Der Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay spricht im Abendblatt am Rande der Proteste im Wendland über die neue Härte bei den Demonstrationen.

Dannenberg. Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay von der Initiative "Ausgestrahlt", 46, spricht im Abendblatt am Rande der Proteste im Wendland über die kleinen Nebenschauplätze und das große Ganze des Castor-Transportes. Es geht um Geld, Zeit, Politik, Schwellenängste und eine neue Härte bei den Demonstrationen.

Hamburger Abendblatt: Herr Stay, reden wir über Kriegsschauplätze ...

Jochen Stay: ... bitte nicht Kriegsschauplätze. Das ist beim friedlichen Protest im Wendland nicht das richtige Wort.

Gut, dann über die vielen kleinen Protestschauplätze. Hier in Gorleben wird auf vielen Ebenen gekämpft. Als da wäre: die Schiene. Schottern sei nicht legal, aber legitim, sagen die Aktivisten. Welche Rolle spielen die Gleise bei Anti-Atom-Demonstrationen?

Stay: Ganz plump könnte man sagen: Es werden Schwellenängste abgebaut. Gegen die Losung: Geh nicht auf die Schiene! Richtig ist, dass sich Schottern und Besetzen als wirksames Blockademittel herausgestellt haben. Das war aber nicht geplant, sondern hat sich durch den vielfältigen Protest so ergeben. Hier läuft ja viel dezentral. Insofern haben Menschen diese eigene Form des Protestes entwickelt. Es gibt eben nur diesen einen Weg von Lüneburg nach Dannenberg.

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Wird die Straßenstrecke, der Hauptkampfplatz der 90er-Jahre, deshalb weniger bestreikt?

Stay: Nein. Der Druck kommt jetzt nur von vielen Seiten. Aber die Traktorblockade im vergangenen Jahr oder die Großkundgebung und ein querstehender Bierlaster von Greenpeace zeigen, wie wichtig die Straße ist. Sie ist zudem für alle geeignet, die sich nicht an waghalsigen Aktionen beteiligen wollen. An Mahnwachen oder Straßendemonstrationen können alle teilnehmen, auch wenn sie nur für einen Tag ins Wendland kommen, um zu sagen: Diese Politik gefällt mir nicht. Es geht ja hier nicht darum, die Castoren zum Umdrehen zu bewegen, sondern die Bundesregierung.

Geht es immer noch darum, beim Castor möglichst viel Zeit herauszuschlagen?

Stay: Naja, wie lange es dauert, wird immer als Gradmesser für den Erfolg des Protestes genommen. Das ist mir zu viel Sportberichterstattung. Im vergangenen Jahr war die Ablehnung der Bürger gegen die Politik der Laufzeitverlängerung so groß wie nie. Und der Castor brauchte so lange wie nie zuvor. Da passte das Bild. Aber wäre die Ablehnung kleiner gewesen, wenn der Castor schneller ins Ziel gekommen wäre? Ich denke nicht. Deshalb ist die Zeit nicht so entscheidend beim Protest. Ebenso wenig wie das Geld.

Reden wir über Geld. Soll der Transport in diesem Jahr wieder schön teuer für das Land Niedersachsen werden?

Stay: Für mich war das nie ein Ziel. Über die Kosten kann man den Transport nicht kippen. Da gibt es extra Haushaltsmittel. Bei den ersten Transporten war das vielleicht noch wichtig, weil es noch viele kleine Transporte gab und bis 2005 Atommüll auch ins Ausland gefahren wurde. Aber heute, bei gebündelten Atommüllzügen, kommt es darauf nicht mehr an. Natürlich wollen wir es dem Transport trotzdem so schwierig wie möglich machen. Denn mit den vielfältigen Protestformen wollen wir den Atom-Konflikt sichtbar werden lassen.

Dafür brauchen Sie auch die Bilder der Medien. Die haben es hier nicht immer leicht, befinden sich selbst im steten Kampf. Zum einen bemühen sich alle um die besten Bilder und Geschichten. Zum anderen werden Medienvertreter von Demonstranten auch skeptisch beäugt, es gibt viele Strömungen, oft kann man nicht überall gleichzeitig sein. Ist dieses Zersplittern richtig?

Stay: Für den Protest ja, für die Bilder nicht immer. Aber es gibt eben keine zentrale Außendarstellung. Insofern gibt es auch unterschiedlichen Umgang mit der Presse. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel weniger Demonstranten als 2010, dafür aber mehr Camps. Das kann man nicht steuern. Es gibt hier keine Reißbrettplanung. Jeder demonstriert auf seine Weise. Dass nicht alle Bilder öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, liegt da auf der Hand. Aber umso lebendiger ist der Protest.

Auch mit Informationen wird spärlich umgegangen. Wann wie welcher Protest stattfindet, bleibt solange geheim, bis er Wirklichkeit wird. Ist dieses Misstrauen gut?

Stay: Einige Aktionen wären sonst nicht möglich, etwa der Greenpeace-Bierlaster im vergangenen Jahr auf der Kreuzung. Wenn so etwas vorher bekannt wäre, würde es nicht mehr funktionieren. Außerdem gibt die Polizei zu, mit verdeckten Ermittlern zu arbeiten. Auch das bestärkt die Aktivisten in ihrer Taktik, nur so viel wie nötig preiszugeben. Daneben gibt es aber auch sehr viel öffentliche Information. Für die Masse ist das ganz wichtig.

Bei all dieser Kleinteiligkeit: Welchen Einfluss haben die Castor-Transporte noch auf die Politik?

Stay: Beim derzeit zu erarbeitenden Endlagersuchgesetz ist es der beste Moment für Proteste. Es stehen konkrete Planungen an, auf die auch hier Einfluss genommen werden kann. In punkto Laufzeitverlängerung ist der Einfluss gering. Der Atomausstieg bis zum Jahr 2022 wird bis zur nächsten Wahl wohl nicht mehr angetastet. Doch auch der hat die Lage hier nicht befriedet. Denn es sind ja noch Kraftwerke am Netz und produzieren Müll. Zudem rollt in zwei, drei Jahren der nächste Atommüll aus Sellafield.

Gibt es nicht auch die Befürchtung, als Querulant dazustehen, wenn man sich nicht am von Umweltminister Norbert Röttgen vorgeschlagenen Gorleben-Dialog und der nun wieder offenen Endlagersuche beteiligt?

Stay: Nein. Dem Gorleben-Dialog haben sich bis auf die CDU alle Parteien im Wendland verweigert , weil Röttgen nicht ergebnisoffene Gespräche ankündigen kann und im gleichen Moment den Salzstock unter Gorleben weiter erkunden lässt. Es werden hier Fakten geschaffen, die inakzeptabel sind. Röttgen sagt etwas – und macht etwas ganz anderes. Das geht nicht. Und an der Endlagersuche sind ja nur Bund und Länder beteiligt. Außerparlamentarische Stimmen und gesellschaftliche Akteure werden gar nicht berücksichtigt. Nur wenn er sagt, wann wo und wie unsere Meinung Einfluss in den Prozess erhält, gibt es die Möglichkeit.

Die aktuellen Proteste hier im Wendland werden schon vor der Ankunft des Zuges von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten überschattet. Haben Sie die Befürchtung, es könnte keinen friedlichen Protest geben?

Stay: Wir gehen nicht davon aus, dass es zur Eskalation kommt. Dazu muss aber auch die Polizei beitragen, sie muss verständnisvoll mit der Empörung der Leute hier umgehen. In Metzingen, wo am Donnerstag Wasserwerfer und Schlagstöcke zum Einsatz kamen, konnte davon nicht die Rede sein. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass die lokal eingesetzten Einsatzleiter viel Einfluss haben. Vieles ist Ermessen und Verhältnismäßigkeit. Ich baue auf eine besonnene Polizeireaktion während der Fortdauer der Proteste.