In der Ruhe liegt die Kraft? Stimmt schon, aber bestimmt nicht im Sitzen. Der Mensch ist genetisch auf körperliche Aktivität gepolt, um sich wohlzufühlen.
Kennen Sie das? Nach einem langen Arbeitstag auf dem Bürostuhl kommen wir nach Hause und müssen uns erst einmal ausruhen. Daraus werden dann oft drei oder vier Stunden auf der Fernsehcouch. Werden wir krank, verordnen viele Ärzte uns immer noch Bettruhe und raten von körperlicher Aktivität ab. Der moderne Mensch führt ein Leben im Schongang.
"Legte ein Erwachsener vor 100 Jahren noch durchschnittlich fast 20 Kilometer pro Tag zu Fuß zurück, sind es heute gerade einmal 400 bis 700 Meter", sagt der Hamburger Sportmediziner Klaus-Michael Braumann. Viele bewegen sich nur noch vom Wohnzimmer in die Garage und vom Firmenparkplatz an den Arbeitsplatz. Die Mittagspause führt dann höchstens in die Betriebskantine. Zwischen Bürostuhl, Autositz und Fernsehsessel verkümmert die Muskulatur - das einzige Organ, das Fett verbrennt. Der moderne Mensch mutiert zum Homo sedens, zum aufgeblähten Sitzwesen.
Das aber ist völlig gegen unsere Natur. Evolutionsmediziner sind überzeugt: Die modernen Menschen sind noch immer auf das Leben als Jäger und Sammler programmiert, weil ihre genetische Ausstattung sich in den 10 000 Jahren seit der Steinzeit nicht verändert hat. Selbst für Industriearbeiter waren vor wenigen Jahrzehnten Körperkraft und gute Fitness von entscheidender Bedeutung. "Bewegung liegt in unseren Genen", sagt Sportmediziner Braumann.
"Als Jäger und Sammler hat sich der Mensch seit Zehntausenden von Jahren vorwiegend eiweißreich ernährt, hochgerechnet etwa 120 000 Generationen lang", schreibt der bekannte Arzt Dietrich Grönemeyer in seinem "Handbuch der Gesundheit". Für die Nahrungssuche hat er sich stets viel bewegen müssen, für schlechte Zeiten Energie als Fett gespeichert. Heute jagen wir nicht mehr den Mammuts hinterher oder flüchten vor Säbelzahntigern. Doch leider wütet immer noch der uralte Energiesparimpuls in uns: Iss so viel wie möglich, und bewege dich so wenig wie möglich.
Sie finden das übertrieben? Lassen Sie sich nicht von zahlreichen Joggern und Radfahrern an Alster und Elbe täuschen. "Die Deutschen sind ein Volk von Bewegungsmuffeln", erklärt Braumann: "Bei den über 40-Jährigen gelten immerhin 65 Prozent der Männer und sogar 70 Prozent der Frauen als körperlich inaktiv."
Immerhin: Die Hamburger scheiden im Vergleich der Bundesländer hervorragend ab. Laut Statistischem Bundesamt sind die Hanseaten nämlich die schlanksten Deutschen. Die Hamburger Männer haben einen durchschnittlichen Bauchumfang von 94,81 Zentimetern, die Frauen sogar nur 83,63 Zentimeter. Thüringer Wampen messen dagegen 98,27 beziehungsweise 87,1 Zentimeter. Das kann nur bedeuten: Die Hamburger bewegen sich mehr und essen gesünder als die anderen.
Denn Bewegung ist der Schlüssel zum Wohlbefinden. "Der Mensch ist nicht zum Stubenhocker geboren", meint Klaus-Michael Braumann. "Bewegen Sie sich!", fordert deshalb sein Kollege Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Teamarzt der Fußball-Nationalelf "Tägliche Bewegung sollte genauso selbstverständlich sein wie Zähneputzen. Keiner von uns denkt mehr darüber nach, ob er wirklich seine Zähne putzen soll - wir machen es einfach." Müller-Wohlfahrts Diagnose: Krankmacher Nummer eins ist der Bewegungsmangel.
Weil das biologische Erfolgsmodell Mensch nicht auf Bewegungsarmut eingestellt ist. Evolutionsmediziner führen die meisten Zivilisationskrankheiten darauf zurück, dass der Stoffwechsel wegen allzu großer Untätigkeit aus dem Ruder läuft. "Als Minimalanforderung sehen diese Forscher 30 Minuten moderate Bewegung an mindestens fünf Tagen in der Woche an - etwa Walking oder Schwimmen", sagt der Wissenschaftsjournalist Jörg Blech. Wer sich nicht ausreichend bewegt, gönnt seinem Körper keine Ruhe, sondern bringt ihn in einen Ausnahmezustand: "In den Zellen und Geweben laufen permanent krank machende Vorgänge ab, und es scheint nur eine Frage der Zeit, ehe sich diese in Beschwerden äußern", erklärt Blech.
Mit anderen Worten: Bewegung ist keineswegs eine nützliche Zugabe, um die Gesundheit zu verbessern. Vielmehr ist sie die Voraussetzung, die unser normales körperliches Funktionieren erst ermöglicht.
"Sich bewegen ist letztlich eine Lebenshaltung. ,Haltung' verstehe ich dabei nicht als die körperliche Haltung, sondern auch als geistig-seelische Orientierung, als Grundeinstellung zum Leben. Bewegung ist Körpererfahrung, sie vermittelt darüber hinaus Energie und Lebenslust. Und eigentlich zeigt sie angewandte Gesundheitskompetenz", sagt Dietrich Grönemeyer.
Entscheidend ist: Sie müssen überhaupt nicht perfekt sein in der von Ihnen gewählten Sportart - die regelmäßige Bewegung ist entscheidend. Denn letztlich ist besser, dass Sie kontinuierlich aktiv sind, wenn auch in Maßen, als dass Sie selten und dann übertrieben Sport treiben. Es gibt so viele verschiedene Formen, sich zu bewegen. Suchen Sie sich einfach aus, was Ihnen am meisten zusagt.