Wo liegt der Haustürschlüssel, wo hat man am Vorabend die Tasche abgelegt, wo ist das Portemonnaie? Wenn diese Fragen zu einem beklemmenden Dauerzustand werden, der den Alltag erheblich erschwert, kann das schlimmstenfalls an einem krankhaften Gedächtnisverlust liegen. Viele Menschen im höheren Alter leiden an einer Demenz. In der Altersgruppe der über 90-Jährigen ist mehr als jeder Dritte betroffen. Es ist eine Erkrankung, bei der die Medizin an ihre Grenzen stößt. Betroffene wie Angehörige müssen sich mit der Zeit dem schweren Schicksal stellen: Diese Krankheit ist nicht heilbar, die Schäden sind irreparabel.
Bei einer Demenz (lat. mens = Verstand, de = abnehmend) sind die "höhergradigen Leistungen des Gehirns gestört", erklärt Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse, 58, Chefarzt der Geriatrie im Albertinen-Haus. Die Symptome der Erkrankung sind Defizite in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Nicht nur die Erinnerung und der Umgang mit Sprache sind beeinträchtigt, sondern auch das bildliche Vorstellungsvermögen, die Konzentration und die allgemeine Aufmerksamkeit: Der Demenzkranke kann auf seine erlernten Fähigkeiten nicht mehr zurückgreifen. Am Anfang des Krankheitsverlaufs sind in der Regel lediglich das Kurzzeitgedächtnis und die Merkfähigkeit gestört. Im fortgeschrittenen Stadium treten dann immer deutlichere Persönlichkeitsveränderungen auf.
Die Diagnose Demenz wird gestellt, wenn ein Patient mindestens sechs Monate unter den Symptomen leidet. Per Definition kommt zum Leitsymptom, der Gedächtnisstörung, zumindest noch eine Störung der Sprache (Aphasie), der Motorik (Apraxie), des Planens und Organisierens (Dysexekutives Syndrom) oder die Unfähigkeit hinzu, Gegenstände und Objekte zu identifizieren und wiederzuerkennen.
Eine wichtige Rolle spielen neben diesen kognitiven Beeinträchtigungen auch die emotionalen und sozialen Defizite. "Zunächst machen sich die kognitiven Einschränkungen, die Leistungsstörungen, bei Jüngeren zum Beispiel im beruflichen Umfeld bemerkbar, was zu sozialen Problemen führen kann", erklärt von Renteln-Kruse. Im familiären Bereich kann die emotionale Veränderung des Demenzkranken zu Streit führen. Im Endstadium der Krankheit sind die Betroffenen meist komplett hilfs- und pflegebedürftig (Inkontinenz, Verwirrtheit, Apathie), unabhängig davon, um welche Art der Demenz es sich handelt. Dann können auch psychotische Symptome auftreten. Die Betroffenen können zum Beispiel unter optischen Halluzinationen leiden und fiktive Personen wahrnehmen.
Die am häufigsten diagnostizierte Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit (rund 60 Prozent der Betroffenen), jede fünfte Erkrankung ist auf eine gefäßbedingte Störung zurückzuführen (Vaskuläre Demenz).
Im Laufe der Erkrankung kommt es zu Veränderungen am Gehirn, die noch nicht ursächlich behandelbar sind. So bilden sich bei Alzheimer-Kranken bereits viele Jahre, bevor sie Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sogenannte Senile Plaques in der grauen Hirnsubstanz. Gleichzeitig lagern sich knäuelförmige Protein-Verbindungen (Neurofibrillen) an die Nervenzellen an.
Dabei ist ungeklärt, ob diese Ablagerungen tatsächlich krankheitsauslösend sind. Fest steht, dass im Krankheitsverlauf die Hirnmasse unterschiedlich stark abnimmt, da zunehmend Nervenzellen absterben. "Es handelt sich um eine fortschreitende Gewebeschädigung im Gehirn, der eine Störung der Neuronen zugrunde liegt", sagt von Renteln-Kruse.
Wiederholte Schlaganfälle können die sogenannte vaskuläre Demenz auslösen, die aufgrund der gestörten Blutversorgung im Gehirn zu Ausfällen der Funktionen führen. Weitere Formen sind die frontotemporale Demenz, die Parkinson-Demenz sowie die Lewy-Körperchen-Demenz.
"Die Therapiemöglichkeiten können den Verlauf der Erkrankung insgesamt nur eingeschränkt beeinflussen", erklärt der Chefarzt für Geriatrie. Die Therapie umfasst die medikamentöse Behandlung und psychosoziale Intervention und muss aufgrund der sehr variablen Krankheitsverläufe individuell gestaltet werden. Eine aussichtsreiche Prävention der vaskulären Demenz ist die konsequente Behandlung von Risikofaktoren wie etwa Bluthochdruck. Auch körperliche Aktivität, Sport, eine regelmäßige Kontrolle des Körpergewichts und die Pflege von sozialen Aktivitäten und Kontakten können der Erkrankung vorbeugen.
"Sehr wichtig ist eine ganzheitliche Therapie, die auch die Angehörigen mit einschließt", erklärt Prof. Renteln-Kruse. Sie selbst können vor allem auf der psychosozialen Ebene viel bewegen. Dazu gehören zum Beispiel das Training von Alltagsaktivitäten mit dem Demenzerkrankten und die Biografiearbeit, bei der sich der Patient unter Anleitung selbstreflexiv mit den Ereignissen seines Lebens auseinandersetzt. Doch die Angehörigen sollten sich keinesfalls überfordern.
Experten sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten Demenz-Paradox, das die Unfähigkeit der Erkrankten bezeichnet, sich mit den Konsequenzen ihrer Krankheit auseinanderzusetzen. Umso mehr fühlen sich häufig die Angehörigen in die Pflicht genommen. Das kann zu psychischen Folgeerkrankungen wie Depressionen führen. Deshalb sei es äußerst wichtig, dass sich die Pflegenden auch selbst entlasten, rät der Arzt.