Wenn Demenzerkrankungen früh erkannt werden, können Medikamente die Symptome zeitweise deutlich lindern.
Hamburg. Die Diagnose Demenz stürzt viele Menschen in tiefe Verzweiflung. Sie fürchten sich vor dem Verlust ihrer Erinnerungen, dem schleichenden Verfall ihrer Persönlichkeit, der zunehmenden Hilflosigkeit. Die Verzweiflung kann so weit gehen, dass Betroffene ihrem Leben selbst ein Ende setzen, wie der Selbstmord von Gunter Sachs vor wenigen Tagen gezeigt hat.
Noch sind Demenz-Erkrankungen wie Alzheimer nicht heilbar, doch es gibt Therapien, die zumindest vorübergehend Symptome wie Gedächtnisverlust lindern können. "Gerade in einem frühen Stadium kann man noch etwas gegen eine Demenz tun", sagt Prof. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologie in der Asklepios-Klinik Altona. Künftig komme es deshalb noch stärker darauf an, "den Menschen die Angst vor der Diagnose zu nehmen und offener mit der Krankheit umzugehen".
Das ist auch deshalb notwendig, weil die Zahl der Demenzkranken in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Dem aktuellen Demenz-Report zufolge leben in Deutschland 1,3 Millionen Demenzkranke; bis 2050 könnte sich die Zahl nach Schätzungen verdoppeln. Das liegt vor allem daran, dass der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung größer wird. "Und die Demenz ist eine Krankheit, die mit dem Alter zunimmt", sagt Röther. Die steigende Zahl der Betroffenen erfordere einen Ausbau der Versorgung.
"Zurzeit stehen wir bei der Versorgungssituation im internationalen Vergleich zwar gut da. Aber in Zukunft werden wir mehr Pflegeheimplätze, Tageskliniken für Patienten und Angehörige sowie Wohngemeinschaften für Demenzkranke brauchen."
Zu den wichtigsten Maßnahmen zählten aber die Früherkennung und die Einordnung, um welche Form der Demenz es sich handelt. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz; oft kommt auch eine vaskuläre Demenz vor, die auf Durchblutungsstörungen im Gehirn beruht. "Aber es gibt auch andere Ursachen, die leicht behandelbar sind, etwa ein Vitamin-B12-Mangel oder in seltenen Fällen auch eine Schilddrüsenunterfunktion", sagt Röther.
Bei den Symptomen steht nicht unbedingt der Gedächtnisverlust im Vordergrund. "In einem frühen Stadium haben die Erkrankten häufig eine Depression, ihre Vitalität nimmt ab, sie fühlen sich erschöpft, sind missmutig, gereizt und aggressiv. Zu den Frühsymptomen gehört auch, dass man Gerüche nicht mehr unterscheiden kann. Die Vergesslichkeit zeigt sich dann oft erst bei psychologischen Tests", sagt Dr. Holger Jahn, Leiter der Gedächtnissprechstunde in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Eppendorf. Befrage man dann die Angehörigen, werde häufig deutlich, dass die Auffälligkeiten schon längere Zeit bestünden.
Diese könnten sich zum Beispiel auch darin äußern, dass Betroffene sich ein Gerät kaufen und nicht mehr mit der neuen Technik zurechtkommen, dass sie sich auf einer eigentlich bekannten Strecke mit dem Auto verfahren oder anspruchsvolle Hobbys aufgeben, die eine gewisse Fingerfertigkeit erfordern. Häufig verbergen die Patienten ihre Defizite, weil sie sie nicht wahrhaben wollen und sich dafür schämen. Einem Besuch beim Arzt gehen viele Betroffen lange aus dem Weg. "Vielen fällt das dann leichter, wenn ein Angehöriger sie begleitet", sagt Jahn.
Für die Behandlung der Alzheimer-Demenz gibt es Medikamente, die die Leistungsfähigkeit des Gehirns verbessern können. "Man geht davon aus, dass bei Alzheimer-Patienten ein Mangel des Nervenbotenstoffes Acetylcholin vorliegt. Es gibt Medikamente, die diesen Mangel etwas ausgleichen", sagt Andreas Feige, Oberarzt der Gerontopsychiatrie in der Asklepios-Klinik Nord Ochsenzoll. "Diese sogenannten Acetylcholinesterase-Hemmer sollten so früh wie möglich gegeben werden. Sie führen bei einem Viertel der Patienten zu einer vorübergehenden Verbesserung der Symptomatik, bei 50 Prozent verzögern sie ein Fortschreiten der Krankheit um ein bis zwei Jahre, und bei einem Viertel haben sie keine Wirkung", sagt der Alterspsychiater. Wenn die Acetylcholinesterase-Hemmer nicht wirken, könne man bei mittelgradiger bis schwerer Alzheimer-Demenz das Medikament Memantine einsetzen. Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantine seien manchmal auch bei der vaskulären Demenz hilfreich, ergänzend zu durchblutungsfördernden Medikamenten. Therapien ohne Medikamente setzten darauf, den Patienten zu Aktivitäten anzuregen, aber nicht zu überfordern. "Dabei ist es besonders hilfreich, auf die Lebensgeschichte des Patienten zurückzugreifen, etwa jemanden zum Tanzen zu motivieren, der früher gern getanzt hat", sagt Feige.
Der Forschung ist bislang kein Durchbruch gelungen, um die Alzheimerkrankheit mit ihren Ablagerungen (Plaques) im Gehirn dauerhaft zu stoppen. Es gebe zwei Hauptrichtungen in der Forschung, erläutert Holger Jahn. Erstens werde der Einsatz von Antikörpern erprobt, die sich nur gegen ein Eiweiß der Plaques richten sollen. Der zweite Ansatz richte sich darauf, die Amyloid-Ablagerungen zu verhindern, indem ein dafür nötiges Enzym, die Gamma-Sekretase, gehemmt wird. Nur: "Beide Ansätze funktionieren zwar im Tierexperiment ganz gut, es gibt aber keinen Nachweis, dass sie auch beim Menschen wirken", sagt Jahn.
Immerhin gebe es Möglichkeiten der Prävention. "Die Risikofaktoren für Demenz sind die gleichen wie bei Herzinfarkt und Schlaganfall. Deswegen sollte man Bluthochdruck, Diabetes und Blutfettwerte gut einstellen lassen, Übergewicht vermeiden und für Bewegung sorgen." Und: "Wer ständig sein Gehirn nutzt, schafft damit geistige Reserven. Sie können im Fall einer Erkrankung dafür sorgen, dass die Symptome später auftreten."