Die Deiche halten, aber viele Anwohner sind erschöpft. Die Elbe übersteigt den Rekordpegel von 2006. Erst ab Donnerstag winkt Entspannung.

Alt Garge/Hitzacker. Die Elbe hat ihren Rekordpegel von 2006 überstiegen. Gespannte Ruhe herrscht an den Ufern, mancherorts sinkt das Wasser allmählich, doch erst am Donnerstag winkt Entspannung. Noch halten die provisorischen Deiche. Langsam und unersättlich sind die Fluten an Deichen, Bäumen und Häusern emporgekrochen, ein bis zwei Zentimeter in der Stunde. Das Wasser fließt in Keller, mancherorts steht es im Erdgeschoss. Fast lautlos ergriff der große Strom nicht nur in Niedersachsen Besitz von Straßen und Äckern entlang seiner Ufer.

Noch herrscht auch in Alt Garge keine Panik, obwohl der Ortsteil von Bleckede im Landkreis Lüneburg besonders bedroht ist. Der Fluss strömt um ein Ferienhaus vor dem Behelfsdeich aus Sand, das Wasser steht bis zu den Fenstern des braunen Holzhauses. Sonst sehen seine Besitzer die Elbe nur als silbernen Faden in der Ferne. Bedeckter Himmel, winterlich-kahle Bäume spiegeln sich im Wasser. Rund 60 Feuerwehrleute entlang der Behelfsdeiche füllen immer neue Sandsäcke, am Abend zuvor waren es noch 200. „Die provisorischen Deiche müssen an mehreren Stellen verstärkt werden.“ sagt Carsten Schmidt von der Freiwilligen Feuerwehr in Bleckede. Er ist optimistisch, dass sie es schaffen.

„Die Stimmung ist besser als gestern“, sagt John Henry Wegener am Sonntag. Sein Haus steht direkt hinter einem der beiden provisorischen Sanddeiche, die 60 Häuser schützen müssen. Hier klafft eine bedrohliche Lücke im niedersächsischen Schutzsystem, das seit der Flut von 2006 aufwändig verbessert wurde. Auch seiner Lebensgefährtin Heinke Holz ist die Erschöpfung anzusehen. „Man hofft einfach nur, dass der Alptraum bald endet“, sagt sie tapfer. „Ich hab' die ganze Nacht kein Auge zugetan“, hat sie gestern gesagt. „Ohne Pause habe ich den Deich und die Pumpen kontrolliert“. Dann hat wieder Wegener übernommen. Im Landkreis herrscht seit Donnerstag Katastrophenalarm.

Am Sonntag bekommt das Paar unerwartet hohen Besuch. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) macht sich am Nachmittag in Alt Garge ein Bild von der Hochwassersituation im Land. „Das ist ein Notfall hier. Die Menschen haben ein Recht, hier sicher zu leben“, sagt er. „Ihnen kann es egal sein, wer das bezahlt“, fügt er hinzu und spielte damit auf Finanzierungsprobleme an, die sich im vergangenen Herbst für den geplanten Deichbau in Alt Garge ergeben hatten. „Wir brauchen die Befestigung so schnell wie möglich, nicht erst 2013“, fordert Wegener. Sander verspricht, sich für eine schnelle Lösung einzusetzen.

In Hitzacker im Kreis Lüchow-Dannenberg gehen Schaulustige entlang der Schutzanlagen spazieren, während die neueste Jahrhundertflut vorbeiströmt. Die Altstadt war beim Hochwasser von 2002 überschwemmt worden – mehr als 30 Millionen Euro wurden seitdem investiert, erst vor gut zwei Jahren waren Mauer und Schöpfwerk fertig. „Schau mal, das ist die Schutzmauer“, erklärt eine Mutter dem Sechsjährigen an ihrer Hand, während eine Frau mit einem Blumenstrauß geschäftig vorbeieilt und in den schmalen Gassen verschwindet. Kein Schiff, kein Windhauch kräuselt die spiegelglatte Oberfläche der Elbe, die auf der anderen Seite nur etwa einen Meter unterhalb der Mauer träge lauert. Zarter Dunst liegt über der bedrohten Idylle.

Die Deiche entlang der Elbe in Niedersachsen wurden in den vergangenen Jahren mit insgesamt 146 Millionen Euro ausgebaut. Das könnte sich keine fünf Jahre nach der letzten großen Flut gelohnt haben, nicht nur in Hitzacker. Doch erst am Donnerstag erwartet die Menschen entlang der Elbe eine spürbare Erleichterung der Hochwassserlage.