Beim Evangelischen Kirchentag vom 25.-29. Mai in Hannover geht es um Zukunftsfragen. Interview mit Bischöfin Margot Käßmann über Politik, Papst, Pop und Visionen.

Unter dem Motto "Wenn dein Kind dich morgen fragt" findet vom 25. bis 29. Mai der 30. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover statt. Angesagt haben sich neben den Spitzenpolitikern Schröder, Fischer und Merkel u. a. auch Künstler wie Wim Wenders und Herbert Grönemeyer, Fernsehmacherin Sandra Maischberger, außerdem Kardinal Karl Lehmann und Friedensnobelpreisträgerin Wangari M. Maathai.

ABENDBLATT: Sie sagen, man soll sich von allzu engen Bildern Gottes befreien. Wie erleben Sie selbst Gott?

MARGOT KÄSSMANN: Ich bin wie die meisten aufgewachsen mit dem Bild eines alten Mannes mit weißem Bart. Später war es für mich spannend zu sehen, daß Gott beispielsweise auch als Freundin verstanden werden kann. Es gibt ja tatsächlich mütterliche Bilder in der Bibel. Der Gott, mit dem ich im Dialog sein kann, ist mir in den letzten Jahren wichtiger geworden. Gott als das andere Wesen, das weit über meine Zeit und Welt hinausgeht.

ABENDBLATT: Die Kirche muß eine Balance halten zwischen Tradition und Innovation. Was muß erhalten und was muß verändert werden?

KÄSSMANN: Die Kirche darf sich nicht von ihren Wurzeln verabschieden wie der Bibel, den Zehn Geboten, den Seligpreisungen. Auch die Stärke der traditionellen Liturgie sollten wir nicht unterschätzen. Für viele Menschen ist es sehr wohltuend, sich in den aaronitischen Segen fallenzulassen. Aber wir brauchen daneben auch andere Formen, zum Beispiel Gospelgottesdienste oder Jugendgottesdienste mit Talkelementen. Es gibt vielfältige Formen, Gott zu loben, Gott zu spüren, sich Gott anzunähern.

ABENDBLATT: Spitzenpolitiker wie Gerhard Schröder, Angela Merkel und Franz Münterfering kommen zum Kirchentag - um Wahlkampf zu machen?

KÄSSMANN: Ein Schaulaufen läßt der Kirchentag nicht so leicht durchgehen, erfahrungsgemäß ist das Publikum sehr kritisch. Aber der Kirchentag stellt ein großes Potential an Kräften gerade von jungen Leuten dar, die das Land mitbewegen wollen. Für Politiker ist das eine einmalige Chance, mit der Basis in Kontakt zu kommen.

ABENDBLATT: Soll der Kirchentag die Vision einer Welt von morgen entwerfen?

KÄSSMANN: Mir würde es schon reichen, wenn er dazu beiträgt, die jungen Leute zu ermutigen, jetzt in dieser Welt Verantwortung zu übernehmen. Sie sollen das Leben als Möglichkeit sehen, mitgestalten zu können. Das Schrecklichste an unserem Land ist, daß so viele sagen: "Ich kann gar nichts tun! Was soll ich mich einmischen, alles geht sowieso seinen Gang!" Der Kirchentag möchte gerade die Lust zur Beteiligung wecken. Die Vision lautet: Wir können diese Welt verändern. Globalisierung kann ja auch derart gestaltet werden, daß alle zu essen haben. Mir ist es lieber, es sind lauter Gutmenschen und Weltverbesserer beim Kirchentag als nur Weltverschlechterer und Raushalter.

ABENDBLATT: In Rom hat u. a. die Papstwahl das Christentum stark in die Medien gerückt. Profitiert auch die evangelische Kirche davon?

KÄSSMANN: Es freut mich für den Katholizismus, wenn in unserer Schwesternkirche das Oberhaupt geehrt wird. Aber wir haben ein sehr anderes Kirchen- und Amtsverständnis. Der römische Zentralismus und die Papstverehrung sind nicht evangelisch. Das sollten die Kirchen der Reformation durchaus klarmachen.

ABENDBLATT: Wie stehen Sie dazu, daß Papst Johannes Paul II. wie ein Popstar verehrt wurde?

KÄSSMANN: Ich bin da hin und her gerissen. Auf der einen Seite finde ich es wunderbar, daß es ihm gelungen ist, das Liebenswerte seiner Person durch die Medien zu transportieren. Viele hatten den Eindruck: Da ist ein guter Nachbar gestorben. Auf der anderen Seite ist die Fixierung auf Personen immer auch gefährlich. Niemand ist perfekt, jeder Mensch hat Brüche, und in jedem Menschen gibt es auch Scheitern. Den Druck, daß der Papst eine perfektionierte Person sein soll, halte ich für problematisch.

ABENDBLATT: Wie kommt der Dialog mit anderen Kirchen voran?

KÄSSMANN: Der ist mir sehr wichtig. In der Bibel ist Ökumene sogar ein Auftrag. Es ist wirklich belastend, daß wir das Abendmahl als Zeichen der Einheit und der Gemeinschaft nicht miteinander feiern können. Aber die ökumenische Realität heute in den Gemeinden vor Ort ist ermutigend. Dahinter geht kein Weg zurück. Vor 50 Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, daß eine Katholikin einen Protestanten heiratet.