Berlin. Die Regierenden suchen Wege aus der Flüchtlingskrise – und setzen dabei vor allem auf große Lager.
Auch nach dem Regierungsgipfel der Koalitionsspitzen zur Lage der Flüchtlinge in Deutschland bleibt der Streit zwischen Union und SPD bestehen. CDU und CSU fordern „Transitzonen“ an der Grenze, manche in der SPD sehen darin „Lagerhaft“ und wollen „dezentrale Einreisezentren“ einrichten. Laut Bundespolizei kamen am Sonntag in Bayern 7748 Flüchtlinge an, bundesweit waren es 9814. Angesichts der stark steigenden Zahlen von Geflohenen aus den Kriegsgebieten debattieren Politiker derzeit vor allem darüber, wie der Andrang an den Grenzen gestoppt werden kann. Dabei kursieren Schlagworte wie Zentren, Zonen und Hotspots. Das Abendblatt erklärt, was hinter den Forderungen steckt.
Transitzonen an Grenze zu Österreich
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer haben sich auf die Einrichtung der umstrittenen Transitzonen verständigt – Aufnahmelager, die unmittelbar an der Grenze vor allem zu Österreich aufgebaut werden sollen. „Wir sind zu einer klaren Vereinbarung gekommen, dass die Flüchtlingszahlen zu reduzieren sind“, sagt Seehofer. Den Streit mit Merkel erklärt er für beendet – vorerst.
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In den Transitzonen wickeln Beamte Anträge von Schutzsuchenden beschleunigt ab, die voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl haben. Die Menschen müssen so lange dort im Lager bleiben. Das würde vor allem Geflohene aus „sicheren Herkunftsstaaten“ wie etwa im Westbalkan betreffen. Abgelehnte Asylbewerber sollen direkt aus den Zonen in ihre Heimat geschickt werden – bevor sie offiziell deutsches Staatsgebiet betreten haben. Als Vorbild sieht die Union das sogenannte Flughafenverfahren, das in Paragraf 18a des Asylverfahrensgesetzes geregelt ist: Schon jetzt können Menschen vor der Einreise für maximal zwei Tage festgehalten werden, während ihr Asylgesuch bearbeitet wird. CDU-Innenexperte Ansgar Heveling sagte, dass die Transitzonen „ein Mittelweg zwischen unbeschränkter Einreise und Abschottung“ seien. Das vereinfache etwa bei einer Ablehnung von Asyl die Abschiebung. „Sicher werden weiterhin Flüchtlinge an den Transitzonen vorbei einreisen, aber das Signal ist deutlich.“ Zudem würden die Rechte der Asylbewerber gewahrt, so Heveling.
Konkrete Planungen, wo die Zonen eingerichtet werden und wie viele Menschen dort leben sollen, gibt es bisher kaum. Jedenfalls nicht öffentlich.
Kritik gab es nicht nur von der SPD, die von „Haftlagern“ sprach, sondern auch von Polizeigewerkschaften. Transitzonen seien „keine Option, die sich sicherheitspolitisch umsetzen lässt“, sagte der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz. „Es sei denn, Deutschland errichtet mitten in Europa wieder Grenzzäune.“ Und diese kilometerlangen Zäune müssten von Polizisten gesichert werden, damit die Transitzonen von den Fliehenden nicht illegal umgangen würden, so Schulz. In der Konsequenz bedeute das auch, Gewalt gegen Menschen anzuwenden. „Das kann nicht das politische Ziel sein.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel wendet zudem ein, dass nur ein Bruchteil der Asylsuchenden aus den Balkanstaaten stamme. Das Innenministerium spricht ebenfalls von derzeit nur etwa fünf Prozent aller neu ankommenden Geflohenen. Gabriel hob hervor: „Die Herausforderung seien etwa Syrer, die in Deutschland bleiben dürften.“
Dezentrale Einreisezentren
Gabriels SPD will die Einreise von Flüchtlingen weiterhin ohne Prüfung erlauben, möchte keine Transitlager aufbauen, aber dafür die Asylverfahren in den bestehenden Erstaufnahmen in den Ländern beschleunigen. „Flüchtlinge müssen Anreize bekommen, sich in dezentralen Zentren zu registrieren, und wir brauchen Sanktionen für diejenigen, die sich nicht melden“, sagte SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka dieser Zeitung. Wer sich nicht registrieren lasse, solle nur noch das Existenzminimum zum Überleben durch den Staat erhalten. Schutzsuchende, die sich freiwillig in den Zentren einfinden, sollen dort bleiben, bis sie auf andere Unterkünfte weiterverteilt würden. Auch Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ könnten bis zur Entscheidung über ihren Antrag in den Zentren bleiben und von dort zurückgeschickt werden. „Jetzt aufwendig und mit vielen Ressourcen neue, große Transitzentren an der Grenze aufzubauen, löst nichts“, hob Lischka hervor. Zudem könne man die abgelehnten Flüchtlinge „nicht einfach zurück nach Österreich schicken“.
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Für die Union sind die Einreisezentren eine Politik des Weiter-so. Es bleibe das Problem, dass Verfahren sich hinzögen, sobald die Menschen eingereist seien, so Heveling. Ob Transitzone oder Einreisezentrum – der Deutsche Städtebund appellierte an die Koalition, sich schnell zu einigen. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sehe ohnehin „nicht so einen Riesenunterschied“. Auch BDK-Vorsitzender Schulz sprach sich zwar eher für die SPD-Variante aus, sagte aber: Weder Zonen noch Zentren seien geeignet, „das Grundproblem zu lösen: die Anzahl der Fliehenden zu reduzieren“
Hotspots an der EU-Außengrenze
Während Deutschland über Transitzonen debattiert, entstehen erste Hotspots in Griechenland und Italien. Es sind EU-Erstaufnahmelager, die bald an elf Orten vor allem in der Türkei die ankommenden Flüchtlinge schneller registrieren und in der europäischen Gemeinschaft verteilen sollen. Mit Geld der EU. Flüchtlinge sollen dort einen Asylantrag stellen können. Damit will die Politik verhindern, dass sich die Menschen erst auf eine Reise quer durch Europa begeben. Flüchtlingsinitiativen wie Pro Asyl kritisieren die Lebensbedingungen in den bestehenden, überfüllten Hotspots etwa auf der griechischen Insel Lesbos als „menschenunwürdig“. Insgesamt brauche Europa eine neue Debatte, sagt Aktivist Maximilian Pichl. „Weg von der Abschottungsrhetorik, hin zu einer Diskussion über die menschliche Unterbringung der Geflohenen und deren Integration.“
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