Die Fragen der Besucher auf dem Abendblatt-Forum zeigten, wie belastend die meistverbreitete Altenkrankheit auch für die Angehörigen ist.
"'Ich verliere mein Leben und kann es nicht mehr ändern' - diese schmerzhafte Erkenntnis macht vielen Demenzkranken zu schaffen", sagte Hildegard Bohnstedt von der Alzheimer Gesellschaft Hamburg. Auf dem Hamburger-Abendblatt-Forum zum Thema Alzheimer fasste die Expertin medizinische Fakten über die Demenz zusammen und berichtete über die Aktivitäten ihrer Selbsthilfevereinigung. Knapp 100 Hamburger waren am Montagabend zum Forum in der Axel-Springer-Passage gekommen. An ihren Fragen war spürbar, wie aufwühlend die Demenz eines geliebten Menschen für Angehörige ist. Viele sprachen nach der Veranstaltung miteinander über ihre Erfahrungen. "Die Rolle der Angehörigen ist enorm wichtig, denn sie sind der Garant dafür, dass ein Mensch mit Demenz ein Stück Lebensqualität behält", sagte Bohnstedt. "Das ist eine immense Belastung für die Angehörigen, die sich oft allein gelassen fühlen." Die Alzheimer Gesellschaft Hamburg biete daher Hilfestellungen für Angehörige an.
Der Altenpfleger Jochen Gust gab auf dem Forum Tipps, wie Angehörige mit verändertem Verhalten eines Demenzkranken umgehen könnten. Dafür spielte er auch einige Szenen nach. "Viele kommen zu mir und sagen: 'Irgendwie verhält sich der oder die schwierig'", berichtete Gust vom Sankt-Elisabeth-Krankenhaus in Eutin. Er habe kein Patentrezept, aber Angehörige sollten der Frage nachgehen, warum sich der erkrankte Mensch so verhalte. Dabei sei es wichtig, den Gefühlen nachzuspüren, die er womöglich habe. Auch sollten sich Angehörige die Frage stellen, wer eigentlich ein Problem mit der als schwierig empfundenen Situation habe. "Wenn beispielsweise eine ältere Dame immer wieder den Schrank durcheinanderwühlt - für wen ist das eigentlich schlimm?" Für die Pflegekraft, die die Unordnung störe? Oder für die Tochter, die viel Geld für die Pflege ausgebe und sich dann ärgere, dass nicht aufgeräumt werde? Oder für die Dame selbst?
Wichtig sei, die Demenzkranken nicht in Diskussionen zu verwickeln. Auch wenn jemand direkt nach dem Frühstück sage, "ich habe den ganzen Tag noch nichts zu essen bekommen", helfe es nicht, ihn davon überzeugen zu wollen, dass dies nicht stimme. Im Zweifelsfall sei es besser, ihm noch etwas zu essen anzubieten. Vielleicht habe der Mensch noch Hunger, finde aber nicht die richtigen Worte dafür.
Die wichtigsten Fragen an die Experten und ihre Antworten haben wir hier zusammengefasst:
Wie erkenne ich eine gute, geeignete Pflegeeinrichtung für einen demenzkranken Angehörigen?
Gust:
Entscheidend ist immer der persönliche Eindruck. Am besten sollte man sich zu zweit mehrere Orte anschauen. Und dies auch einmal unangemeldet, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Für den einen eignet sich vielleicht eine Wohngemeinschaft mit mehreren Demenzkranken, der andere ist in einem Pflegeheim besser aufgehoben. Das muss individuell entschieden werden. Bei den Beratungsstellen werden Checklisten und Entscheidungshilfen angeboten. Außerdem gibt es den sogenannten Pflege-TÜV. Darunter versteht man Bewertungen für Pflegeeinrichtungen, die vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vergeben werden. Deren Aussagekraft ist aber nicht unumstritten und kann nur ein Baustein bei der Entscheidung sein.
Sollten wir verschiedene Einrichtungen ausprobieren, um die richtige zu finden?
Gust:
Ich persönlich rate beispielsweise von Probewohnen für vier Wochen ab. Für die Demenzkranken ist Orientierung und Struktur wichtig, Wechsel sind immer schwierig. Haben sie sich vielleicht nach vier Wochen zurechtgefunden und dann steht doch ein Wechsel an, so kann dies zu extremer Verunsicherung führen.
Muss ich immer ruhig bleiben, wenn meine demenzkranke Frau ständig Dinge sucht, die sie versteckt hat? Oder kann ich auch mal sagen, "jetzt ist Schluss"?
Gust:
Gefühle wie Ärger dürfen auch einmal sein, jeder hat seine persönlichen Grenzen. Wichtig ist, dass man den Ärger authentisch äußert, aber nicht dabei schreit, z. B. sagt: Das nervt mich aber jetzt. Man sollte die Messlatte für sich selbst nicht so hoch anlegen, dass man immer ruhig und entspannt bleiben muss, egal was passiert.
Bohnstedt:
Gerade bei Partnerbeziehungen sind solche Situationen oft schwierig. Man wird ja nicht automatisch zur Fachkraft für Demenzkranke und muss sich erst einfinden in die Situation. Schön wäre, sich eine liebevolle Beziehung zu erhalten.
Was soll ich tun, wenn ein pflegebedürftiger Demenzkranker sich nicht waschen lassen will?
Bohnstedt:
Das kann zu einem gravierenden Problem werden, denn zwingen kann man den Menschen eigentlich nicht. Oft spielt das Schamgefühl eine große Rolle, und die demenzkranken Menschen fühlen sich schutzlos. Es ist gut, zu versuchen, sich in die Situation einzufühlen, um herauszufinden, warum der Mensch sich abwehrend verhält. Fragen sind: Ist der Pfleger oder die Pflegerin, beziehungsweise der Angehörige, die richtige Person für die Intimpflege? Welches Verständnis von Hygiene liegt vor - täglich duschen oder einmal in der Woche Badewanne? Ideal ist, eine ruhige, freundliche Atmosphäre zu schaffen, es muss warm sein und die Pflege sollte gut riechen.
Wie gehe ich damit um, wenn Demenzkranke nach ihrer Mutter rufen, die schon lange tot ist?
Gust:
In der Regel bleibt das Langzeitgedächtnis bestehen. Angehörige sollten sich die Frage stellen, was hinter dem Ruf nach der Mutter steckt. Es ist doch normal, dass Menschen sich nach Schutz und Geborgenheit sehnen. Für die Demenzkranken ist es eine Welt, die sich ihnen mehr und mehr verschließt. Man sollte auf dieses Gefühl eingehen, und nicht sagen: Deine Mutter ist schon lange tot. Im Zweifelsfall werden Sie als Überbringer der Todesnachricht wahrgenommen, und die Situation eskaliert. Manchmal muss man die Menschen aber einfach versuchen abzulenken.
Hilft es, Dinge, die der Demenzkranke immer wieder vergisst, aufzuschreiben?
Gust:
In der Anfangsphase kann das vielleicht helfen. Da würde ich raten, es einfach auszuprobieren. Aber irgendwann wird es wahrscheinlich nicht mehr funktionieren.
Wie gehe ich damit um, wenn immer wieder dieselben Fragen kommen, zum Beispiel: "Welcher Tag ist heute?"
Bohnstedt:
Man sollte herausfinden, warum diese Information so wichtig für den Menschen ist. Geht es um einen Wochentag, an dem früher etwas Besonderes war, zum Beispiel der Wochenmarkt? Kann man vielleicht darüber sprechen? Oder geht es darum, die Zeit zu strukturieren? Demenzkranke können mit Begriffen wie "zwei Stunden" nichts mehr anfangen, sie suchen aber Orientierung. Sie sind oft von einer gnadenlosen Langeweile befallen, weil sie die Zeit nicht mit Erinnerungen füllen können. Wenn man versteht, was hinter einer Frage steckt, so kann das helfen, damit umzugehen.
Wie gehe ich damit um, wenn der Demenzkranke darüber klagt, dass ein Angehöriger ihn gar nicht besucht - auch wenn das gar nicht wahr ist?
Gust:
Man sollte sich fragen: Worum geht es? Steckt ein Anspruch dahinter, dass der Mensch gefälligst da zu sein hat? Oder geht es um den Wunsch, dass dieser Mensch einfach möglichst viel da ist, weil der Kranke ihn besonders gern hat? Man sollte möglichst keine Diskussionen darüber anfangen, ob das nun richtig ist oder nicht. Dann wird sich die Situation hochschaukeln.
Wie reagiere ich, wenn ein Demenzkranker sagt, "ich will sterben"?
Bohnstedt:
Nicht immer steckt dahinter wirklich der Wunsch zu sterben. Aber man sollte überprüfen, ob der Mensch vielleicht unter diesen konkreten Bedingungen nicht weiterleben möchte. Und dann kann man schauen, ob man daran etwas ändern kann. Man sollte auch möglichst früh nach Auftreten einer Demenzerkrankung versuchen, schriftlich niederzulegen, wie sich der Mensch die letzte Phase seines Lebens vorstellt, beispielsweise durch eine Patientenverfügung.
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