In keiner Region Schleswig-Holsteins gibt es so viele Fälle. Polizei richtet Gefahrengebiete ein. Kritik von CDU und FDP. Gewerkschaft der Polizei führt die vielen Einbrüche in Stormarn auf die Lage des Kreises zurück.
Kiel/Ratzeburg. Im vergangenen Jahr war es mal wieder so weit: Im Kreis Stormarn gab es landesweit die meisten Wohnungseinbrüche. Die Region zwischen Hamburg und Lübeck entwickelt sich langsam zum Paradies für Kriminelle. 1018 Einbrüche wurden verzeichnet, kein anderer schleswig-holsteinischer Kreis reicht an diesen Wert heran. In ihrer Not hat die Polizei insgeheim zu einer besonderen Methode gegriffen: Seit 2011 richtet die zuständige Polizeidirektion Ratzeburg in Stormarn und dem Nachbarkreis Herzogtum Lauenburg regelmäßig und über Monate hinweg Gefahrengebiete ein. In diesen Zonen können verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt und die Daten unbescholtener Bürger gesammelt werden. Die Opposition im Kieler Landtag kritisierte am Mittwoch das Vorgehen der Polizei und kündigte Konsequenzen an.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki sagte: „Sollte es in Schleswig-Holstein zur Einrichtung von Gefahrengebieten gekommen sein, um Wohnungseinbrüche zu verhindern, dann wird dieses Mittel zum billigen Ersatz für eine ordentliche polizeiliche Personalplanung verwendet.“ Dem Sachverhalt werde auf parlamentarischem Wege nachzugehen sein. Astrid Damerow, die Polizeiexpertin der CDU-Landtagsfraktion, sieht die Polizeiarbeit in Gefahr. „Hoffentlich wachen SPD, Grüne und SSW jetzt endlich auf“, sagte sie. „Wenn gesetzlich vorgesehene Notmaßnahmen zur Regel werden, was will die Landesregierung dann eigentlich im Notfall machen?“ Die Piraten lehnen dieses polizeiliche Instrument grundsätzlich ab. „Es führt nur zu Zufallsfunden“, sagte der Landtagsabgeordnete Patrick Breyer.
Das Ausweisen von Gefahrengebieten, die offenbar auch im Bereich der Polizeidirektion Segeberg verhängt wurden, kommt durchaus überraschend. Erst im Februar hatten die Landespolitiker angesichts der umstrittenen Einrichtung eines solchen Gebiets in Hamburg darüber diskutiert, ob man dies auch in Schleswig-Holstein tun sollte. Bei Gewalt gegen Polizisten sei es als „Ultima Ratio“ gerechtfertigt, hatte der Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) damals gesagt. Was er nicht erwähnte: In Schleswig-Holstein wird dieses polizeiliche Mittel schon seit Jahren erheblich exzessiver genutzt als in Hamburg. Dort wurde das Gefahrengebiet nach nur zehn Tagen und nach starken Protesten wieder aufgehoben.
In Schleswig-Holstein hat es bislang keine Proteste gegeben. Wohl auch deshalb, weil das Verhalten der Polizei verborgen geblieben ist. Intern wurde allerdings schon darüber geredet. Der Landespolizeichef Ralf Höhs bezeichnete die Datensammlung in Gefahrengebieten unlängst als „Gehirn der Polizei“. Die Ausweisung habe dazu beigetragen, die Kriminalität zu verdrängen. „Die Zahl der Einbrüche ist in Schleswig-Holstein konstant geblieben, während sie in den Nachbarländern angestiegen ist“, lobte Höhs bei einer Veranstaltung der Gewerkschaft der Polizei.
In Stormarn ist von Konstanz nichts zu spüren – wenn man davon absieht, dass die Zahl der Einbrüche konstant steigt. 2005 waren es 518, 2009 bereits 746. Weitere vier Jahre später wurde die 1000er-Grenze überschritten. Die Ordnungshüter griffen deshalb zur „Ultima Ratio“. Seit 2011 richtet die Polizeidirektion Ratzeburg immer in den Wintermonaten November bis Februar ein Gefahrengebiet ein. Marco Kosminski, bei der Polizeidirektion zuständig für Gefahrenabwehr, beschreibt den Umfang: „Es erstreckt sich von Ahrensburg, Bargteheide und Bad Oldesloe über Reinbek bis nach Geesthacht im Kreis Herzogtum Lauenburg.“ Rund 300.000 Menschen leben in dem Bereich. „Dass wir in einem polizeilich ausgewiesenen Gefahrengebiet wohnen, war mir bislang nicht bewusst“, sagte der Ahrensburger CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Koch. „Diese drastische Maßnahme beweist eindeutig, dass die Polizei mit ihrem bestehenden Personal nicht in der Lage ist, die Menschen ausreichend zu schützen.“
Das Amtsgericht Ratzeburg hat diese Maßnahme genehmigt. Warum es das genau getan hat und wie es die damit verbundene Einschränkung von Freiheitsrechten bewertet hat, ist allerdings nicht zu erfahren. Der Amtsgerichtsdirektor Frank Rose mag nicht einmal die simple Frage beantworten, welche Orte zum Gefahrengebiet wurden und welche nicht. Das seien „polizeiliche Belange“, so Rose.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält Gefahrengebiete für ein „wirkungsvolles Instrument“, sagte Torsten Jäger, der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende. „Allerdings sollte es nicht das ganze Land umfassen.“ Die vielen Einbrüche in Stormarn führt er auf die Lage des Kreises am Hamburger Rand zurück. „Von Hamburg aus reisen europaweit agierende Tätergruppen ein.“ Warum die anderen Randkreise Pinneberg (841 Einbrüche im Jahr 2013; Aufklärungsquote zehn Prozent), Segeberg (727; 9,8) und Herzogtum Lauenburg (182; 9,9) viel besser dastehen als Stormarn (1018; 4,3), konnte Jäger allerdings nicht erklären.