Wetzlar/Hamburg. Die Fluggeräte spüren die Tiere auf. Diese werden mit einem Chip versehen, der den Landwirt beim Mähen warnt.
Das Rehkitz fühlt sich sicher im hohen Gras. Doch der Schein trügt. Denn gleichzeitig mit der Setzzeit des Wilds beginnt die Mähsaison. Wenn das Kitz nicht rechtzeitig gefunden wird, bedeutet das anrollende Mähwerk den Tod für das Jungtier. Denn statt zu fliehen, duckt es sich. Drohnen könnten dieses Problem in Zukunft lösen und den Landwirten das mühselige Absuchen der Grünflächen erleichtern, hoffen hessische Wildtierforscher. Hilmar Freiherr von Münchhausen, Geschäftsführer der Wildtierstiftung in Hamburg, ist skeptisch. Er plädiert für spätere Mähtermine und sensiblere Mähpraktiken.
Nach Schätzungen der Deutschen Wildtierstiftung fallen jedes Jahr rund 500.000 Wildtiere Mähmaschinen zum Opfer – vom Rehkitz über Frösche, Kröten und Igel bis zu den Küken von Wiesenbrütern wie Kiebitz und Feldlerchen. Die Hamburger Naturschützer rechnen allein mit mehr als 90.000 getöteten Rehkitzen.
Das hessische Wildretter-Forschungsprojekt arbeitet seit 2008 an Lösungen, um die Tiere vor dem sogenannten Mähtod zu retten. Derzeit entwickeln die Projektmitarbeiter ein Verfahren in vier Schritten, bei dem ein kleiner, mehrflügeliger Hubschrauber (Multikopter) zum Einsatz kommt. Das Fluggerät sei mit Infrarot- und Analogsensoren ausgestattet sowie einem eigens entwickelten Suchalgorithmus, erklärt Rolf Stockum vom Forschungsprojekt. Zunächst überfliegt das Gerät die ungemähte Grünfläche auf einer genauen Flugroute und wertet das Bildmaterial automatisch aus. Bei einem Fund sendet die Drohne dann GPS-Daten an ein Handgerät. „In der aktuellen Versuchsreihe haben wir eine Trefferquote von 98 bis 99 Prozent“, berichtet Stockum. Ein gefundenes Kitz bekomme einen Chip angelegt, der ein Signal abgebe.
Wenn der Bauer mit der Grasmahd beginne, erhalte er durch ein Signal des Chips eine Warnung. Erst jetzt werde das Kitz weggebracht und gesichert, um zu gewährleisten, dass es nicht wieder zurücklaufe, erläutert der Projektsprecher. Nach der Mahd werde das Kitz wieder freigelassen. Diese Vorgehensweise hat einen guten Grund: „Die Mutter sucht alle vier bis sechs Stunden das Jungtier zum Säugen auf, daher ist es nicht sinnvoll, das Tier am Abend vor dem Mähen wegzutragen“, erklärt Rolf Stockum. Wenn das Kitz zu lange weg sei, könne es passieren, dass die Mutter es anschließend nicht wieder aufsuche.
Bis Ende des Jahres laufe noch die Forschungsphase, so Stockum, danach könne die Serienproduktion starten. Hilmar Freiherr von Münchhausen von der Wildtierstiftung glaubt nicht daran, dass Drohnen als Tierretter verbreitet zum Einsatz kommen: „Wenn der Landwirt ein Signal erhält, muss er die Arbeit unterbrechen, von der Maschine steigen und das Rehkitz an den Wiesenrand legen. Das ist sehr aufwendig.“ Und: „Beim Kitz mag es funktionieren, aber das Gelege oder den Nachwuchs von in der Wiese brütenden Vögel retten Sie damit nicht.“
Von Münchhausen sieht nur einen Königsweg: den Mähzeitpunkt nach hinten verschieben: „Die Landwirte haben jetzt schon begonnen, ihre Wiesen zu mähen. Sie sollten dies erst Mitte/Ende Juni tun, dann ist die Hauptsetz- und -brutzeit vorbei. Als Ausgleich sollten sie aus dem europäischen Agrartopf eine Entschädigung erhalten.“
Rechtlich sind die Landwirte verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um den Tod von Wildtieren zu vermeiden. Das Abgehen der Wiese am Abend vor dem Mähen ist eine übliche Praxis. Von Münchhausen bevorzugt optische und akustische Vergrämung: „Wenn am Vorabend rund im die Wiese Plastiktüten aufgehängt werden, halten diese die Ricke davon ab, ihr Kitz in dieser Nacht in der Wiese abzulegen.
Auch sei es wichtig, dass die Landwirte ihre Wiesen und später ihre Getreidefelder von innen nach außen mähen, um Tieren einen Fluchtweg zu erhalten, sagt der Wildtierexperte. Wiesenstreifen an einem Waldrand sollten als Letztes gemäht werden: „Rehe fliehen ungern über offenes Land, sie suchen Schutz im hohen Gras.“
Die Bauern seien zunehmend für das Thema sensibilisiert, sagt von Münchhausen. „Sie fürchten, Botulismus, eine Vergiftung des Viehs durch Kadaverreste in der Silage.“ Zudem sei das Töten von Wildtieren ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. „Es liegt im Interesse jedes Bauern, die Tiere zu schützen“, betont auch Bernd Weber vom hessischen Bauernverband. Mit oder ohne Drohneneinsatz.