Kaltenkirchen. Der in Kaltenkirchen ansässige regionale Großhandel für Naturkost und Naturwaren, das Familienunternehmen Grell, wird 200 Jahre alt.

Er ist der König unter den Käsen: der Rohmilchkäse. Dieser hier, der „200 Jahre Grell Naturkost Jubiläumskäse“, ist ein veredelter Esromtyp. Echt nordisch hinterm Deich gegrast. 200 Tage auf der Backensholzer Hofkäserei gereift. Pikante Geschmackskreation des ökologisch-landwirtschaftlichen Familienunternehmens aus dem nordfriesischen Oster-Ohrstedt – einem von 70 regionalen Lieferanten der C. F. Grell Nachf. Naturkost GmbH & Co. KG in Kaltenkirchen.

Damit sind wir bei zwei Jahrhunderten Firmengeschichte, die in Nortorf/Holstein beginnt. Am 4. März 1818 eröffnet Claus Friedrich Grell in der Großen Mühlenstraße eine Seilerei. Erprobt den neu entwickelten Stickstoffdünger auf eigenem Land und kann die Bauern überzeugen. Die Landhandelsfirma Grell ist geboren. 1845 wird die Eisenbahn von Altona nach Rendsburg gebaut, der Firmensitz in die Hohenwestedter Straße verlegt. Das Schweinemastfutter wird zum Hauptgeschäft.

Rund 10.000 Produkte hat das Unternehmen, das 170 Mitarbeiter beschäftigt, auf Lager. 40 Prozent der Frischeprodukte kommen aus der Region
Rund 10.000 Produkte hat das Unternehmen, das 170 Mitarbeiter beschäftigt, auf Lager. 40 Prozent der Frischeprodukte kommen aus der Region © HA | Grell

Wegen der Unruhen in den 1920er- Jahren entschließt sich die Familie, nach Kalifornien auszuwandern. Die Brüder Hans und Jürgen Godt übernehmen unter dem Namen „C.F. Grell Nachfolger“ das Geschäft. Nach dem Motto „Gesundheit fängt beim Boden an“ baut Jürgens Sohn Gerd den Biohandel auf. Erste Bioland- und Demeter-Höfe lassen ihr Getreide bei C.F. Grell Nachf. reinigen.

1979 stirbt der Senior. Gerd Godt baut das Unternehmen zum Naturkosthandel aus. Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 steigt die Nachfrage nach Bioprodukten rasant. 1997 zieht die Firma um an die Boschstraße nach Kaltenkirchen. Neue Kühlräume ermöglichen den Einstieg ins Frischesortiment. Am 5. Oktober 1998 startet Grell Naturkost mit ersten Auslieferungen als Vollsortimenter. Gerd Godt setzt auf Nachhaltigkeit, gründet 2001 die Gerd Godt-Grell Stiftung, will so das Bewusstsein der gesunden Ernährung fördern. Mit seinem Tod 2014 wird die Stiftung Haupteigentümerin von Grell Naturkost.

Seit 1997 ist Grell Naturkost an der Boschstraße in Kaltenkirchen ansässig
Seit 1997 ist Grell Naturkost an der Boschstraße in Kaltenkirchen ansässig © HA | Bianca Bödeker

Und damit sind wir angekommen in der Gegenwart. Lokaltermin an der Boschstraße 3 in Kaltenkirchen. Die Innenwände des Firmengebäudes sind holzverkleidet. So wirkt’s auch im Großraum gemütlich. Vom Fachlageristen über die Gärtnermeisterin bis hin zum Agraringenieur arbeiten hier 170 Mitarbeiter in Lager, Verkauf und Verwaltung. Einer von ihnen ist Andreas Ritter-Ratjen. 1990 bei Grell Naturkost als kaufmännischer Azubi gestartet, ist der 58-Jährige seit 2001 Geschäftsführer und auch Gesellschafter. Ein Chef zum Anfassen. „Wir leben flache Hierarchien“, sagt der Mann mit dem Zopf. Der Ton untereinander ist familiär, freundschaftlich.

Und das Leitbild nachhaltig: „Seit mehr als 20 Jahren bieten wir nun ein Vollsortiment aus rund 10.000 Naturkostprodukten. Der Mindeststandard ist der ökologische Landbau in Urproduktion und Verarbeitung.“ Bevorzugt werden regionale Höfe und Hersteller als Lieferanten. Fast 40 Prozent der Frischeprodukte kommen aus der Region – von Hannover bis Flensburg, von Bremen bis Schwerin.

Unterstützung beim Ausbau des ökologischen Landbaus erhoffe man sich auch künftig von der Politik. Der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck habe den Blick der konventionellen Landwirte in Richtung Ökologie geschärft. Ritter-Ratjen: „Er hat dabei nie auf Konfrontation gesetzt, sondern die Landwirte mitgenommen und sich so Gehör verschafft.“

Unternehmen will expandieren und den Umsatz verdoppeln

Ökologischer Anbau bedeute mehr als die Förderung der Biodiversität: Dazu zählen Artenvielfalt in Anbau, Züchtung und Einsatz von samenfestem Saatgut, Fürsorge für Tierwohl, Trinkwasserschutz und ressourcenschonende Wirtschaftskreisläufe.

Bauer Hans Möller aus Lentföhrden ist einer von ihnen, der genau das vorbildlich in der Praxis lebt. Vor 15 Jahren verabschiedete sich der 52-Jährige von der konventionellen Landwirtschaft, ist seitdem Ökobauer (wir berichteten). Auf seiner Weide stehen als Anerkennung für sein Engagement seit wenigen Wochen zehn junge Apfelbäumchen.

Die Gerd Godt-Grell Stiftung – sie schüttet im Jubiläumsjahr 200.000 Euro für Projekte in der Region aus – fördert so den Klimaschutz im Norden. In verschiedenen Pflanzaktionen werden derzeit Bäume, Streuobstwiesen und Knicks angelegt. So fließe das Geld zurück in die Region, und die CO2-Bilanz von Grell Naturkost werde ausgeglichen. Auch alternative Energie ist ein Thema. Die Kaltenkirchener nutzen eine Photovoltaikanlage zur Energieversorgung der Kühlung und steigen auf Elektroautos für den Außendienst um.

Grell-Geschäftsführer Andreas Ritter-Ratjen (r.) und Vertriebsleiter Stephan Brandmeier-Fanger schneiden die Geburtstagstorte an
Grell-Geschäftsführer Andreas Ritter-Ratjen (r.) und Vertriebsleiter Stephan Brandmeier-Fanger schneiden die Geburtstagstorte an © HA | Grell

Die Kunden aus den Bereichen Naturkostfachhandel, Direktvermarktung, Abodienste, Gastronomie und Handel kommen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg und Skandinavien. „Für den klassischen Naturkosthandel sehen wir weitere Potenziale“, sagt Ritter-Ratjen, der expandieren und den Umsatz von jährlich 70 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren verdoppeln möchte. Es gelte, noch enger mit den Inhabern die gemeinsamen Werte herauszuarbeiten und den Endverbrauchern zu vermitteln. Unterstützung leisten regelmäßige Infoabende vor Ort in den Bioläden. Auch die Präsenz auf der Messe hamburg.bio in der Handelskammer Hamburg an diesem Wochenende trage zur Aufklärung bei.

Das Grell Naturkost Social Media-Team berät den Naturkostfachhandel ergänzend rund um die Nutzung der digitalen Plattform. Setzt auf Bewegtbild und erstellt im Rahmen der Stiftungsinitiative „Unser Bio im Norden“ regelmäßig Facebook-Videos von Höfen, Herstellern und Handel.

„Auch im Bereich der Außer-Haus-Verpflegung sehen wir einen Zukunftsmarkt. Ernährung mit ökologischen Lebensmitteln wird verstärkt Einzug nicht nur im Hotel- und Restaurantgewerbe, sondern auch in Kindergärten und Schulen halten“, betont Ritter-Ratjen, Und weist auf die Bio-Brotbox hin, eine Initiative von 40 Hamburger Bio-Erzeugern und Unternehmen: Auch 2018 packen vor dem Start des neuen Schuljahres in der Grellschen Lagerhalle wieder 200 fleißige Helfer 15.000 Brotboxen für die Erstklässler in Hamburg und Schleswig-Holstein, um Kinder und deren Eltern daran zu erinnern, wie wichtig ein gesundes Frühstück ist. Vom Apfel bis zum frischen Brot ist viel Gesundes drin – dieses Mal vielleicht auch ein Stück Jubiläumskäse von den Backensholzer Bio-Käsern.

Messe hamburg.bio, Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, Sa 7.4. (10.00-18.00) und So 8.4. (10.00-17.00), Eintritt 5 Euro, www.grell.de