Berlin.
Lebensmittel müssen heute Alleskönner sein. Sie sollen zugleich schön, schlank und gesund machen. Funktionalität ist mittlerweile oft wichtiger als Sättigung. Die Folge: jede Menge sogenannter Food-Trends. „Essen und Trinken ist ein Ausdruck der Individualität geworden und geht hin bis zur Ersatzreligion“, so Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Doch nicht jeder der Trends hält, was er verspricht. Wer sich wirklich gesund ernähren will, muss genau hinschauen – und sich vor Marketingstrategien in Acht nehmen. Ein Leitfaden.
Trend: Algen
In der asiatischen Küche haben Algen Tradition. Und auch in Deutschland wächst der Markt. „Durch die große Vielfalt sind Algen in der Tat sehr eigen und speziell“, erklärt Seitz. „Sie leben durch den Verzehr aber nicht länger und werden auch nicht schöner.“ Gerade wenn es um die oft propagierten sekundären Pflanzenstoffe gehe, könne man auch einfach grünes Gemüse essen. Zudem seien viele Wirkversprechen nicht evidenzbasiert, ergänzt Ernährungswissenschaftler Helmut Heseker von der Universität Paderborn. Das heißt, es gibt keine klinischen Studien, die zeigen, dass Algen beispielsweise wirklich schlank machen. Er sieht daher keinen Sinn darin, Algen zu essen.
Positiv ist der – je nach Algenart – oft sehr hohe Anteil an hochwertigem Eiweiß. Einige Sorten enthalten zudem viel Kalzium, Vitamin C oder auch Eisen. Gerade bei Meeresalgen sei jedoch auch der Jodgehalt sehr hoch, warnt Seitz. Bei getrockneten Produkten ist daher Vorsicht geboten. „Eine Überjodierung kann gerade bei Leuten mit Schilddrüsenerkrankungen zum Problem werden.“ Hinzu kommt: Manche Algen sind laut Bundesinstitut für Risikobewertung mit Schwermetallen wie Blei, Cadmium oder Aluminium belastet, die sie neben den guten Nährstoffen mit aus dem Wasser aufnehmen.
Trend: Chia, Goji & Co
Egal ob Goji- und Acaibeere oder Chia-Samen – exotische Lebensmittel sind als sogenannte Superfoods mittlerweile sogar in vielen Drogerien zu bekommen. Sie sollen allerlei gesundheitsfördernde Eigenschaften haben und auch noch Krankheiten vorbeugen. Doch genau wie bei den Algen fehlt es auch hier laut Heseker an wissenschaftlichen Beweisen. Hinzu kommt, dass es „Superfood“ eigentlich gar nicht gibt. „Das ist ein Marketingbegriff“, sagt Seitz vom BZfE. „Auch Rotkohl ist ein ‚Superfood‘, wenn man so will. Aber der ist halt unsexy.“
Um den täglichen Nährstoffbedarf zu decken, braucht es die importierten und oft teuren Lebensmittel keinesfalls, sind sich die Experten einig. Chiasamen beispielsweise könne man sehr gut auch mit heimischen Leinsamen vergleichen. „Auch Grünkohl, Rosenkohl oder unsere ganzen Beerenfrüchte haben ähnlich hohe oder sogar höhere Nährstoffgehalte als das, was aus dem Ausland zu uns kommt“, so Heseker.
Trend: KokosfettKokosfett und Kokosöl sind die angeblich gesunde Alternative zu herkömmlichen Fetten und Ölen. „Die Produkte werden momentan absolut gehypt, aber da muss man wirklich vorsichtig sein“, warnt Isabelle Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Es ist wissenschaftlich ohne Zweifel belegt, dass Kokosöl und -fett einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren hat, und diese können den Fettstoffwechsel ungünstig beeinflussen.“ Auch die positive Wirkung auf das Immunsystem, die Gewichtsabnahme oder bei Demenz, die angepriesen werde, sei wissenschaftlich nicht belegt. „Man sollte bei diesen Trends immer hinterfragen, wer das geschrieben hat und wo das stand“, ergänzt Seitz.
Erschwerend komme hinzu, dass man natives Kokosöl gar nicht zum Anbraten nutzen könne. „Es hat einen sehr niedrigen Rauchpunkt“, so Seitz. „Das heißt, beim Erhitzen brennt das Öl quasi an, dabei gehen die ganzen gesunden Fette flöten.“ Viel besser sei es, Raps- oder Olivenöl zu verwenden. „Die haben die gesündeste Fettsäurenzusammensetzung“ – also einen hohen Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
Trend: Smoothies
Ernährungswissenschaftler empfehlen fünf Portionen Gemüse und Obst pro Tag. „400 Gramm Gemüse und 250 Gramm Obst, um genau zu sein“, erläutert Keller. Lecker schnell und einfach seien diese als Smoothie verzehrt. Das suggeriert die Werbung. Grundsätzlich spreche laut Keller auch nichts dagegen, mal einen Smoothie zu trinken – gerade bei hoch betagten Leuten, die Probleme mit dem Essen hätten. Normales Obst und Gemüse habe aufgrund seines Volumens dennoch einen Riesenpluspunkt gegenüber dem Smoothie: einen sehr guten Sättigungswert.
Außerdem komme es durch die Verarbeitung immer auch zu Nährstoffverlusten, so Seitz. „Ein Smoothie ist besser als nichts, aber nicht mit frischem Obst und Gemüse zu vergleichen.“ Was man auch bedenken müsse: „Das sind schon ziemliche Kalorienbomben.“ Zum Abnehmen sind Smoothies also vollkommen ungeeignet. Der mitunter recht hohe Fruchtzuckeranteil habe zudem durchaus unangenehme physiologische Eigenschaften, fügt Heseker hinzu. So aktiviere die Fruktose Gene, die unter anderem die Fettneubildung anregen oder bei Männern die Harnsäurewerte erhöhen.
Trend: Veggie
In Deutschland ernähren sich aktuell bereits mehr als vier Prozent der Bevölkerung vegetarisch. Andere versuchen, ihren Fleischkonsum stark zu reduzieren. „Dieser Trend ist an sich ganz vernünftig“, meint Heseker. Aus wissenschaftlicher Sicht sei es sinnvoll, weniger Fleisch zu essen. „Und da viele Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten ungern ändern, ist auch klar, dass ihnen das einfacher fällt, wenn sie entsprechende Ersatzprodukte finden.“
Diesen Markt hat die Industrie erkannt: Das Angebot an Veggie-Wurst, Veggie-Burgern und Co ist groß. Allerdings raten die Experten, sehr genau hinzuschauen. Die qualitativen Unterschiede der Produkte seien enorm. „Man darf nicht übersehen, dass es sich um zum Teil sehr hoch verarbeitete Lebensmittel handelt, die nicht selten mit viel Salz und viel Fett schmackhaft gemacht wurden“, so Heseker. Ob das Ersatzprodukt am Ende tatsächlich die gesündere Alternative ist, hängt also sehr stark von der Rezeptur ab: je weniger Zusatzstoffe und Fette, desto besser. Wer die Produkte komplett als Fleischersatz nutzt und auch keine anderen tierischen Produkte verzehrt, muss zudem darauf achten, keinen Vitamin-B12-Mangel zu entwickeln. „Fleisch ist dafür bei uns eine sehr gute Quelle“, ergänzt Keller. Im Fall der Fälle müsse man bereit sein, Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen. Ein Fazit haben am Ende alle Experten: Egal was letztlich auf den Tisch kommt, Hauptsache, der Speiseplan ist abwechslungsreich und die Lebensmittel möglichst unverarbeitet.