Das Hochwasser an der Elbe steigt viel schneller als erwartet: Keller in Lauenburg stehen unter Wasser, die Elbstraße ist für den Verkehr gesperrt.

Überflutete Erdgeschosse, gesperrte Straßen, abgesicherte Schutzwälle: Das Hochwasser an der Elbe steigt schneller als gedacht. Die Lage hat sich am Freitag besonders in Niedersachsen deutlich verschärft. Am Wochenende werde mancherorts das Ausmaß der Rekordflut von 2006 erreicht oder sogar übertroffen, teilte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) am Freitag mit. Am Sonnabend sollte es auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg seinen Höchststand erreichen.

Statt der erwarteten 8,70 Meter lag der Wasserstand in Lauenburg (Schleswig-Holstein) am Freitag bereits bei 8,85 Metern. Bis sich die Lage nach dem Hochwasser entspannt, wird es nach Ansicht von Experten dauern. In mehreren direkt an der Elbe liegenden Häusern musste die Feuerwehr voll gelaufene Erdgeschosse leerpumpen. Der Scheitelpunkt des Hochwassers sollte die alte Schifferstadt in der Nacht zum Sonnabend erreichen. „Wir rechnen nach den aktuellsten Prognosen mit einem Wasserstand zwischen 9,05 Metern und 9,10 Metern“, sagte der Einsatzleiter der Lauenburger Feuerwehr, Thomas Burmester. Normalerweise liegt der Pegelstand bei rund 4,80 Metern.

Um Mitternacht sollte in der Altstadt ein absolutes Fahrverbot in Kraft treten. Anders als im Kreis Lüneburg auf der anderen Seite der Elbe sollte in Lauenburg jedoch kein Katastrophenalarm ausgelöst werden. „Wir sind angespannt, gehen aber davon aus, die Lage bis zu einem Pegelstand von 9,20 Metern im Griff zu haben“, sagte der Bürgermeister von Lauenburg, Harald Heuer (CDU).

Die Feuerwehr wurde am Donnerstagabend zu einem aufgeweichten Erdwall um ein Gehöft in Alt Garge im Landkreis Lüneburggerufen. Der provisorische Deich wurde mit 4000 Sandsäcken gesichert. In dem Ortsteil von Bleckede klafft die einzige Lücke im niedersächsischen Deichsystem entlang der Elbe. Zwei provisorische Wälle aus Sandsäcken und Plastikplanen sollen rund 60 bedrohte Häuser in dem Gebiet schützen. Experten befürchten wegen der langen Dauer des Hochwassers, dass die Sandwälle aufweichen könnten.

Die Hochwasserwelle werde sich am Wochenende allmählich Richtung Nordsee bewegen, sagte NLWKN-Sprecherin Herma Heyken.Auch danach sei aber nicht mit einer schnellen Besserung der Lage zu rechnen. „Es könnte Tage dauern, bis die Pegelstände sichtbar sinken“, sagte sie.

An der Elbe in Mecklenburg-Vorpommern galt ebenfalls die höchste Hochwasser-Warnstufe 4. Der Pegelstand hatte die kritische Marke von 6,50 Metern überschritten. Die Helfer waren rund um die Uhr aktiv. Die höchsten Wasserstände wurden am Samstag mit 6,65 Metern am Pegel in Dömitz und am Sonntag mit 6,75 Metern am Pegel Boizenburg erwartet.

Nicht anders die Lage in Brandenburg: In Wittenberge wurde fast die Hochwasserspitze aus dem Jahr 2006 erreicht. Bereits am Donnerstag hatte der Landrat für den gesamten Landkreis Prignitz die Alarmstufe 4 ausgerufen. Ob die Elb-Deiche den Wassermassen standhalten, kontrollierten Deichläufer.

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"So, ich glaub, wir sind vollzählig." Harald Heuer setzt sich an den Kopf des Tisches im Magistratssaal. Heuer ist ein ruhiger Mann. Er trägt einen Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen und sieht an diesem Mittwochmorgen sehr gemütlich aus. Wie eigentlich ganz Lauenburg mit den bunten Fachwerkhäusern und engen Gassen. "Alte Schifferstadt am Strom" steht auf Heuers Visitenkarte. Das Rathaus befindet sich im Lauenburger Schloss. Wenn Heuer aus den großen Fenstern blickt, dann liegt da unten die Elbe, angestrahlt von der Morgensonne. Heuers Schloss liegt auf einem Berg. Unten die Altstadt. Bedroht vom Strom.

Das schleswig-holsteinische Lauenburg hat Hochwasser-Erfahrung: 2002 und 2006 verursachte das Wasser Millionenschäden. Rekordpegel bisher: 9,12 Meter. Der normale Wasserstand beträgt 4,90 Meter. Entsprechend alarmiert war Heuer, als er Anfang der Woche eine Prognose fürs Wochenende bekam: 9,20 Meter.

Die 11 400-Einwohner-Stadt ist deshalb so gefährdet, weil die Elbe hier besonders schmal ist und noch einen Bogen macht, der das Wasser auf die Altstadt drückt.

Bürgermeister Heuer hat an diesem Morgen zur Lagebesprechung geladen. Am Tisch sitzen Vertreter aus der Verwaltung, der Polizei, Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk, dem Deichbauverband. Es ist 9 Uhr. Die Elbe hat einen Pegel von 8,17 Metern. "Wir können die Prognosen nach unten korrigieren", sagt der Bauamtsleiter. Die Wettervorhersage ist auch okay. 8,85 Meter hoch soll die Elbe am Wochenende sein. Die freiwillige Feuerwehr hat die Elbstraße, die parallel zum Ufer verläuft, mit Sandsäcken gesichert. Vor allem Trafohäuschen werden eingedeicht - wenn der Strom ausfällt, haben nicht nur die Anwohner keinen Strom, sondern auch die Rettungskräfte. 50 Freiwillige arbeiten bei der Feuerwehr in diesen Tagen mit.

Bürgermeister Heuer denkt auch an die Schaulustigen, die am Wochenende nach Lauenburg kommen werden. 2006 waren es 10 000, schätzt er. "Die Schaulustigen wollen nicht nur gucken, sondern auch was essen und trinken." Die Feuerwehr soll sich um die Gastronomen kümmern, mit Notstromaggregaten aushelfen. Und wenn doch was passiert, den Kühlwagen anfordern, der Speisen vor dem Verderben retten soll. Das Geschäft mit der Flut ist gerettet. Nach 45 Minuten ist die Lagebesprechung vorbei.

Es geht hinunter in die Altstadt und auf das Boot der Feuerwehr. Seit Mittwochmorgen ist der Schiffsverkehr eingestellt. Vom Wasser aus sieht man viele weiße Sandsäcke, die wie Legosteine vor den Häusern an der Elbstraße liegen. Dort, wo sonst die Uferpromenade ist, steht das Wasser drei Meter hoch. Wenn das Grundwasser nach oben drückt, darf es nicht aufgehalten werden. Die Keller müssen volllaufen. Würde das Wasser abgepumpt, käme der Wasserdruck nur noch von der Elbseite. Wände könnten unter diesem ungleichmäßigen Druck einstürzen. Auch damit gehen die Lauenburger gelassen um. Sie haben ihre Keller leer geräumt.

Das Haus von Luzie Zirpel liegt direkt am Fluss. Als das Wasser immer höher steigt, wird die 84-Jährige unruhig. Und ein wenig sauer auf ihren Mann. "Er wollte hier unbedingt hinziehen, Ende der 40er-Jahre. Jetzt liegt er auf dem Friedhof - und ich sitze hier. Damit." Sie zeigt auf das Wasser. Die Helfer von der Feuerwehr haben am Morgen nicht mal eine halbe Stunde gebraucht, da stand der Sandsack-Wall vor ihrem Haus. Jetzt fühlt sie sich sicher.

Ein paar Häuser weiter wohnt Susanna Brauer. Mit ihrem Enkelsohn Leo schaut sich die 62-Jährige die Straßenschilder an, die im Wasser stehen. Das Fenster haben die Brauers mit Holzlatten verkleidet, als Schutz gegen Treibgut. Brauer sagt, dass die Elbe immer weiter eingedämmt wird und dass die Hochwassergefahr dadurch steigt. "Wenn die Politiker vernünftig sind, lassen sie die Finger von der Elbe."

2006, beim letzten Hochwasser, war das Wasser im Haus. "Wenn es wiederkommt, dann nehmen wir einfach den Teppich raus - dann haben wir hier einen kleinen See", sagt die Oma zum Enkel. Beide lachen.

Ganz so entspannt ist die Lage doch nicht. Am Nachmittag wird die Prognose noch einmal nach oben korrigiert: Neun Meter hoch soll die Elbe am Wochenende sein, sagt Bürgermeister Heuer. Die Feuerwehr muss weitere Sandwälle errichten. Jetzt ist Lauenburg sicher bis zu einem Pegelstand von 9,20 Metern. Am späten Nachmittag schickt Heuer seine Leute in den Feierabend. "Jetzt müssen wir warten", sagt er. Warten bis zur nächsten Prognose.