Hamburg/Kiel/Hannover. In Hamburg gibt es kaum noch Platz für Jugendliche, die ohne ihre Eltern auf der Flucht sind. Jetzt springen die Nachbarländer ein.

Kein Tag vergeht, an dem mit den Flüchtlingsströmen nicht auch Kinder und Jugendliche ohne Eltern nach Hamburg gelangen. 30 alleine waren es am vergangenen Sonnabend. Wie alle minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge (MuFl) wurden auch sie vom Kinder- und Jugendnotdienst in Obhut genommen und in einer seiner Zentralen Erstaufnahmestellen versorgt und untergebracht. Doch jetzt tut sich etwas: Seit dem 1. November greifen die benachbarten Flächenländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein dem Stadtstaat unter die Arme.

In Hamburg gibt es ob des wachsenden Zustroms inzwischen bereits 19 der Erstaufnahmestellen, sechs weitere sind geplant. „Der Andrang ist gewaltig. In diesem Jahr haben wir bereits rund 2000 minderjährige unbegleitete Ausländer aufgenommen“, sagt Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer des zuständigen Landesbetriebs Erziehung und Beratung (LEB).

Insgesamt werden in Hamburg derzeit rund 2600 MuFl durch die Jugendhilfe betreut – das sind 1350 mehr als der Stadtstaat laut Königsteiner Schlüssel eigentlich aufnehmen müsste. Die 30 jungen Flüchtlinge vom Sonnabend werden daher vorerst die letzten sein, die in der Hansestadt bleiben können. Denn entsprechend dem vom Bundestag vor knapp drei Wochen beschlossenen „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ werden jugendliche Neuankömmlinge in Hamburg nur noch vorübergehend in Obhut genommen. Innerhalb von 14 Tagen sollen sie in (möglichst angrenzende) Bundesländer umverteilt werden, die ihre Quoten noch nicht erfüllen.

So hilft Hamburg den Flüchtlingen

Hamburgs größte
Kleiderkammer
in der Messehalle
A3 ist die bisher
beste Anlaufstelle
für Spenden
jeder Art
Hamburgs größte Kleiderkammer in der Messehalle A3 ist die bisher beste Anlaufstelle für Spenden jeder Art © Alexander Koerner
Der erste Sortierschritt: aus den Spendenkartons in die Kunststoffbehälter. Was
alles hier ankommt – Kleidung für Männer, Frauen, Kinder, Bettwäsche und Decken
Der erste Sortierschritt: aus den Spendenkartons in die Kunststoffbehälter. Was alles hier ankommt – Kleidung für Männer, Frauen, Kinder, Bettwäsche und Decken © Getty Images
Kistenweise Kleiderspenden: Der Inhalt von Tausenden Umzugskartons wird
gesichtet und sortiert, schmutzige und defekte Sachen werden ausgemustert
Kistenweise Kleiderspenden: Der Inhalt von Tausenden Umzugskartons wird gesichtet und sortiert, schmutzige und defekte Sachen werden ausgemustert © Getty Images
Jede Spende hilft. Benötigt werden vor
allem Winterschuhe (Größe 41 bis 45)
Jede Spende hilft. Benötigt werden vor allem Winterschuhe (Größe 41 bis 45) © Getty Images
Zentrale Anlaufstelle: besonders
eindrucksvoll aus der Vogelperspektive
Zentrale Anlaufstelle: besonders eindrucksvoll aus der Vogelperspektive © Getty Images
Unverkennbar: Hier geht’s um alles,
was für Kinder interessant ist
Unverkennbar: Hier geht’s um alles, was für Kinder interessant ist © Getty Images
Starthilfe in eine neue Zukunft:
ausrangierte Kinderräder
Starthilfe in eine neue Zukunft: ausrangierte Kinderräder © Getty Images
Gut sortiert: Ob Kleidung oder Schuhe –
wichtig sind Größe und Tauglichkeit
je nach Jahreszeit
Gut sortiert: Ob Kleidung oder Schuhe – wichtig sind Größe und Tauglichkeit je nach Jahreszeit © Getty Images
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„Das Gesetz verschafft uns eine Atempause“, so Klaus-Dieter Müller. Denn die Einrichtungen des LEB platzen aus allen Nähten. Mehr als 1000 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind dort momentan untergebracht – ein großer Teil an Standorten, in denen sich bis zu 25 Jugendliche einen Schlafsaal teilen. Die Verweildauer in diesen Unterkünften, die höchstens drei Monate betragen soll, liegt mittlerweile bei acht, Tendenz steigend.

„Wir haben nicht genug Folgeeinrichtungen“, so Müller. „Dieses Jahr werden höchstens 400 Jugendliche die Erstversorgungseinrichtungen verlassen können.“ Das Leben dort sei für die Jugendlichen nicht zuletzt wegen der fehlenden Privatsphäre oft eine Belastung: „Das neue Gesetz gibt uns die Zeit, die Einrichtungen und die personelle Ausstattung zu optimieren.“

Auch an anderer Stelle kann es Entlastung schaffen. So müssen viele MuFl momentan sehr lange warten, bis ihnen ein (ohnehin schon überlasteter) Amtsvormund zur Seite gestellt werden kann. Geduld erfordert für viele auch das Warten auf den Schulbesuch. Die Behörde kommt derzeit mit dem Einrichten entsprechender Vorbereitungsklassen kaum hinterher.

Neue Einrichtungen in Neumünster

Nun haben die Nachbarländer Maßnahmen zur Entlastung angeschoben. Am Montag stellte Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) die erste von sechs bis zum Jahresende geplanten Inobhutnahme-Einrichtungen in Neumünster vor. Hier wohnen jetzt 56 Jugendliche für mehrere Wochen, ehe sie durch die Jugendämter in langfristig nutzbare Einrichtungen oder Aufnahmefamilien kommen. Zuständig sind die Kreise und kreisfreien Städte, aber das Land übernimmt die Kosten, bezahlt auch die 100.000 Euro teure Sanierung des Gebäudes in Neumünster.

Erklärtes Ziel der Ministerin ist es, dass jugendliche Flüchtlinge nicht länger in den meist völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen für Erwachsene untergebracht werden müssen: „Die Inobhutnahme gibt uns die Möglichkeit, die Minderjährigen getrennt unterzubringen und die nächsten Schritte zu planen.“ Sie räumte ein, dass angesichts des Zulaufs die geltenden Standards mindestens übergangsweise nicht eingehalten werden können. Allein im laufenden Jahr rechnet Schleswig-Holstein mit der Aufnahme von 2500 unbegleiteten Flüchtlingen, der Bund verteilt sie entsprechend der Einwohnerzahl der Bundesländer.

Dementsprechend wird Niedersachsen zumindest mittelfristig noch deutlich mehr Minderjährige aufnehmen müssen. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 waren es erst 600. Die zuständige Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) hat sich mit den Kommunen auf eine Verwaltungsvereinbarung geeinigt, die die Verteilung der Minderjährigen durch das Landesjugendamt wie im benachbarten Schleswig-Holstein auf die Landkreise und kreisfreien Städte regelt. Ob nun Stadtstaat oder Flächenland, überall beginnt die mühsame Suche nach Patenfamilien und die Bestellung eines Vormunds. Wichtig aus der Sicht der Kommunen: Die Sozialministerin hat ausdrücklich bestätigt, dass die örtlichen Träger der Jugendhilfe einen Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber dem Land für Unterbringung und Betreuung haben. Je minderjährigem Flüchtling gibt es zudem für die kommunale Ebene eine Verwaltungspauschale von 2000 Euro.