In Sassnitz bröckelt die Steilküste vor der Haustür vieler Anwohner. Die meinen zu wissen woran es liegt. Doch das Ministerium hält dagegen.

Sassnitz. Im Norden des Rügen-Städtchens Sassnitz büßen die Häuser mit Meerblick nun ein, die exklusive Lage hat eine dunkle Schattenseite bekommen. Am Stadtrand von Sassnitz wächst die Unruhe. In den vergangenen Wochen sind an der Steilküste im Nordosten der Ferieninsel Rügen immer wieder Teile abgebrochen und in die Tiefe gestürzt. Die Anwohner meinen nun, eine Ursache für die jüngste Häufung von Erdrutschen gefunden zu haben. Seitdem die benachbarte Region Jasmund mit der Kreideküste und den Buchenwäldern der Stubnitz im Jahr 1990 zum Nationalpark erklärt wurde, finde dort auch keine Entwässerung mehr statt und die feuchten Erdmassen gäben leichter nach.

Doch die Nationalparkverwaltung weist Forderungen nach einer gezielten Entwässerung der Schutzzone zurück. Es habe nie eine künstliche Entwässerung aus der Stubnitz heraus gegeben, sagt der Chef des Nationalparkes, Michael Weigelt. Vor 1990 seien auch nur punktuell Moorflächen für die landwirtschaftliche Nutzung trockengelegt worden. Die Entwässerung erfolgte lokal auf benachbarte Flächen.

Die Kreisverwaltung auf Rügen hat inzwischen erste Nutzungsverbote ausgesprochen. Betroffen ist auch der Sassnitzer Thomas Kaul. Er muss einen Bungalow abreißen. Die Abrissverfügung hält er bereits in den Händen. „Meliorationsgräben haben vor 1990 das Oberflächenwasser aus dem Areal des jetzigen Nationalparks abgeleitet“, erklärte er. Mit der Ausweisung des Nationalparks seien die Gräben allerdings verkommen. Anwohner fordern, die Entwässerung des Nationalparks wieder aufzunehmen und warnen zugleich vor der vom Umweltministerium angestrebten Ausweisung der Jasmunder Buchenwälder als Weltnaturerbe. Damit würde das Gebiet, das unmittelbar an den Norden von Sassnitz heranreicht, komplett der menschlichen Einflussnahme entzogen, befürchtet Kaul.

Das Umweltministerium sieht keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen den aktuellen Abbrüchen und dem Nationalpark. Solche Folgerungen seien falsch, sagt Minister Till Backhaus (SPD). „Hinter solchen Äußerungen verbergen sich wirtschaftliche Interessen einzelner, die die Natur unternehmerischen Zielen unterordnen wollen“, kritisiert er. Das räche sich aber auf lange Sicht.

Der Umweltverband BUND hat inzwischen ein generelles Bauverbot für die Steilküstenhängen gefordert und wirft den Kommunalpolitikern Inkonsequenz und „Günstlingspolitik“ vor. Bürgermeister, Gemeindevertreter und Investoren sähen oft nur den kurzfristigen Gewinn, sagt Naturschutz-Sprecher Arndt Müller. Um Wohnanlagen am Meer errichten zu können, übten sie massiv Druck auf die Politik und letztlich die Behörden aus, die schließlich wider besseren Wissens Baugenehmigungen ausstellten.

Nach Angaben des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie weichen die Steilküsten in Mecklenburg-Vorpommern in hundert Jahren durchschnittlich um 30 Meter zurück. Allein in diesem Winter ist es allerdings schon zu Abbrüchen von vier bis fünf Metern gekommen. Experten machen dafür die ausgiebigen Niederschläge seit Herbst und das Anfang Januar einsetzende Tauwetter verantwortlich. Auch die zunehmende Versiegelung von Grundflächen durch Baugebiete und der Massentourismus tragen nach Einschätzung von Naturschützern eine Mitverantwortung für die Abbrüche.

Umweltminister Backhaus kündigte an, für die Steilküsten-Bereiche eine generelle Anschlusspflicht der Grundstücke an die Regenentwässerung zu prüfen. Im Zusammenhang mit den Abbrüchen um Sassnitz hatte sich herausgestellt, dass einige Eigentümer das Regenwasser von den Dächern versickern ließen. „Ich kann dem Steuerzahler auch nicht erklären, dass das Land Millionen ausgeben soll, um Schäden auszugleichen, die durch verantwortungsloses Handeln beim Bauen verursacht wurden“, sagt Backhaus.