Großflächige Ausweisung in Schleswig-Holstein stößt auf Kritik. SSW und Grüne fordern Information der Bevölkerung. Der polizeiliche Umgang mit Gefahrengebieten steht auch seit den Ereignissen in Hamburg in der Kritik.
Kiel. Der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki wusste es nicht, dem Landesdatenschützer Thilo Weichert war es neu, die Mitglieder des Innenausschusses sind überrascht: Die Polizei in Schleswig-Holstein weist schon seit Jahren großflächig Gefahrengebiete aus – und verschweigt es der Öffentlichkeit. Der gesamte Hamburger Rand wurde in den Wintermonaten November von März zu einer Sonderzone, in der die Ordnungshüter anlasslose Kontrollen vornehmen konnten. Ohne Grund in den Rucksack gucken, Autos anhalten, das Wageninnere in Augenschein nehmen – alles kein Problem. Neumünster ist sogar schon seit fünf Jahren Gefahrengebiet.
Nach einem Abendblatt-Bericht über die umfangreiche Nutzung dieses polizeilichen Instruments regt sich nun Protest. „Eine ganz Stadt zum Gefahrengebiet auszuweisen – das verstehe ich nicht“, sagt Burkhard Peters (Grüne), Mitglied des Innenausschusses. „Die Anordnung über einen so langen Zeitraum wie in Stormarn oder Neumünster sehe ich sehr kritisch.“ Er will jetzt einen Bericht des Innenministers Andreas Breitner (SPD) anfordern. „Es muss geklärt werden, warum das geschehen ist und welchen Effekt das gehabt hat.“ Der Landtagsabgeordnete Patrick Breyer (Piraten) fordert gar, die Gefahrengebietsregelung ganz zu streichen. „Die Ausweisung diffamiert ganze Städte und Regionen als potenziell gefährlich“, sagt er. „Verdachtslose Kontrollen ins Blaue hinein verletzen die Privatsphäre unbescholtener Bürger.“
Die rechtliche Grundlage für dieses Vorgehen liefert der Paragraf 180 des Landesverwaltungsgesetzes.
Danach darf die Polizei in bestimmten Gebieten „zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung Personen kurzzeitig anhalten und mitgeführte Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen in Augenschein nehmen“. Die Maßnahme ist „in örtlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht auf den für die vorbeugende Bekämpfung erforderlichen Umfang zu beschränken.“ Die Polizei kann das für dreimal 28 Tage anordnen. „Über jede weitere Verlängerung einschließlich deren räumlicher Beschränkung und deren Dauer bedarf es einer richterlichen Entscheidung“, heißt es im Gesetz.
Die ist offenbar problemlos zu bekommen. Das Amtsgericht Neumünster hat der Polizei jeweils Verlängerungen um ein ganzes Jahr genehmigt. Am 26.Juni läuft die vorerst letzte aus. Eine neuerliche Verlängerung gilt als wahrscheinlich. Rainer Wetzel, Sprecher der Polizeidirektion Neumünster, sagt: „Wenn sich der Zustand nicht geändert hat, könnte das so kommen.“ Mit „Zustand“ meint er die Rocker-Kriminalität, die Rivalität zwischen den Bandidos und den Hells Angels. Beide sind mittlerweile verboten. Gibt es denn immer noch Rocker-Kriminalität in Neumünster? „Wir haben hier eine gewisse Szene, aber ich kann Ihnen keine Delikte nennen“, sagt Wetzel.
Der polizeiliche Umgang mit Gefahrengebieten steht spätestens seit den Ereignissen in Hamburg in der Kritik. Dort waren im Februar nach Attacken gegen Polizeiwachen große Teile der Innenstadt zu Gefahrengebieten erklärt worden. Nach zehn Tagen beendete die Polizei diese Aktion – wohl auch wegen der scharfen Proteste. Der neue Hamburger Polizeidirektor Ralf Meyer gestand am Wochenende in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt ein, dass es bei den Abläufen „Fehler“ gegeben habe. Und verkündete eine Änderung. „Die Entscheidung über ein Gefahrengebiet liegt jetzt allein beim Polizeipräsidenten“, sagte er. Außerdem will er „frühzeitig transparenter“ mit dem Thema umgehen – „nach außen wie nach innen“.
Diese Transparenz fordern mittlerweile auch zwei von drei Regierungsfraktionen in Kiel. Lars Harms, der Fraktionsvorsitzender des SSW, sagt: „Wenn ein Gefahrengebiet verhängt wird, muss man das gegenüber der Bevölkerung deutlich machen.“ Burkhard Peters von den Grünen ergänzt: „Nur wenn es öffentlich wird, kann es eine präventive Wirkung erzielen, und um vorbeugende Bekämpfung geht es beim Paragrafen 180.“ Dem Hamburger Beispiel folgend fordert Peters zudem, dass in Schleswig-Holstein der Chef der Landespolizei das letzte Wort bei der Verhängung von Gefahrengebieten haben müsse. „Da müssen wir eventuell eine Gesetzesänderung vornehmen.“ Der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki will den Sachverhalt überprüfen lassen. Datenschützer Thilo Weichert will wissen, welche Daten gesammelt werden. Rainer Wetzel von der Polizeidirektion Neumünster versteht die Aufregung nicht. Man mache das nur, um die Bürger zu schützen: „Die Gefahrengebiete erleichtern den Kollegen die Arbeit.“