Forscher hatten erklärt, EHEC könne von Menschen auf Lebensmittel übertragen werden. Berliner Chefarzt bezweifelt das.

Hamburg. Hessen will nach dem erstmaligen Fund des gefährlichen EHEC-Erregers in einem Gewässer zunächst die Zweitprobe abwarten, bevor mögliche weitere Maßnahmen zum Schutz vor den Durchfallkrankheiten ergriffen werden. "In zwei bis drei Tagen haben wir dort nähere Erkenntnisse“, sagte Hessens Gesundheitsminister Stefan Grüttner am Sonnabend gegenüber Reuters-TV. Er betonte, es gebe keine aktuelle Gefährdungssituation. Es gelte das bestehende Verbot in Fließgewässern zu baden. Badeseen seien davon ausgenommen.

Am Freitag war der gefährliche EHEC-Erreger vom Typ 0104 in einem Bach bei Frankfurt am Main gefunden worden. Den Bach hatten die Behörden nach dem Fund des Erregers auf einem Salatkopf untersucht, der aus einem Betrieb stammte, der das Wasser des Baches nutzt.

Eine Gefahr für das Trinkwasser besteht nach Angaben des Landesgesundheitsministeriums nicht. Den angrenzenden Betrieben wurde untersagt, Wasser aus dem Erlenbach zu nutzen. Ein Verdacht als Ursache für die Kontamination richtet sich gegen eine Kläranlage, die aufbereitetes Wasser in den Bach einleitet.

Der EHEC-Erreger kann blutigen Durchfall auslösen. Außerdem kann er das HU-Syndrom auslösen, dass bis zum Nierenversagen und anderen bleibenden Schäden führen kann. Bislang sind knapp 40 Menschen nach der Ansteckung mit Ehec gestorben, die Behörden registrierten bislang über 3400 Infektionen.

Niedersachsen: Keine Hinweise auf EHEC-Keime im Wasser

In Niedersachsen gibt es bisher keine Hinweise auf EHEC-Keime im Wasser. "Wir untersuchen schon seit Wochen Proben aus Brunnen in Betrieben und haben bisher nichts gefunden“, sagte der Sprecher des niedersächsischen Agrarministeriums, Gert Hahne, am Sonntag. In Niedersachsen gebe es keine Hinweise auf eine solche Bachproblematik, sagte Thomas Spieker, Sprecher von Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU): "Man muss sich auch keine Sorgen um die Trinkwasserqualität machen.“

Hygiene-Experte zweifelt an Theorie der EHEC-Übertragung auf Essen

Unterdessen hat der Hygiene-Experte Klaus-Dieter Zastrow das Vorgehen der Behörden im Falle der EHEC-Epidemie erneut scharf kritisiert. Wer behaupte, der Keim könne von Menschen auf Lebensmittel übertragen werden, verstehe nichts von der Thematik, sagte der Chefarzt für Hygiene an den Vivantes-Kliniken Berlin.

So etwas könne allenfalls dann geschehen, wenn der an der Hand befindliche Stuhlgang auf ein Lebensmittel gebracht werde. Diese Form der Übertragung gelte dann auch für die Erreger von Cholera, Typhus, Salmonellen und Hepatitis A, fügte der Mediziner hinzu.

Das hessische Sozialministerium hatte am Freitag mitgeteilt, eine mit EHEC infizierte Mitarbeiterin eines nordhessischen Partyservices habe offenbar den Keim auf Lebensmittel übertragen. Daraufhin erkrankten 20 Teilnehmer einer Familienfeier an EHEC.

Forscher: EHEC-Erreger nistet sich in Umwelt ein

Der renommierte EHEC-Forscher Helge Karch glaubt, dass der gefährliche Darmkeim sich im Moment vermehrt in der Umwelt ablagert. "Viele Menschen scheiden derzeit den Erreger aus“, sagte der Professor des Universitätsklinikums Münster (UKM) am Sonnabend bei einem Besuch von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Über die Fäkalien von EHEC-Patienten könne der Keim in die Umwelt gelangen und sich dort einnisten. Der Erreger bilde eine Schleimschicht, in der er sich einniste und auch längere Zeiträume gut überstehe, sagte Karch.

Minister Bahr informierte sich bei dem Besuch in Münster über Karchs Forschungsarbeit und lobte den Wissenschaftler für die schnelle Identifizierung des EHEC-Stammes. Er gehe trotz allem davon aus, dass der Höhepunkt der Epidemie überwunden ist. "Wir haben das Schlimmste hinter uns“, sagte Bahr. Die rückläufigen Zahlen an Neuinfektionen gäben "Anlass zu verhaltenem Optimismus“. Dennoch sei nicht auszuschließen, dass weitere Menschen an den Folgen der gefährlichen Darminfektion sterben.

Wie Forscher in Münster herausgefunden haben, ist der EHEC-Erreger extrem widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen. Er überstehe selbst längere Zeit in saurem Milieu und sei kälteresistent. In den Laborkühlschränken des Instituts für Hygiene überlebe er bereits seit Wochen bei Temperaturen von fünf Grad Celsius, sagte Karch.

"Dass der Keim jetzt im Wasser gefunden wurde, hat mich nicht überrascht“, sagte Karch im Bezug auf den in dem Frankfurter Bach entdeckten aggressiven EHEC-Erregers 0104:H4. Es müssten Strategien entwickelt werden, den Darmkeim dauerhaft zu beseitigen. "Wir müssen verhindern, dass kontaminiertes Wasser zur Berieselung von Gemüsefeldern eingesetzt wird“, sagte der EHEC-Experte.

Epidemiologe: Konsequenzen aus EHEC-Welle ziehen

Nach Ansicht des Rostocker Epidemiologen und Tropenmediziners Emil Reisinger gibt die nachlassende EHEC-Epidemie Anlass, einige Regularien beim Umgang mit solchen Krankheitswellen zu überdenken. "Um schneller Erkenntnisse über das Krankheitsgeschehen und den Ursprung zu erhalten, müssen die Bögen zur Patientenbefragung eher bereitstehen“, sagte Reisinger der Nachrichtenagentur dpa. Dazu sollten entsprechende Fragebögen schon vor einer Epidemie ausgearbeitet sein, die dann beim Auftreten einer neuen Seuche schnell angepasst werden können. "Wenn man bei EHEC früher auf die Quelle gekommen wäre, hätte man einige Fälle verhindern können.“

Es hatte Mitte Mai nach Bekanntwerden des vermehrten Auftretens von Durchfallerkrankungen mehrere Tage gedauert, bis die Fragebögen zur Verfügung standen. "Sie müssen künftig ins Internet gestellt werden, wo sie abgerufen werden und dann an eine zentrale Stelle zur Auswertung geschickt werden können“, sagte Reisinger. Die technischen Möglichkeiten des Internets würden noch nicht genügend genutzt, Briefe sollen bei einer Epidemie keine Rolle mehr spielen. Oft würden bei der Ablehnung von Internet oder E-Mail Probleme beim Datenschutz genannt. "Bei einer Epidemie sollte der Datenschutz aber nicht auf die Spitze getrieben werden.“

Die EHEC-Krise habe auch auf Probleme bei der Kontrolle von Lebensmitteln hingewiesen. "Es ist interessant, dass auch von Bio-Produkten Gefahren ausgehen können. Es muss überlegt werden, ob die aktuellen Vorschriften für die Kontrolle von Bio-Nahrungsmitteln ausreichen“, sagte Reisinger. Bio-Höfe und die dort hergestellten Lebensmittel werden von den Bioverbänden überwacht. Er schlug vor, Biolebensmittel auch von staatlichen Behörden kontrollieren zu lassen.

Aus den vorangegangenen Epidemien wie Schweine- oder Vogelgrippe sei schon viel gelernt worden, betonte Reisinger. So habe bei EHEC der Kontakt zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken sehr gut geklappt. Der "Seuchenplan“ sei gut umgesetzt worden. In diesem Zusammenhang lobte Reisinger auch die Medien. Die schnell verbreiteten Warnungen vor Lebensmitteln hätten zur "Verunsicherung“ der Menschen geführt. Dies wiederum habe zur Folge gehabt, dass einige Lebensmittel gemieden wurden, was zur Eindämmung von EHEC geführt habe.

Mit Material von rtr, dapd, dpa