „Die Einstiegsstufe ist für Verbraucher, die Fleisch und Eier mit mehr Tierschutz kaufen wollen, die aber nicht deutlich mehr bezahlen wollen“, sagen Verbraucherschützer. Das Premium-Label entspreche indes einem „hohen Tierschutzniveau“. Das Siegel gibt es bisher auf Hähnchen- und Schweinefleisch sowie auf Eiern und Milch.

      • DLG

      Das Siegel der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) hat nichts mit Tierschutz zu tun – bei ihm geht es eher um Geschmack, Aussehen und Geruch.