Berlin. Clean Eating setzt auf frische, naturbelassene Lebensmittel und verbannt Fertigprodukte. Zu streng gelebt, hat es aber Schattenseiten.

  • Um sich möglichst gesund zu ernähren, verzichten immer mehr Menschen auf Zucker und verarbeitete Lebensmittel
  • Die Ernährungsweise Clean Eating setzt stattdessen auf Vollwertkost
  • Allerdings darf der Verzicht nicht zur Obsession werden
  • Was steckt genau hinter dem Ernährungstrend?

Zusatzstoffe raus, frische Zutaten rein: Immer mehr Menschen beschäftigen sich intensiv mit der Frage, was sie essen sollten – und was lieber nicht. Abstrakt ist den meisten klar, was gut für sie wäre: Gemüse und Obst statt Süßigkeiten, Vollkorn- anstelle von Weißmehlprodukten, Wasser statt Saft oder Limonade. Wenig Zucker, Alkohol oder verarbeitete Lebensmittel – genau das also, was Ernährungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ohnehin schon lange empfehlen.

Das Clean-Eating-Prinzip setzt genau hier an. Gesundheitswissenschaftlerin und Kochbuch-Autorin Hannah Frey beschreibt Clean Eating als Lebensstil, der auf einer natürlichen Ernährungsweise beruht: weg von Fertigprodukten, hin zu frischen, naturbelassenen Lebensmitteln – am besten aus der Region.

Clean Eating: Fünf Grundregeln für die Ernährungsweise

Es soll Menschen zu einem neuen Lebensgefühl verhelfen. Ergänzend zu den eingangs genannten Punkten werden zusätzlich auch raffinierte Fette gemieden – also Margarine und die gängigen günstigeren warm gepressten Öle.

Frey formuliert fünf Grundregeln, die es beim Clean Eating zu beachten gilt:

  1. Natürliche, möglichst unverarbeitete Lebensmittel essen.
  2. Zutatenlisten von Nahrungsmitteln kritisch prüfen (Faustregel: Nicht mehr als fünf Zutaten).
  3. Jeden Tag frühstücken als gesunde Basis für den Tag.
  4. Über den Tag verteilt fünf kleine Mahlzeiten essen – drei Hauptmahlzeiten und zwei Snacks.
  5. Täglich zwei bis drei Liter Wasser oder ungesüßten Tee trinken, Kaffee nur in Maßen.

Zuckerfrei: Keine eindeutige Definition von Clean Eating

Doch eine einheitliche und klare Definition, was Clean Eating genau ausmacht, gibt es nicht. „Für unterschiedliche Menschen kann es unterschiedliche Dinge bedeuten“, erklärt Caroline Stokes. Sie ist Leiterin der Forschungsgruppe Nährstoffe und Gesundheit am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke und Professorin für Food and Health an der Humboldt-Universität Berlin.

„Studien haben gezeigt, dass die eigene Auffassung von Clean Eating und wie streng dieses praktiziert wird insbesondere durch soziale Medien beeinflusst wird“, so Stokes. Die Grundsätze des Clean-Eating-Prinzips sind dabei aber immer gleich. Unterschiede gibt es in der Auslegung beispielsweise davon, was noch zu natürlichen und unverarbeiteten Lebensmitteln gehört.

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    Strenger geht dabei immer: Einige setzen auf sogenannte Superfoods wie beispielsweise Chiasamen oder Gojibeeren, bei anderen dürfen es nur regionale oder nur Bioprodukte sein, um Pestizide zu vermeiden. Statt nur auf Weißmehl oder Industriezucker zu verzichten, sind bei einigen extremen Formen gekaufte Mehle, Nussmus, Pasten oder ähnliches generell tabu – schließlich ist alles verarbeitet.

    „Einige vertreten zudem die Auffassung, dass Nahrungsmittel wie Gemüse am besten roh gegessen werden sollten“, so Stokes. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist das in einigen Fällen aber regelrecht kontraproduktiv.“ Bei Tomaten etwa könne das Antioxidant Lykopin, das die körpereigene Abwehr stärkt, erhitzt vom Körper besser aufgenommen werden.

    Der Begriff Clean Eating geht zurück auf das kanadische Fitnessmodel Tosca Reno. 2006 veröffentlichte sie als Erste ein Buch zum Thema und hat sich über die Jahre regelrecht ein Eat-Clean-Imperium aufgebaut. In Deutschland gehört Hannah Frey zu den bekanntesten Gesichtern der Bewegung. Neben ihren Clean-Eating-Büchern wurde sie insbesondere mit der Buchreihe „Zuckerfrei“ bekannt, in der es auch um genau diese Ernährungsform geht.

    Clean Eating: Es kommt auf eine achtsame Ernährung an

    „Clean Eating an sich ist aber nichts Neues“, räumt Frey ein. „Im Prinzip ist es nichts anderes als eine ausgewogene Vollwertkost.“ Der Begriff klinge jedoch altbacken und sei wenig ansprechend. Wichtig ist Frey beim Clean Eating eine bewusste, achtsame Ernährung.

    „Jeder sollte sich im Klaren darüber sein, was er zu sich nimmt und welche Nährstoffdichte ein Lebensmittel hat.“ So seien beispielsweise Nüsse als Snack recht fettreich. „Gleichzeitig machen sie aber auch lange satt und beugen so Heißhungerattacken vor“, erklärt die Autorin.

    Statt Fertiggerichten und Fast Food kommen beim Clean Eating gesunde und frische Lebensmittel auf den Tisch.
    Statt Fertiggerichten und Fast Food kommen beim Clean Eating gesunde und frische Lebensmittel auf den Tisch. © istock

    Achtsamkeit beim Essen sei genau der richtige Ansatz, betont Stokes. Sie empfiehlt insbesondere den Aspekt der ausgewogenen Vollwertkost grundsätzlich jedem – egal in welcher Lebensphase und unabhängig vom Lebensstil.

    Verzicht auf Verarbeitung: Fertiggerichte erhöhen Krebsrisiko

    „Aus Beobachtungsstudien wissen wir, dass Menschen, die eine sehr hohe Menge an verarbeiteten Lebensmitteln essen, auch größere Gesundheitsrisiken haben.“ Als Beispiele nennt die Ernährungswissenschaftlerin Gewichtszunahme und ein erhöhtes Krebsrisiko.

    Verarbeitete Lebensmittel würden sogar mit einem früheren Tod in Verbindung gebracht. Einer der Gründe: Viele verarbeitete Lebensmittel enthalten sehr viel Salz, Zucker oder ungesundes Fett. Auf diese zu verzichten, sei nur konsequent.

    Eine Studie mit Frauen zwischen 17 und 55 Jahren konnte laut Stokes kürzlich zeigen, dass sich die Ernährung derjenigen, die sich am Clean-Eating-Prinzip orientierten, stark mit den offiziellen Empfehlungen deckte. Etwa die empfohlenen fünf Portionen Gemüse und Obst pro Tag waren für sie kein Problem. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind es, um genau zu sein, 400 Gramm Gemüse und 250 Gramm Obst.

    Clean Eating kostet Zeit, lohnt sich aber auch mit Familie

    „Außerdem setzten sich die Frauen in dieser Studie insgesamt stärker damit auseinander, was gesund für sie ist“, ergänzt Stokes. Naheliegend also, dass neben der Ernährung auch Selbstfürsorge und Bewegung beim Clean Eating eine wichtige Rolle spielen. So stellt Frey in einem ihrer Bücher verschiedene Achtsamkeits- und Yoga-Übungen vor, die das Clean Eating abrunden.

    Möchte man alle Tipps und Ratschläge der Expertin beherzigen, ist Clean Eating tatsächlich mit Arbeit und Zeitaufwand verbunden. Die Ausreden aber, dass diese Ernährungsform wegen des Jobs oder der Familie grundsätzlich nicht möglich sei, lässt Frey nicht gelten.

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      „Es gibt viele tolle Gerichte, die auch Kindern schmecken“, sagt sie. So ließen sich etwa Fischstäbchen, Pizza und selbst Schoko-Aufstriche zuckerfrei zubereiten. „Eltern sind ein Vorbild für ihre Kinder und beeinflussen deren spätere Gesundheit von klein auf“, betont Stokes. Wenn in Familien Clean Eating zum Alltag gehöre, sei das eine gute Sache – vorausgesetzt, die Regeln seien nicht strikt und die Ernährung bleibe ausgewogen.

      Essstörung als mögliche Folge strikter Ernährung

      Bei allen Vorteilen hat Clean Eating, zu streng ausgelegt, auch seine Schattenseiten. „Mir machen vor allem die sehr strengen Ansätze Sorge, die teils durchs Netz geistern“, sagt Stokes. Wer sich ständig mit seiner Ernährung auseinandersetze und darauf achte, nichts vermeintlich Falsches zu sich zu nehmen, für den könne das Thema Essen zur Obsession werden. Essstörungen sind mögliche Folgen.

      „Manche essen im Fall der Fälle irgendwann lieber nichts“, sagt Stokes, „statt etwas vermeintlich Schlechtes zu essen.“ Ausnahmen müssten aber immer erlaubt sein und seien auch unproblematisch – solange jeder insgesamt auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung achte.

      Gesunde Ernährung: Ausnahmen sind erlaubt

      Die Expertin warnt außerdem davor, alle verarbeiteten Lebensmittel grundsätzlich zu verteufeln: „Gerade im ersten Lockdownder Pandemie haben wir gesehen, dass lange haltbare Lebensmittel daheim zu haben, Menschen auch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.“

      Außerdem spricht aus Freys Sicht bei Clean Eating auch nichts gegen geschälte Tomaten oder zuckerfreie Kichererbsen aus der Dose, gefrorenes Gemüse oder beispielsweise Linsennudeln. Übrigens: Auch Frey gönnt sich regelmäßig Ausnahmen. „Eine entspannte Einstellung dazu finde ich total wichtig.“