Hamburg. Interview mit Kammer-Chef Kai-Peter Siemsen und den Apothekerinnen Stefanie Eckard und Beatrix Meister über richtiges Arznei-Management.
Wie gefährlich ein Medikamenten-Mix für Patienten werden kann, welche Lieferengpässe es bei Kinder-Präparaten gibt und warum Apotheken keine Badelatschen verkaufen dürfen: Der Präsident der Hamburger Apothekerkammer, Kai-Peter Siemsen sowie seine Kolleginnen Stefanie Eckard und Beatrix Meister im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Es geht auch um Online-Apotheken, Rabattverträge, den Preis für Aspirin und die Zuzahlungen, die Patienten leisten müssen.
Hamburger Abendblatt: Man hat den Eindruck, dass das gesamte Gesundheitswesen sich umkrempelt, nur an jeder Ecke gibt es noch Apotheken. Wie viele sind es in Hamburg?
Kai-Peter Siemsen: Seit dem Jahr 2010 zeigt der Trend: Es gibt immer weniger Apotheken. 2014 gab es 423 Apotheken in Hamburg. 2015 sind es bis heute wieder neun weniger. 1750 der 2700 Mitglieder der Hamburger Apothekerkammer sind berufstätig, und der größte Teil arbeitet in öffentlichen Apotheken.
Hamburger Abendblatt: Sind Hamburgs Apotheken wirtschaftlich gesund oder werden weitere schließen?
Siemsen: Hamburg hat in den öffentlichen Apotheken eine extreme Spanne im Umsatz. Wir haben Kleinstapotheken, die einen Umsatz von 500.000 Euro im Jahr haben. Auf der anderen Seite machen die fünf größten Hamburger Apotheken zusammen eine halbe Milliarde Euro Umsatz. Die größeren Apotheken, die ihre Kostenstruktur gut im Griff haben, werden immer stärker, aber mehr als die Hälfte werden immer schwächer und verlieren an Umsatz, obwohl sie vor Ort für die Versorgung notwendig sind.
Hamburger Abendblatt: Woran liegt das?
Siemsen: Weil das Geld nicht mehr reicht, um die Kosten zu decken. Zum anderen finden die Apotheker, die aus Altersgründen ihre Apotheke abgeben wollen, keine Käufer mehr, weil sie nicht rentabel sind.
Hamburger Abendblatt: Was verursacht die meisten Kosten?
Siemsen: Nach der Ware sind die Personalkosten der größte Kostenblock.
Beatrix Meister: Das Problem ist, dass die Apotheken nach zehn Jahren erstmals 2014 wieder eine Erhöhung ihrer Honorarbasis erhalten haben. Die Pauschale stieg von 8,10 Euro auf 8,35 Euro. Diese Erhöhung entsprach in keinem Fall der Kostensteigerung, die wir all die Jahre als Apotheken haben hinnehmen müssen.
Hamburger Abendblatt: Was besagt diese Pauschale?
Stefanie Eckard: Das ist ein Festaufschlag auf verschreibungspflichtige Medikament. Der ist immer gleich, egal ob ein Medikament im Einkauf 30 Cent kostet oder 23.000 Euro.
Hamburger Abendblatt: Welchen Anteil haben die Online-Apotheken daran, dass die Zahl der Hamburger Apotheken sinkt?
Siemsen: Sie haben einen Anteil am Gesamtumsatz von zwei bis drei Prozent – das ist nicht der von ihnen erhoffte Anteil von acht bis neun Prozent. In der Regel werden über die Online-Apotheken keine Medikamente bestellt, die für eine Akutbehandlung nötig sind, wie zum Beispiel Schmerzmittel und Antibiotika. Aber Großpackungen für den Dauergebrauch, die auch etwas teurer sind, werden zunehmend über den Versandhandel gekauft. Die gibt es in unseren Apotheken kaum noch.
Hamburger Abendblatt: Wie ist der Anteil von teuren Medikamenten?
Siemsen: In den letzten zwei Jahren steigt er massiv. Bei einem Mittel gegen Hepatitis C kostet die Packung etwa 23.000 Euro. Von diesem Mittel braucht ein Patient drei Packungen, ist dann aber geheilt. Diese Behandlung kostet also 60.000 bis 70.000 Euro. Aber wenn man sich vor Augen führt, dass früher bei Hepatitis C eine Lebertransplantation nötig war, dann ist die medikamentöse Therapie deutlich billiger.
Hamburger Abendblatt: Wie hoch ist der Umsatzanteil der frei verkäuflichen Medikamente?
Meister: Das hängt von der Apothekenstruktur ab. Eine Innenstadtapotheke mit viel Laufkundschaft hat einen höheren Anteil an diesen sogenannten OTC-Medikamenten („Over the counter“, die Red.) als eine Apotheke in einem Ärztehaus. Im Prinzip kann man sagen: durchschnittlich sind 70 Prozent der abgegebenen Arzneimittel rezeptpflichtig und 30 Prozent frei in Apotheken verkäuflich.
Hamburger Abendblatt: Was wird am häufigsten verkauft?
Siemsen: Schmerzmittel, Allergiemittel und Medikamente gegen Erkältungen,
Hamburger Abendblatt: Was kostet eine 20er-Packung Aspirin und was verdienen Sie daran?
Meister: Die OTC-Preise sind frei verhandelbar.
Hamburger Abendblatt: Also kann eine Großapotheke durch die Masse an Bestellungen die Einkaufspreise drücken?
Siemsen: Nicht ganz. Ein Standardbeispiel ist Paracetamol. Eine Packung kostet um 2,40 Euro. In der Innenstadt bekommen Sie es auch für 99 Cent. Einerseits sind wir als öffentliche Apotheke ein Heilberuf, zu dem auch eine Beratung gehört, und andererseits möchte der Gesetzgeber, dass ich damit auch den Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente mitfinanziere. Ich persönlich halte nichts davon, die Paracetamol für 99 Cent zu verkaufen, weil das einen Anreiz gibt, mehr zu kaufen. An dem Punkt sind wir dann nicht mehr freie Gewerbetreibende. Sondern da ist es unsere Aufgabe, den Patienten vom Kauf großer Mengen abzuraten, was die Mehrheit der Apotheken auch sicherlich tut.
Hamburger Abendblatt: Wie müssen Apotheken heute aufgestellt sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Siemsen: Wir werden nicht damit glücklich, möglichst große Mengen frei verkäuflicher Arzneimittel zu verkaufen. Die Apotheker definieren sich über den Heilberuf. Und das heißt Beratung. Es ist immer ein Abwägen, wie viel Personal sich jemand leisten will, damit er den Kunden auch eine gute Beratung anbieten kann. Die kann auch länger dauern.
Meister: Eine gute Beratung ist das A und O, um Kunden zu binden. Ich habe nicht Pharmazie studiert, um Rabattverträge der Krankenkassen zu erfüllen, sondern um meine Kunden hinsichtlich der Arzneimittel zu beraten.
Hamburger Abendblatt: Also müssen Sie sich zusätzlich spezialisieren?
Meister: Es gibt viele Apotheken, die sich auf ältere Menschen spezialisiert haben, auf besondere Bedürfnisse von Mutter und Kind, auf Sportler oder Tierarzneimittel.
Eckard: Aber alles was wir anbieten, muss laut Gesetz einen direkten Bezug zu Arzneimitteln und Gesundheit haben. Der Verkauf von Badelatschen oder Gesundheitsreisen in Apotheken ist verboten. Kosmetika gehören nur dann dazu, wenn sie der Hautpflege dienen. Die Behörde macht regelmäßig unangekündigte Kontrollen.
Meister: Deswegen engagieren wir uns verstärkt bei der Medikationsanalyse und im Medikationsmanagement. Wir bieten Patienten an, die regelmäßig mehr als fünf Arzneimittel gleichzeitig zu sich nehmen, ihre Medikation zu überprüfen und beziehen dabei auch die frei verkäuflichen Mittel ein, die sie zu sich nehmen. Wir schauen dabei auf Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten, beachten Doppelverordnung von Haus- und Fachärzten und beraten die Patienten hinsichtlich korrekter Einnahme Ihrer Arzneimittel.
Hamburger Abendblatt: Wie wird diese Beratung honoriert?
Meister: Bislang gibt es kein festgesetztes Honorar. Als Preis wird eine Summe zwischen 60 und 70 Euro diskutiert, die aber zunächst noch vom Patienten selber zu zahlen ist. Langfristig hoffen wir, dass dieses eine Leistung der Krankenkassen wird, weil aus unserer Sicht hiermit deutlich Kosten im Kosten im Gesundheitswesen gespart werden können.
Hamburger Abendblatt: Können Sie Beispiele für gefährliche Wechselwirkungen nennen?
Siemsen: Wenn ein Mann mit Herz-Kreislauf-Problemen die Potenzpille Viagra nimmt, kann das bis zum Herzstillstand führen. Wer Blutverdünner nimmt, darf kein Aspirin einnehmen, weil das zusätzlich die Blutgerinnung herabsetzt.
Meister: Ein anderes Beispiel ist die gleichzeitige Einnahme von Johanniskraut und der Anti-Baby-Pille. Johanniskraut steigert den Abbau von Arzneimitteln, die über das gleiche Enzymsystem verstoffwechselt werden. Das hat zur Folge, dass die Pille schneller abgebaut wird und nicht mehr ihre volle Wirkung hat.
Eckard: Grapefruitsaft verstärkt die Wirkung von bestimmten Herzmedikamenten. Wer mehrere Medikamente einnimmt, sollte Grapefruit meiden, weil es ein hohes Risiko von Wechselwirkungen gibt.
Meister: Zehn bis 15 Prozent der Krankenhausaufenthalte resultieren aus arzneimittelbezogenen Problemen. Dabei kann man sagen, dass etwa ein Drittel davon auf fehlerhafte Verschreibungen zurück geht , zum Beispiel, dass Ärzte sich nicht an die Priscus Liste halten, in der Medikamente aufgeführt sind, die für Ältere nicht gut geeignet sind oder dass nicht auf Interaktionen zwischen den verordneten Arzneimitteln geachtet wird. Hier sind natürlich auch die Apotheker gefragt! Ein weiteres Drittel liegt daran, dass die Patienten sich nicht an die Verordnung halten und zu viel oder zu wenig einnehmen. Und ca ein Drittel ist mangelnde Überwachung, hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkung bei der Therapie (dazu gehören eventuell Blutbildkontrollen, EKG oder Überwachung der Nierenfunktion)
Hamburger Abendblatt: Welche Wechselwirkungen sind am häufigsten?
Eckard: Ein Patient hat eine Dauerverordnung von zwei, drei Medikamenten und erhält dann ein Akutmedikament, zum Beispiel ein Antibiotikum. Da kommt es häufig zu schweren Neben- und Wechselwirkungen.
Hamburger Abendblatt: Warum prangern Sie die Rabattverträge an, mit denen Krankenkassen Millionen Euro für Ihre Versicherten sparen?
Siemsen: Es gibt die Verträge zwischen den Krankenkassen und dem Hersteller, der die Ausschreibung für einen Wirkstoff gewonnen hat. Das spart sicherlich Geld. Wie viel – das wissen wir nicht, weil es nicht veröffentlicht wird. Wir erhalten nur die Information, welche Krankenkassen mit welchen Herstellern Rabattverträge haben und danach müssen wir uns richten. Wenn die Hersteller wechseln, muss ich dem Patienten erklären, warum wir das Mittel austauschen und wie er es einzunehmen hat. Dazu kommt, dass Rabattverträge mit kleinen Herstellern abgeschlossen werden, die gar nicht in der Lage sind, die erforderlichen Mengen zu liefern. Und dann entstehen Lieferengpässe.
Hamburger Abendblatt: Bei welchen Medikamenten gibt es Lieferengpässe?
Siemsen: Wir hatten lange Lieferengpässen bei dem Schilddrüsenhormon L-Thyroxin. Zurzeit gibt es Lieferengpässe bei Kinderimpfstoffen für eine Dreifachimpfung gegen Diphterie, Typhus und Tetanus. Außerdem sind spezielle Antibiotika knapp, die verordnet werden, wenn die Standardbehandlung nicht mehr wirksam ist. Auch bei einzelnen Krebsmitteln gibt es Lieferengpässe. Das liegt aber auch daran, dass der Gesetzgeber und die Krankenkassen wirtschaftlichen Druck auf die Hersteller ausüben. Diese reagieren damit, dass sie ihre Rohstoffe in Asien herstellen lassen. Wenn dann eine Charge mit großen Mengen von Wirkstoffen ausfällt, gibt es hier einen Lieferengpass.
Hamburger Abendblatt: Es gibt schon eine Reihe von Medikamenten, die von der Zuzahlung befreit sind. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen?
Siemsen: Die Zuzahlung beträgt immer zehn Prozent, mindestens fünf Euro, höchstens zehn Euro. Wenn es da eine Teilbefreiung gibt, ist das immer ein Hinweis, dass die Krankenkasse den Preis stark gedrückt hat.
Meister: Die Zuzahlungen richten sich nach der sogenannten Festbetragslinie. Je nachdem wie weit der Hersteller unter die Festbetragslinie geht, wird eine Befreiung ausgesprochen. Wenn sich aber die Festbetragslinie ändert oder der Preis angehoben wird, kann sich das auch wieder ändern. Das kann dann dazu führen, dass der Patient in einem Monat zuzahlen muss, im nächsten nicht.