Aus der Öffentlichkeit verschwindet Käßmann nach ihrem Rückzug von der Kirchenspitze nicht. Nun bringt sie eine Biografie heraus.

Hannover. Trotz ihres plötzlichen Rücktritts ist Margot Käßmann nicht verstummt: Ein halbes Jahr nach ihrem Rückzug von kirchlichen Spitzenämtern präsentiert sie die Biografie „Engagiert evangelisch - Zehn Jahre einer Bischöfin“. Das Buch legt den bemerkenswerten Einsatz der profilierten Theologin für Glauben und soziale Fragen dar. Breiten Raum nimmt die Rechtfertigung ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz ein, mit der sie bis zum Schluss auf heftigen Widerstand stieß.

Das ambivalente Agieren Käßmanns als „Frontfrau der Kirche“ und medienpräsenter Selbstdarstellerin spart das Buch nicht aus. Kurz vor Start zu einem USA-Aufenthalt bringt Käßmann sich wieder ins Gespräch - nicht nur in der Buchhandlung. Wer auf neue Enthüllungen zu der verhängnisvollen Alkoholfahrt hofft, die zu Käßmanns jähem Sturz führte, wird enttäuscht: Zwar steigen die Autoren mit Käßmanns Ankündigung ihres Rücktritts als Bischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein, sie geben Spekulationen aber keine neue Nahrung. Stattdessen würdigen Käßmanns Ex-Referentin Silvia Mustert und der langjährige EKD-Sprecher und jetzige Leiter des Lutherischen Verlagshauses, Christoph Vetter, die 1999 spektakuläre Wahl der vierfachen Mutter zur damals jüngsten deutschen Bischöfin. Klar wird, warum die „Frechfromme“ so schnell die Herzen vieler nicht nur kirchentreuer Menschen gewann.

„Darf die Kirche politisch sein?“, schreibt Käßmann in einer der vielen selbstverfassten Passagen des Buches. „Natürlich muss sie politisch sein, kann ich nur antworten. Wenn in der Bibel steht, dass Gerechtigkeit ein Volk erhöht, wie soll dann die Frage danach gleichgültig sein für die Kirche?“ Und Käßmann ist wenig gleichgültig, sie setzt sich ein für Flüchtlinge, für Schwangere in Not, für die Menschenrechte, für benachteiligte Kinder. Persönlich erlebte Fälle machen Käßmanns Engagement eindringlich – von der Abschiebung einer Iranerin, die in letzter Minute der Pilot stoppt, dem Kind, das aus Geldmangel mit Gummistiefeln zur Einschulung kommt bis zum Findelkind Moses, das vor der Babyklappe erfriert. „Allein das Wissen um die Möglichkeit einer Gottesbeziehung halte ich für entscheidend“, schreibt Käßmann in ihrem Plädoyer für christliche Erziehung. „Da ist ein anderer, an den du dich wenden kannst. Du kannst zu Gott beten, selbst wenn alle anderen dich zu verlassen scheinen.“

Käßmann treibt die Sorge vor der religiösen Sprachlosigkeit um - Eltern, die nicht mehr auf Glaubensfragen der Kinder antworten können, Menschen, die kein kirchliches Lied mehr singen können oder beim Beten stumm bleiben. „Über alles und jedes wird gesprochen, nicht aber über den christlichen Glauben.“ Vier Standbeine brauche es, den evangelischen Glauben zu leben: „Bibel, Gottesdienst, Gebet und Gesangsbuch.“ Das Buch endet mit Käßmanns überwältigendem Comeback auf dem Ökumenischen Kirchentag in München, wo die 52-Jährige fast wie ein Pop-Star gefeiert wird. Wie es weitergehen könnte, wird offen gelassen. Nach einem Studienaufenthalt in den USA geht Käßmann zum 1. Januar für ein Jahr als Gastprofessorin an die Ruhr-Universität nach Bochum, so viel ist klar. Danach müssen Käßmann und die Landeskirche Hannovers, die die Ex-Bischöfin weiterhin als normale Pastorin angestellt hat, weitersehen.

Viele wünschen sich Käßmann als Sprachrohr des Protestantismus bereits wieder in führender Rolle zurück. Käßmanns Stellvertreter im Bischofsamt plädierte allerdings vor kurzem unmissverständlich für einen weniger medienpräsenten Nachfolger und eine Abkehr vom Personenkult. Nötig sei eine Entschleunigung des Bischofsamtes, um die Kirche langfristig zu bewahren, sagte Bischofsvikar Hans-Hermann Jantzen. „Niemand kann mit seiner Person für die Wahrheit, für das Leben, für die Liebe gerade stehen.“