Seine Zusammensetzung verstößt gegen die Verfassung, trotzdem darf der Kieler Landtag handeln. Im Mittelpunkt steht ein Millionen-Sparpaket.

Kiel. Der Norden ist hoch verschuldet, das Land muss seinen Haushalt sanieren und spätestens in zwei Jahren neu wählen, weil das Wahlgesetz verfassungswidrig ist : Mit schwerem Gepäck startet der Landtag am Mittwoch in seine erste Sitzung nach der Sommerpause. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und seine schwarz-gelbe Koalition, die nur mit einer Stimme Mehrheit regiert, stehen unter Druck. Weniger als ein Jahr nach der Wahl von CDU und FDP ist die Wählerstimmung laut Umfragen gekippt , die Opposition drängt auf eine frühe Neuwahl, Gewerkschaften und Sozialverbände blasen zu einem Protestherbst. Zusätzlich sorgt der Berliner Atomkonsens für Zwist in der Koalition.

Mit einer angemeldeten Redezeit von insgesamt 280 Minuten geht es am Mittwoch los. Der umstrittene Doppelhaushalt für 2011/2012 und die Finanzplanung für die nächsten Jahre stehen erstmals auf der Tagesordnung. Schleswig-Holstein ist mit fast 25 Milliarden Euro verschuldet, zahlt pro Jahr eine Milliarde für Zinsen und gibt Jahr für Jahr mehr aus als es einnimmt. Dieses strukturelle Defizit soll jährlich um 125 Millionen Euro sinken und 2020 bei Null liegen. Von da an darf das Land keine neuen Schulden machen – so will es die Verfassung.

Um diese Vorgabe zu erfüllen, sieht der Doppelhaushalt, der im Dezember verabschiedet werden soll, drastische Ausgabenkürzungen vor. Das Budget für Zuweisungen, Zuschüsse und Investitionen soll um 330 Millionen Euro auf 3,11 Milliarden in 2012 sinken. Davon betroffen sind fast alle Bereiche. Blinde, Öko-Bauern, Frauenhäuser, Mädchentreffs, Schulen der dänischen Minderheit und viele mehr bekommen in Zukunft deutlich weniger Geld.

Beim Personal will Schwarz-Gelb knapp 900 Stellen bis 2012 abbauen. Trotzdem steigt das Budget von derzeit 3,77 Milliarden Euro auf 3,93 im Jahr 2012, weil sich die Kosten für die Pensionäre erhöhen. Auf der anderen Seite will die Koalition auch die Einnahmen verbessern: Unter anderem soll die Grunderwerbsteuer 2013 um 1,5 Prozentpunkte klettern . Viel zu spät, monieren die Grünen. Außerdem werfen sie der Landesregierung Luftbuchungen vor. Bis zum Jahr 2020 fehlten 1,7 Milliarden Euro in der Landeskasse, sagt Finanzexpertin Monika Heinold.

Als sozial unausgewogen bezeichnen nicht nur Oppositionspolitiker die Einsparungen. Ein Bündnis von Sozialverbänden und Gewerkschaften hat für Mittwoch zum Marsch Richtung Landeshaus aufgerufen. Damit wollen sie den Startschuss für einen Herbst voller Proteste geben. Auch Öko-Bauern ziehen am ersten Sitzungstag mit Traktoren vor das Landeshaus.

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All das steht im Zeichen des Neuwahl-Urteils des Landesverfassungsgerichts. Der Landtag sei „in verfassungswidriger Weise“ zusammengesetzt und muss bis spätestens 30. September 2012 neu gewählt werden, befanden die sieben Richter in einem umstrittenen Urteil. So mancher spricht dem Parlament nun die Legitimation ab, weitreichende Sparbeschlüsse zu treffen – auch wenn das Gericht die Handlungsfähigkeit des Landtags ausdrücklich festgestellt hat.

Laut Forsa-Umfrage will die Mehrheit der Bürger schon im kommenden Jahr neu wählen. Auch die Opposition aus SPD, Grünen, Linken und SSW dringt darauf. Auf Antrag der Grünen debattiert der Landtag voraussichtlich am Donnerstag über Urteil und Neuwahltermin. Doch wahrscheinlich setzt die Landesregierung das Datum fest. Bislang will die CDU die Frist ausschöpfen.

Ministerpräsident Carstensen forderte im Magazin „Focus“ die Verfassungsrichter seines Landes auf, die Modalitäten für Neuwahlen zu erläutern. „Unklar ist, auf welcher rechtlichen Grundlage der Wahltermin festgelegt werden soll.“ Der Prozessbevollmächtigte des Landtags, Wolfgang Ewer, sorgte mit einem Schreiben an den Ältestenrat für Unmut – jedenfalls bei den Grünen. Mit der Anordnung von Neuwahlen überschreite das Gericht die ihm durch die Landesverfassung und das einfache Recht gesetzten Grenzen, kritisierte der Anwalt. Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) dagegen hatte das Urteil bereits akzeptiert.

Neben Sanktionen nach dem Lehrerstreik und der HSH-Nordbank werden die Abgeordneten auch über den Atomkompromiss der schwarz-gelben Bundesregierung streiten. Hier sind die Koalitionspartner uneins: Die FDP hält nichts von einer generellen Laufzeitverlängerung, die CDU schon. Am Freitag tagen die Abgeordneten außerdem so lange, bis alle Punkte abgearbeitet sind. Danach trifft sich Geerdts (CDU) noch mit den Fraktionsführern. Dabei geht es um das neue Wahlgesetz. Streit zwischen den Parteien ist programmiert.