Medizin als Ware, Hire-and-fire-Mentalität und Pflege-Krise? Die Asklepios-Chefärzte Carolin Tonus und Volker Ragosch reden Klartext.
Mit 14.000 Angestellten ist ihr Arbeitgeber der größte der Stadt. Entsprechend oft steht Asklepios im Brennpunkt. Zuletzt sorgte der Krankenhauskonzern für Schlagzeilen durch die vom Senat verordnete Schließung der Gynäkologie und der Geburtshilfe in Harburg sowie durch einen Brandbrief von Ärzten des AK St. Georg. Die beiden Chefärzte, mit denen das Abendblatt sprach, sind auf diesen Feldern Spezialisten. Prof. Volker Ragosch verantwortet als Chefarzt der Gynäkologie in der Asklepios Klinik Altona auch die entsprechende Abteilung in Harburg. Prof. Carolin Tonus leitet als neue Chefärztin die Chirurgie in St. Georg. Spezialisiert ist sie auf die Bestrahlung von Tumoren im Bauchraum während der Operation.
Hamburger Abendblatt: Herr Ragosch, in gut zwei Wochen wird die Gynäkologie und Geburtshilfe in der Asklepios Klinik in Harburg geschlossen. Wie enttäuscht sind Sie über die Entscheidung der Stadt?
Volker Ragosch: Ich habe in den Aufbau dieser Station vor vier Jahren sehr viel Kraft reingesteckt. Sie ist inzwischen die leistungsstärkste gynäkologische Abteilung des gesamten Konzerns. Wir haben dort ein tolles Team, das sich jetzt leider auflöst. Aber wie Sie schon sagen: Wir folgen damit einem Wunsch der Gesundheitsbehörde.
Hat die Gesundheitsbehörde vorab Ihre Meinung eingeholt?
Ragosch: Das ist auf höchster Ebene entschieden worden. Sicherlich hätte ich mir gewünscht, wenn die Behörde mich als Chefarzt der Station auch konsultiert hätte, ich kann aber auch nachvollziehen, dass man das genau nicht gemacht hat. Man fragt ja auch nicht den Frosch, ob man den Teich ablassen soll.
Was wird aus den Mitarbeitern?
Ragosch: Wir haben fast alle im Konzern oder bei anderen Kliniken unterbringen können. Darunter war auch eine Hebamme, die zwei Jahre vor der Rente steht, worüber ich sehr glücklich bin. Die Kollegen sind durchweg gut ausgebildet, und schauen Sie sich mal an, wie viele Stellenanzeigen es aktuell gibt. Da liegt unsere Branche ganz vorne.
Jetzt bekommt Asklepios im Gegenzug die Zentrale Notaufnahme für Harburg.
Boom: Mehr Babys als erwartet in Hamburg
Ragosch: Ja, aber es wird noch eine Lösung für die gynäkologischen Notfälle in der Notaufnahme zu finden sein. Nicht wenige Patientinnen kommen mit unklaren Unterleibproblemen. Auch deshalb hat die Entscheidung für mich einen schalen Beigeschmack, aber für die Bettenverteilung ist die Gesundheitsbehörde verantwortlich.
Und Sie dürfen nicht vergessen. Harburg ist Boomtown, Hamburg ist Boomtown. Die Geburtenraten werden weiter steigen. Als ich vor drei Jahren sagte, dass wir in der Asklepios Klinik Altona deutlich mehr als 3000 Geburten pro Jahr anpeilen wollen, wurde ich ausgelacht, jetzt haben wir das Ziel erreicht. Zudem hat Hamburg einen unglaublichen Sogeffekt, jede vierte Frau, die in Hamburg entbindet, kommt aus dem Umland.
Carolin Tonus: Was nebenbei zeigt, wie hoch unser Personalbedarf auch in Zukunft sein wird, gerade im Bereich der Pflege. Leider gibt es viel zu wenig öffentliche Wertschätzung für diesen Beruf, der soziale Status von Krankenschwestern und Krankenpflegern in unserer Gesellschaft ist eindeutig zu niedrig. Immer weniger junge Menschen haben daher Lust, sich für diese tolle Arbeit zu bewerben. Dabei sind wir Chirurgen nichts ohne die Pflege, ich kann nicht alleine operieren.
Ragosch: Die Bezahlung ist gemessen an der Leistung und der Bedeutung für unsere Gesellschaft viel zu gering, egal ob es um Hebammen, Schwestern, Pfleger, Intensivschwestern oder OP-Schwestern geht. Sie arbeiten fast alle im Schichtdienst, die Belastung ist enorm. Auch emotional, wir haben zum Beispiel eine Kinderintensivstation. Wer dort arbeitet, muss verkraften, dass kleine Patienten sterben. Und die Anforderungen steigen weiter.
Asklepios-Gewinn wird wieder investiert
Das Problem mit der Bezahlung könnte Asklepios sehr einfach lösen, indem der Konzern die Löhne deutlich erhöht. Asklepios macht ja sehr wohl Gewinn …
Tonus: Ich weiß, jetzt kommt wieder das Argument mit unserer angeblich so hohen Rendite. Ich kenne mich mit den Ergebnissen von Asklepios gut aus, weil ich auch im Aufsichtsrat des Konzerns sitze. Bei einem Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, die Red.) von zwölf Prozent geht erst mal die Hälfte für Steuern und andere Aufwendungen ab. Die verbleibenden sechs Prozent stecken wir in die Infrastruktur, um unsere Häuser und deren medizinische Ausstattung besser zu machen. Da bleibt am Ende nichts übrig. Ein Nullsummenspiel. Unser Eigentümer hat in den mehr als 30 Jahren noch nie eine Dividende oder Ähnliches erhalten. Sämtliche Überschüsse sind zurück ins Unternehmen geflossen. Zudem stehen wir im Wettbewerb mit anderen Kliniken, die Bezahlung der Mitarbeiter ist überall vergleichbar.
"Unverschämte Vorwürfe von Montgomery"
Frank Ulrich Montgomery als Präsident der Bundesärztekammer sieht das komplett anders. Er wirft Asklepios Personalentscheidungen nach Gutsherrenart, Hire-and-fire-Prinzipien und Medizin nach Ebitda vor. Für ihn sind das Folgen einer gewinnorientierten Privatisierung.
Ragosch: Ich finde diese Vorwürfe unverschämt. Ich bin seit 27 Jahren Arzt. Ich bin noch nie von irgendjemandem unter wirtschaftlichen Druck gesetzt worden. Glauben Sie ernsthaft, ich würde es mir gefallen lassen, dass mir eine Konzernführung vorschreibt, mehr Kaiserschnitte zu machen oder mehr Gebärmütter zu entfernen? Solche Vorwürfe gehen an meine Berufsehre.
Aber die Leistung Ihrer Station wird genau bemessen. Medizin ist eben doch Ware.
Ragosch: Nein, Medizin ist keine Ware. Aber wir stehen sehr wohl in einem drastisch verschärften Wettbewerb, dem wir uns stellen müssen. Sicher, die Geburtshilfe boomt. Aber in der Gynäkologie gibt es immer mehr Angebote aus dem ambulanten Bereich. Ein Krankenhaus, das hier schlecht arbeitet, kann irgendwann den Laden dichtmachen. Wo ist das Problem, wenn Effizienz und Qualität regelmäßig überprüft werden? Als ich vor 27 Jahren in Berlin als Arzt begonnen habe, hat kein Kollege geguckt, was die Behandlung eigentlich kostet. Es gab auch keinen Vergleich unter den Chefärzten oder Kliniken, jeder hielt sich für den Tollsten. Jetzt haben wir zig Bewertungsportale im Internet und eine offizielle externe Qualitätskontrolle, das ist doch absolut im Sinne der Patienten.
Es gibt aber sehr wohl auch interne Probleme. Im September haben 19 Ärzte der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation in St. Georg dem Vorstand Organisationsverschulden vorgeworfen. Regelmäßig sei nur noch ein Arzt für 24 zum Teil schwer kranke Patienten zuständig gewesen.
Tonus: Ich bin am 1. November nach sechs sehr erfolgreichen Jahren als Chefärztin der Bauchchirurgie der AK Nord in gleicher Position nach St. Georg gewechselt. Und selbstverständlich habe ich mich inzwischen auch bei dieser Abteilung vorgestellt. Ich kann verstehen, dass die Ärzte, die diese hoch spezialisierte Station vorbildlich aufgebaut haben, enttäuscht sind. Wir alle wünschen uns als Mediziner die bestmögliche Versorgung der uns anvertrauten Patienten.
"Ich bekomme genügend Anrufe von Headhuntern"
Diese Erklärung klingt aber jetzt sehr schlicht. Noch mal: 19 Ärzte sehen die Versorgung schwer kranker Patienten als gefährdet an, mehrere haben gekündigt.
Tonus: Ich darf Ihnen versichern, dass die Verantwortlichen mit Hochdruck an einer adäquaten Nachbesetzung arbeiten. Asklepios hat auf die Umstände reagiert, lange bevor die Medien über diesen Brief berichtet haben. Die Abteilung wird sich wieder stabilisieren.
Ragosch: Wir haben in Hamburg mehr als 14.000 Mitarbeiter, da gibt es immer Fälle, die nicht optimal laufen. Ich wehre mich aber gegen eine grundsätzliche Kritik, dass es hier bei Asklepios eine Hire-and-fire-Mentalität geben würde. Die Fluktuation bei den Chefärzten liegt bei uns bei acht Prozent, absolut vergleichbar mit anderen Häusern. Bei uns Chefärzten sogar unter der Quote in anderen Berufen. Und eines können Sie mir glauben: Wenn das Arbeiten bei uns so schlimm wäre, wäre ich längst nicht mehr hier. Ich bekomme genügend Anrufe von Headhuntern, ob ich mir einen Wechsel vorstellen könnte. Aber ich will nicht. Weil ich hier gern arbeite.
Tonus: Dem kann ich mich nur anschließen. Ich bin ein gutes Beispiel für die gelebte Förderung durch das Unternehmen. Der Wechsel nach St. Georg ermöglicht es mir, wieder meinem wissenschaftlichen Schwerpunkt, der Bestrahlung fortgeschrittener oder erneut aufgetretener Tumore am offenen Bauch, nachzugehen.
Ragosch: Wir investieren sehr viel Geld, um Mitarbeiter und Leitungskräfte darin auszubilden, Personal zu führen und an unser Haus zu binden. Das ist auch ein wichtiger Punkt, dass wir keine Gutsherrenmentalität haben. Auch als Chefarzt muss ich morgens einen Kotau vor meinen Mitarbeitern machen, damit sie bleiben. Ich kann mich auch nicht mehr so schlecht benehmen, wie manche Chefärzte es früher getan haben. Da gab es eine andere Situation, da hatten wir eine Ärzteschwemme. Da konnte man sagen, wenn es dir nicht gefällt, dann kündige doch. Ich war früher ein ganz kleines Würstchen in der Uniklinik. Trotzdem gab es zehn Leute, die auf meinen Job gewartet hätten. Und wenn ich etwa gesagt hätte, ich möchte jetzt nach Hause wegen der Arbeitszeiten, hätte mein Chef gesagt, dann bleib gleich da. Bei der Ärzteschwemme gab es richtig Druck, es gab sogar Leute, die umsonst gearbeitet haben. Heute ist es so, dass die Arbeitszeit auf die Stunde genau jeden Monat dokumentiert wird.
Das in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild von völlig übernächtigten Ärzten …
Ragosch: … hat mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun.
Tonus: Das geht gar nicht mehr laut Arbeitszeitgesetz.
Ragosch: Wenn ich Mitarbeiter so behandeln würde, dann würden sie sofort zur Nachbarklinik gehen. Deshalb muss ich sie gut behandeln. Die Crux des Arbeitszeitgesetzes: Ich habe inzwischen eine Situation, wenn ich einer Mitarbeiterin um 16 Uhr sage: „Geh nach Hause“, und dann ist wirklich mal eine spannende Operation abends um sieben: Dann darf die Ärztin nicht mehr reinkommen. Das ist verboten.
Tonus: Wenn wir gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen würden, müssten wir persönlich dafür haften. Ich habe in Offenbach eine gute und herzliche Ausbildung erfahren. Das hat mich geprägt. Allerdings gab es auch im chirurgischen Bereich öfter den Spruch: Haken und Mund halten. Aber das hat sich geändert. Wir werden auch dafür gut bezahlt, dass wir sicherstellen, dass unsere Teams funktionieren.
Keime im Krankenhaus: Screening soll schützen
40.000 Patienten sterben jährlich an Krankenhauskeimen. Was muss besser werden?
Tonus: Wir sind in dem Bereich sehr gut aufgestellt, sogar besser als die meisten anderen Klinikbetreiber, vor allem beim Screening der multiresistenten Keime. Unsere Hygienespezialisten haben ausgefeilte Systeme für alle Abteilungen entwickelt, deshalb halten wir die gefährlichen Erreger sehr gut in Schach. Zum Beispiel untersuchen wir jeden Patienten, der aus einem Altenheim zu uns kommt, schon bei der Aufnahme auf Keime. So können wir die Fälle rechtzeitig erkennen und isolieren. Das schützt die anderen Patienten. Wir entwickeln schon dank unserer Größe ausreichend Expertise, auch in der Frage, mit welchen desinfizierenden Substanzen wir arbeiten. Und wir haben ein neues Reinigungssystem in unseren Häusern eingeführt, das die Hygiene noch einmal weiter verbessern soll.
Warum haben manche Probleme mit den kurzärmeligen Arztkitteln?
Ragosch: Ich habe kein Problem mit kurzen Ärmeln und laufe meistens ohne Kittel rum, weil er mir viel zu schwer ist. Als Chefarzt darf ich den Kittel bei öffentlichen Veranstaltungen anziehen. Patienten finden das zum Teil noch klasse. Denn wenn alle mit einem kurzen Kittel reinkommen, weiß man nicht so genau, wer ist jetzt wer. Ich verstehe nicht, warum eine Person aufgrund eines Kittels eine besonders tolle Ausstrahlung haben soll. Viel wichtiger ist doch, dass Patienten nicht gefährdet werden. Jeder weiß, dass die Hauptübertragungsquelle von Keimen die Hände sind. Deshalb liegt der Schwerpunkt in der Hygiene auf der Händedesinfektion vor dem Patientenkontakt. Wenn ich eine Wundversorgung am Patienten mache, wäre ein langärmeliger Kittel in höchstem Maße unhygienisch, weil an ihm trotz Händedesinfektion Keime haften können. Ein Ärmel, der aber nicht vorhanden ist, kann auch nicht verunreinigen.